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Medizingeschichte: Erfolgreiche Amputation vor 31000 Jahren

Warum dem Kind der Fuß abgetrennt werden musste, weiß man nicht. Aber klar ist: Es überlebte den schweren Eingriff. Demnach ist die Chirurgie Jahrtausende älter als gedacht.
Bein- und Hüftfragmente, der linke Fuß fehlt.

Menschliche Knochen aus einer Karsthöhle auf Borneo erzählen eine außerordentliche medizinische Erfolgsgeschichte. Vor etwa 31 000 Jahren amputierte jemand den Fuß eines Kindes so gekonnt, dass dieses nach der Operation noch mehrere Jahre lebte. Das schloss eine Arbeitsgruppe um Tim Ryan Maloney von der Griffith University im australischen Bundesstaat Queensland aus den Funden in der Liang Tebo genannten Höhle im Osten von Borneo. Wie das Team in »Nature« berichtete, wurde der linke Fuß oberhalb des Knöchels mit einem glatten, schrägen Schnitt abgetrennt, und neu gewachsener Knochen überzog die Schnittflächen.

Neben den Heilungsspuren an den Knochenenden zeigen auch die Unterschiede der Knochen beider Beine, dass seit der Amputation eine geraume Zeit vergangen war. Während die Knochen des gesunden Beins normal entwickelt waren, wuchsen die Knochen des durchtrennten Unterschenkels nicht weiter und wurden sogar teilweise wieder abgebaut. Die bei ihrem Tod etwa 20 Jahre alte Person hatte den Fuß also wohl schon in der Kindheit verloren. Der Fund ist rund 24 000 Jahre älter als der bisher älteste Beleg für einen chirurgischen Eingriff bei einem Menschen und zeigt, dass Menschengruppen bereits im Pleistozän umfassendes anatomisches und medizinisches Wissen hatten.

Für eine erfolgreiche Amputation, zumal in der Ära vor der Erfindung der Antibiotika, reicht es nicht, einfach nur einen Körperteil abzuschneiden. Die Gefahr, durch Schock, Blutverlust oder auch eine infizierte Wunde zu sterben, ist groß. Dass ein Kind einen solchen Eingriff vor 31 000 Jahren überlebte, deutet darauf hin, dass es bereits Wissen über die Lage der Blutgefäße und anderer anatomischer Strukturen gab sowie Techniken, die Wunde zu verschließen, und womöglich auch Kenntnisse über antibiotische Naturstoffe. Bisher waren die meisten Fachleute davon ausgegangen, dass derartige Techniken erst bei sesshaften Gesellschaften aufkamen.

Der zuvor älteste Beleg für eine erfolgreiche Amputation stammt aus einer agrarischen Gesellschaft vor 7000 Jahren im heutigen Frankreich. Bei Wildbeutergruppen schienen derart ernste chirurgische Eingriffe eher unrealistisch. Neben dem medizinischen Wissen erfordern die Folgen solcher Eingriffe nämlich auch langfristig einen erheblichen logistischen Aufwand für eine zeitweise umherziehende Menschengruppe. Besagte Gruppe muss außerdem sichergestellt haben, dass das verletzte Kind in der Zeit nach der Operation verpflegt und betreut wurde. Außerdem dürfte die einbeinige Person über Jahre hinweg auf besondere Unterstützung angewiesen gewesen sein. Dass sie trotz ihrer Behinderung wohl kein Außenseiter war, legt die sorgfältige Beerdigung nahe. Sie wurde in Hockstellung begraben, und Kalksteinblöcke über Kopf und Armen markierten die Grabstätte in der mