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Welternährung: Die Blaue Revolution

Neuartige Aquakulturen auf hoher See und umweltfreundlichere Fischfarmen an den Küsten könnten die wachsende Weltbevölkerung mit dringend benötigtem Protein versorgen.
Lachszucht in norwegischem Fjord
Gewissenhaft hütet Neil Sims seine Herde – aber nicht hoch zu Ross wie die australischen Schaftreiber, unter denen er aufgewachsen ist, sondern mit Schnorchel und Tauchermaske. Denn sein ganzer Stolz sind rund 480 000 silberglänzende Fische in von Netzen umschlossenen Gehegen etwa 800 Meter vor der malerischen Kona-Küste auf Hawaii. Sims’ Fischfarm ist einer von weltweit 20 Pionierbetrieben, die das letzte für die Lebensmittelproduktion bislang unerschlossene Naturreich nutzbar machen wollen: das offene Meer.

Lachszucht in norwegischem Fjord | Fischzuchtanlagen sollen zukünftig den menschlichen Proteinhunger verstärkt stillen helfen.
Ihr Standort auf hoher See unterscheidet sie von Tausenden herkömmlicher Fischfarmen, die sich wie Perlenketten entlang der Küste aufreihen und nicht nur die Landschaft verschandeln, sondern auch der Umwelt schaden. Oft verschmutzen sie das flache, strömungsarme Wasser so stark mit Fischfäkalien und Futterresten, dass sich Algenblüten entwickeln oder gar alles Leben im Umkreis der Gehege erstickt. An Offshore-Standorten wie den Kona Blue Water Farms hingegen seien Abwässer kein Problem, erklärt Sims. Die sieben riesigen Fischkäfige, jeder von der Größe einer Turnhalle, sind an einer Stelle verankert, an der starke Strömungen Abfälle sofort wegspülen – hinaus ins offene Meer, wo sie schnell auf harmlose Konzentrationen verdünnt werden.

Um mir selbst ein Bild zu machen, klettere ich mit Taucherflossen und Schnorchel auf den Rand von Sims’ kleinem Boot und stürze mich kopfüber ins Wasser. Dort umgibt mich der kegelförmige Fischkäfig wie eine gigantische Laterne, erleuchtet von gleißenden Sonnenstrahlen in einem Gewimmel glitzernder Fische. Das Netz aus reißfestem Kunststoff, das sich stramm um den Rahmen des Geheges spannt, wirkt eher wie ein Gitter. Es hält hungrige Haie genauso sicher draußen wie die Myriaden von Zuchtfischen drinnen. Sie gehören zu den in den Tropen heimischen kleinen Bernsteinmakrelen (Seriola rivoliana), die Sims als Alternative zu wild lebendem rotem Tunfisch züchtet, da dessen Bestände zusammengebrochen sind und die für Sushi geeigneten Makrelen einen hohen Preis erzielen.

Der studierte Meeresbiologe gründete Kona Blue 2001 zusammen mit seinem Kollegen Dale Sarver, um besonders begehrte Fischarten auf nachhaltige Art zu produzieren. Die dort angewandten Methoden lassen sich aber auf jeden beliebigen Speisefisch übertragen – und das wäre auch dringend nötig. Die Weltbevölkerung wächst bis zum Jahr 2050 von heute knapp 7 auf geschätzte 9,3 Milliarden Menschen, und auf deren Speisezettel werden bei steigendem Lebensstandard vermutlich auch mehr Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte stehen.

Weltweit haben die Fangerträge aus natürlichen Fischgründen in den letzten zehn Jahren jedoch stagniert oder sogar abgenommen. Die Aufzucht von Nutztieren wie Rindern, Schweinen oder Hühnern wiederum verbraucht viel landwirtschaftlich nutzbares Land und Wasser. Hinzu kommen Unmassen an Düngemitteln, die irgendwann in Bächen, Flüssen und Seen landen und sie verseuchen.

Fisch statt Fleisch | Eine wachsende Weltbevölkerung auf der einen Seite, Überfischung auf der anderen: In der gezielten Zucht von Speisefischen könnte eine nachhaltige Alternative liegen.
Woher also sollen die Proteine für die vielen Menschen kommen? Die Antwort könnte in neuen Offshore-Fischfarmen liegen – wenn es gelingt, diese in großem Maßstab wirtschaftlich zu betreiben. Auch Aquakultur an der Küste hat Zukunft, sofern sie sich umweltfreundlicher gestalten lässt. Nach Einschätzung vieler Wissenschaftler ist die Welt jedenfalls bald nur noch zu ernähren, wenn wir die Produktion von tierischem Eiweiß großenteils auf das Meer verlagern. Dabei kommt es freilich darauf an, die angestrebte "Blaue Revolution" ökologisch vertretbar zu gestalten.

Die ersten Betreiber von küstennahen Fischfarmen vor etwa 30 Jahren machten vieles falsch – nicht nur, was die Abwässer betraf. So rodeten Schrimpszüchter in Mexiko und Südostasien Mangrovenwälder, um Platz für ihre Krabbenteiche zu schaffen. Viele Lachsfarmen in Europa und Amerika hielten die Tiere in unnatürlich dichten Verbänden, was der Ausbreitung von Krankheiten und Parasiten Vorschub leistete. Manchmal entkamen kranke Tiere und infizierten ihre wild lebenden Artgenossen. Außerdem werden bis heute raue Mengen an kleinen, billigen Fischen gefangen, die sich für den menschlichen Verzehr nicht eignen, aber anderen Meerestieren als Nahrung dienen. Zu Fischmehl verarbeitet, enden sie als Futter für die beim Verbraucher beliebten, größeren, schmackhafteren und teureren Speisefische. Die Folge: ein dramatischer Nettoverlust an Fischmasse.

Bei einigen Punkten gibt es inzwischen Verbesserungen. Dazu zählt die in Kona Blue praktizierte Strategie, die Gehege an Stellen mit starken Meeresströmungen zu platzieren. Andere Fischfarmer siedeln in der Umgebung der Zuchtbehälter Seetang oder Mollusken an, die sich vom Abfall ernähren. Außerdem sorgen verbesserte Haltungsbedingungen und raffinierter zusammengesetzte Nahrung dafür, dass weniger Krankheiten auftreten und die Fische schneller wachsen, obwohl weniger Fischmehl verfüttert wird. Trotzdem könnte es noch eine Weile dauern, bis Umweltverbände Produkte von Aquakulturen nicht mehr grundsätzlich verteufeln.

In einer 200 Seemeilen breiten Wirtschaftszone entlang ihrer Küste können Staaten exklusiv über die Ressourcen des Meeres verfügen. Bisher nutzen sie dieses riesige Gebiet nur für den Fischfang, nicht aber für die Nahrungsproduktion. Dabei gäbe es außer den schon praktizierten Formen der Aquakultur noch viele andere Möglichkeiten. So könnten von großen Propellern angetriebene Fischkäfige in stabilen submarinen Strömungen driften und entweder Monate später an ihren Ausgangspunkt zurückkehren oder an einem fernen Zielort frischen Fisch anliefern.

Der Meeresingenieur Clifford Goudey, ehemals Direktor des Sea Grant’s Offshore Aquaculture Engineering Center am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, testete Ende 2008 vor der Küste Puerto Ricos erstmals einen solchen selbstfahrenden Unterwasserfischkäfig in Form einer geodätischen Kugel mit 19 Meter Durchmesser. Mit seinen beiden 2,5 Meter langen Propellern erwies sich das Gerät als erstaunlich manövrierfähig. Goudey träumt davon, in regelmäßigen Abständen Dutzende solcher mobilen Fischfarmen auf eine Reise entlang einer bekannten Strömung zu schicken, mit der sie in neun Monaten das Karibische Meer durchqueren.

Braune Pellets statt Beutefische

Das größte Problem der marinen Aquakultur ist noch immer, dass kleine, wild lebende Fische als Futter herhalten müssen. Diese werden nicht gezüchtet, weil sich ein ganzer Industriezweig darauf spezialisiert hat, sie zu fangen und zu Fischmehl und -öl zu verarbeiten. Auf das Thema stoße ich buchstäblich mit der Nase, als ich mit Sims an Bord eines alten Transportschiffs der US-Marine klettere, das nun als Futterkahn dient. Der Geruch kommt mir vertraut vor. Während ich mein Möglichstes tue, auf dem Weg zum Schiffsbug in der schaukelnden Dünung nicht das Gleichgewicht zu verlieren, erwachen lange zurückliegende Erinnerungen an eine holprige Fahrt auf einem Pick-up über halb gefrorenes Weideland in Missouri, um meinem Cousin Heu für seine Rinder zu bringen. Doch der süßliche Duft von getrocknetem Gras weicht schnell einem stechenden Fischgeruch, als ich in einen offen herumstehenden Sack greife und eine Hand voll fettig-brauner Pellets zu Tage fördere. Auch wenn sie wie Trockenfutter für Katzen aussehen, riechen sie penetrant nach einer geöffneten Sardinendose!

Varianten der Aquakultur | Aquakultur ist längst mehr als Fische in Tanks auf dem Strand oder in Gehegen davor.
Das überrascht nicht − schließlich besteht der Kona-Blue- Futtermix zu 30 Prozent aus gemahlenen peruanischen Anschovis. Von vegetarischer Kost könnten die kleinen Bernsteinmakrelen zwar auch leben, würden dann aber nicht so gut schmecken, erklärt mein Gegenüber. Zudem enthielte ihr Fleisch in diesem Fall weniger von den besonders gesunden Fett- und Aminosäuren, die nun mal aus dem Fischmehl und -öl stammen. Genau hier liege das Problem, meint Sims: "Dauernd werden wir an den Pranger gestellt, weil wir Fische töten, um Fische zu züchten." Die Lachsfarmen in küstennahen Gewässern stehen aus dem gleichen Grund unter Beschuss.

Kritiker behaupten, die steigende Nachfrage der Aquakulturbetriebe werde langfristig die Bestände an wilden Anschovis, Sardinen und anderen kleinen Fischen ausrotten. Früher ging das meiste Fischmehl an Schweine und Hühner – als Quelle der schwefelhaltigen Aminosäure Methionin, die im sonstigen Futter nicht ausreichend enthalten war. Dies verlieh dem Fleisch und den Eiern jedoch einen fischigen Geschmack. Nachdem Methionin inzwischen industriell herstellbar ist, wird es dem Tierfutter meist direkt zugesetzt. Deshalb sind Fischfarmer heute die Hauptabnehmer von Fischmehl; ihr Anteil liegt bei 68 Prozent.

Neue Futterrezepturen haben den Verbrauch allerdings bereits gesenkt. So bestanden die Futterpellets zu Beginn der Makrelenzucht auf Kona Blue im Jahr 2005 noch zu 80 Prozent aus Anschovis. Bis Anfang 2008 sank der Anteil auf 30 Prozent – ohne dass dies Geschmack oder Gesundheitswert beeinträchtigt hätte, so Sims. Als Ersatz dienten Sojamehl und Geflügelöl, das als Nebenprodukt bei der Geflügelverarbeitung anfällt. Die neuen Rezepturen bedeuten eine große Verbesserung gegenüber der früheren Praxis, ganze Ladungen voll Sardinen in die Fischkäfige zu kippen. Leider ist diese Verschwendung bei weniger verantwortungsbewussten Fischfarmern noch immer gang und gäbe.

Proteine von der Weide – oder aus dem Meer? | Wer wird zukünftig den Proteinbedarf der Menschheit decken – die Land- oder die Fischwirtschaft?
Moderne Aquakulturbetriebe streben an, höchstens dieselbe Menge Fisch zu verfüttern, wie sie selbst für den Markt produzieren. Dieses Ziel hat die Süßwasserzucht etwa beim Wels und Viktoriabarsch bereits erreicht, doch die marine Aquakultur ist noch ein gutes Stück davon entfernt. Mit dem auf Kona Blue verwendeten Futter, das zu 70 Prozent aus landwirtschaftlich erzeugten Proteinen und Ölen besteht, reichen etwa 1,6 bis 2 Pfund Anschovis zur Erzeugung von einem Pfund Makrelen. In der Lachszucht liegt das Verhältnis im Mittel bei etwa 3. Das bedeutet immer noch einen beträchtlichen Nettoverlust an Fischmasse. Doch sollten Kritiker bedenken, dass ein Tunfisch in freier Wildbahn im Lauf seines Lebens etwa 100 Pfund pro Pfund eigenem Körpergewicht frisst – und zwar ausschließlich Fisch.

Bedrohung der Wildfischbestände?

Es liegt allerdings auch im Eigeninteresse der Betreiber von Aquakulturen, den Sardinen- und Anschovisanteil am Futter zu reduzieren. Kein anderer Lebensmittelsektor wächst so schnell wie die Fischzucht; ihre weltweite Expansionsrate beträgt seit 1994 durchschnittlich 7,4 Prozent pro Jahr. Bei diesem Tempo könnten die Ressourcen an Fischmehl und -öl bis zum Jahr 2040 erschöpft sein. Deshalb müsse die Devise lauten, Wildfischprodukte bis in etwa einem Jahrzehnt vollständig aus den Futtermischungen zu verbannen, meint der Meeresökologe Carlos M. Duarte, Leiter des Internationalen Forschungslabors für Globale Veränderung beim Spanischen Wissenschaftsrat auf Mallorca.

Einen Durchbruch in dieser Richtung könnte der Einsatz mikroskopischer Algen als Quelle der wertvollen Omega-3- Fettsäure DHA (Docosahexaensäure) bringen. Durch sie ließe sich ein Teil des Futterfisches ersetzen. Derzeit testet die Firma Advanced BioNutrition in Columbia ein Futtermittel, das aus Algen gewonnene DHA enthält, wie sie in den USA bereits etlichen handelsüblichen Produkten − darunter Babynahrung, Milch und Fruchtsäfte − zugesetzt wird. Jüngst gelang es Forschern der australischen Commonwealth Scientific and Industrial Research Organization erstmals, DHA auch aus Landpflanzen zu gewinnen.

Der Verdrängungswettbewerb um die knappen Land- und Süßwasserressourcen wird nach Duartes Ansicht allerdings letztlich dazu führen, dass terrestrische Produkte wie Soja und Geflügelöl generell aus dem Fischfutter verschwinden. An ihre Stelle dürften Zooplankton und Algen treten, die so gut wie von selbst wachsen. Seetang zählt schon heute zu den wichtigsten Produkten von Meerwasserfarmen und erbringt fast ein Viertel ihres Umsatzes.

Trotz aller Verbesserungen steht die marine Aquakultur immer noch in der Schusslinie prominenter Umweltschützer und Wissenschaftler. So lehnt der Meeresökologe Jeremy Jackson von der Scripps Institution of Oceanography in San Diego die Aquakultur von Raubfischen und Garnelen "ganz entschieden" ab. Sein Bannstrahl trifft somit praktisch alles, was sich für den Rohverzehr nach Sushi-Art eignet. Den Trend, diese Meerestiere in Farmen zu züchten, nennt Jackson mit Blick auf die Dezimierung der Wildfischbestände eine ökologische Katastrophe. "Das gehört verboten", ereifert er sich.

Wie andere Kritiker hält Jackson es für verwerflich, die Bestände bereits heute überfischter wild lebender Arten zu gefährden, um eine Luxusspeise für Reiche zu erzeugen. Statt der gezüchteten Fischräuber am oberen Ende der Nahrungskette sollten wir die überwiegend Pflanzen fressenden Sardinen und Sardellen selbst verzehren. Doch Sims hält das für illusorisch: "Seien wir mal ehrlich. Ich esse zwar Anschovis auf meiner Pizza, aber in meiner Familie kann ich niemanden sonst dazu bewegen", erzählt er und fügt hinzu: "Wenn Aquakulturen ein Pfund feinster Sushi-Qualität aus einem Pfund Sardellen erzeugen können, warum sollten die Leute dann nicht das essen dürfen, was ihnen schmeckt?"

Fischzucht statt Viehwirtschaft

Weil die Bewohner von Schwellenländern wohlhabender werden und zunehmend einen urbanen, westlichen Lebensstil pflegen, rechnet die Weltgesundheitsorganisation damit, dass der Fleischkonsum pro Kopf bis zum Jahr 2050 um 25  Prozent steigt. Selbst ohne diese Zunahme müssten Anbau- und Weideflächen bei heutigem Ertrag um 50 bis 70 Prozent ausgeweitet werden, um die nötige Nahrungsmenge für die 9,3 Milliarden Menschen zu liefern, die dann auf der Welt leben werden.

Angesichts solcher Fakten drängt sich ein Vergleich auf, der allerdings selten angestellt wird: Fischzucht gegen Landwirtschaft. Unter den richtigen Voraussetzungen bieten Aquakulturen die Chance, eine wachsende Weltbevölkerung mit dringend benötigtem Protein zu versorgen und dabei der Ausweitung des Ackerbaus – etwa auf Kosten von Regenwäldern − mit all den daraus resultierenden Umweltproblemen Einhalt zu gebieten. Heute werden rund 40 Prozent der irdischen Landfläche agrarwirtschaftlich genutzt. Durch die modernen Methoden zur Ertragssteigerung wirkt sich der Ackerbau noch schädlicher auf die Umwelt aus. Beispielsweise werden enorme Mengen an Düngemitteln eingesetzt, um Getreide für Viehfutter zu produzieren.

Schweine- und Hühnerfarmen sind zudem Umweltverschmutzer ersten Ranges. Die toten Zonen unterhalb einer küstennahen Fischfarm nehmen sich bescheiden aus im Vergleich zu denen, die der Eintrag von Düngemitteln im Golf von Mexiko oder im Schwarzen Meer verursacht − ganz zu schweigen von den Algenblüten, die Abwässer von Schweinefarmen etwa in der Chesapeake Bay an der US-Ostküste ausgelöst haben.

Umweltschädlichkeit im Vergleich

Inzwischen beginnen Wissenschaftler die ökologischen Auswirkungen von verschiedenen Methoden der Proteinerzeugung miteinander zu vergleichen. Das soll helfen, den "Fokus auf effiziente Lösungen für die drängendsten Probleme zu richten", meint Kenneth M. Brooks, unabhängiger Berater für Meeresökologie in Port Townsend (US-Bundesstaat Washington). Nach seinen Berechnungen verbraucht die Aufzucht von Angusrindern 4400-mal so viel hochwertiges Weideland, wie Meeresfläche für die Erzeugung der entsprechenden Menge Lachs aus Aquakulturen im Atlantik benötigt wird. Zudem kann sich das Ökosystem unterhalb einer Fischfarm in weniger als einem Jahrzehnt vollständig erholen, während es Jahrhunderte dauert, bis sich eine Viehweide in urtümlichem Wald zurückverwandelt.

Was vielleicht noch stärker dafür spricht, Proteine für die menschliche Ernährung im Meer zu erzeugen, ist der geringere Wasserbedarf. Wie Duarte betont, macht Fleisch nur 3,5 Prozent der insgesamt verzehrten Lebensmittelmenge aus; seine Produktion verschlingt aber 45 Prozent des für die Landwirtschaft eingesetzten Wassers. Durch Verlagerung großer Teile der Proteinerzeugung in die Ozeane ließe sich laut Duarte "die Agrarwirtschaft enorm ausweiten, ohne dass mehr Wasser benötigt würde".

Natürlich verbrauchen auch die Lagerung und der Transport von Sojamehl und Geflügelöl sowie die Fischfütterung Energie und erzeugen Abgase – bei Offshore-Farmen noch mehr als bei küstennahen Betrieben. Beide Typen der Aquakultur schneiden jedoch besser ab als die meisten Fischfangflotten. Bis jetzt sind Offshore-Farmen nur mit teurem Zuchtfisch profitabel. Doch besteht noch Spielraum für Kostensenkungen; so züchten einige Pionierbetriebe bereits Muscheln zu marktfähigen Preisen auf dem offenen Meer.

Die traditionelle Fischerei ist jedenfalls keine Alternative zur Aquakultur. Angesichts bis zum Äußersten ausgebeuteter Fischbestände lässt sie sich nicht ausweiten; stattdessen sollten die Fangquoten eher verringert werden. Doch mit dem Wachstum der Weltbevölkerung steigt der Bedarf an Fisch. Der Pro-Kopf-Verbrauch nimmt ebenfalls zu – unter anderem weil Bewohner der Industrieländer durch den Verzehr von Meerestieren Herz-Kreislauf-Problemen vorbeugen und etwas für ihr Gehirn tun möchte.

Auch unter Umweltaspekten ist die heutige Fischerei höchst problematisch. Auf den oft langen Wegen zu den Fischgründen verbrauchen die Fangflotten viel Treibstoff und stoßen entsprechende Mengen an Luftschadstoffen und Treibhausgasen aus. Durch die weit verbreiteten unselektiven Fangmethoden – beispielsweise mit Schleppnetzen oder Muschelbaggern – kommen Millionen von Meeresorganismen nebenbei um. Untersuchungen zufolge sortiert die Besatzung mindestens die Hälfte aller so gefangenen Meerestiere aus, weil sie zu klein sind, der falschen Spezies angehören oder die Quote überschritten ist. Meist ist dieser Beifang tot, wenn er schließlich wieder über Bord geworfen wird.

In der Aquakultur kann das nicht passieren: "Hier ernten wir nur die Fische im Gehege", betont Neil Sims. Goudey verweist auf eine gleichfalls oft übersehene Tatsache: Zuchtfische wandeln ihre Nahrung effizienter in Protein um als ihre wild lebenden Verwandten, die ja einen großen Teil ihrer Energie auf Aktivitäten wie Beutejagd, Flucht vor Räubern, Partnersuche und Fortpflanzung verwenden. In der Aquakultur lebt es sich dagegen bequem. Zuchtfische setzen daher den größten Teil ihrer Nahrung in Körpermasse um.

Die Makrelen auf Kona Blue wie auch der meiste Lachs in Aquakulturen sind mit ein bis drei Jahren reif zum Ernten − ein Drittel des Durchschnittsalters, in dem die für Sushi begehrten, wild lebenden Tunfische gefangen werden. Wegen der kürzeren Lebensspanne haben die Tiere zudem weniger Zeit, Quecksilber und schwer abbaubare organische Schadstoffe anzureichern, die ausgewachsenen Tun- und Schwertfisch zur potenziellen Gesundheitsgefahr machen.

Aus Aquakulturen stammen heute bereits 47 Prozent der weltweit verspeisten Meerestiere – gegenüber nur 9 Prozent im Jahr 1980. Experten zufolge könnten Fischfarmen bis 2050 sogar 62 Prozent der gesamten Proteinmenge für den menschlichen Verzehr liefern. "Klar ist die Aquakultur eine große Sache mit Zukunft. Leute, die dagegen sind, verstehen einfach nicht, worum es geht", sagt Jose Villalon, der den Fachbereich Aquakultur beim World Wildlife Fund (WWF) leitet.

Statt immer nur den Finger auf die wunden Punkte zu legen, müsse man die Nachteile der Aquakultur gegen die von anderen Formen der Nahrungsmittelerzeugung abwägen. Unbestritten greift eine Fischfarm in das natürliche Ökosystem ein, und ungeachtet aller Verbesserungen werden wohl nie alle Probleme ausgeräumt werden. Aber jede Art der Nahrungsgewinnung belastet die Umwelt, und Fischfang sowie Rinder-, Schweine- und Geflügelzucht tun das in beträchtlich höherem Maß.

Als Mitbegründer des Aquaculture Stewardship Council plant der World Wildlife Fund noch für 2011 die Einführung eines Gütesiegels, das verantwortungsbewusste Fischfarmer von skrupellosen Geschäftemachern zu unterscheiden hilft und so Anreize für mehr Umweltbewusstsein schafft. Unabhängige Gutachter sollen es nach Richtlinien vergeben, die derzeit erarbeitet werden. Der WWF will erreichen, dass die 100 bis 200 weltgrößten Fischhandelsfirmen ihre Ware dann nur noch aus zertifizierten Aquakulturbetrieben beziehen. Auf diese Weise ließen sich ökologische Standards wesentlich schneller durchsetzen als in Einzelverhandlungen mit Tausenden von Kleinproduzenten. George Leonhard, Direktor für Aquakultur der US-Umweltschutzorganisation Ocean Conservancy, sieht in einem Zertifikationsprogramm ebenfalls ein geeignetes Mittel, um Fischfarmer zu nachhaltigem Wirtschaften zu animieren. Wie in jedem Industriezweig werde es auch in diesem Bereich immer schwarze Schafe geben, die im Wettlauf um die niedrigsten Preise keine Skrupel kennen. Die Schaffung anerkannter Mindeststandards könnte, so Leonhard, ein Umfeld schaffen, in dem verantwortungsvolles Handeln "nicht durch den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit bestraft wird".

Damit die Aquakulturbranche langfristig wachsen kann, muss zudem die Politik faire Rahmenbedingungen schaffen. Dank massiver staatlicher Treibstoffsubventionen in vielen Ländern haben Fangflotten mit ihren Schleppnetzen und Muschelbaggern derzeit noch Oberwasser, obwohl sie den Meeresboden zerstören und Unmengen an totem Beifang produzieren. Subventionen erhält auch die Landwirtschaft, damit die Zucht von Rindern, Schweinen und Geflügel profitabel bleibt. Zugleich torpediert eine mächtige Agrarlobby jeden Versuch, strengere Umweltauflagen durchzusetzen. "Praktisch keine der traditionellen Produktionsmethoden von Lebensmitteln wird einer solch kritischen Prüfung unterzogen wie die Aquakultur", klagt Brooks.

Sims selbst tut einiges, um der Blauen Revolution zum Durchbruch zu verhelfen. So macht er sich bei Technologiefirmen für Neuentwicklungen stark. Dazu zählen etwa Roboter zur Reinigung der Netze, automatisierte Futtersysteme und Videokameras mit Funkverbindung zu Satelliten, mit denen sich die Gesundheit der Fische überwachen und jeder Schaden an den Käfigen sofort erkennen ließe. Solche Geräte würden es Sims’ Team erlauben, die Offshore-Farmen praktisch per Fernbedienung zu betreiben – ein beträchtlicher Beitrag zur Kostensenkung, der auch anderen Aquakulturen bei ihrem Kampf um Wirtschaftlichkeit zugutekäme.

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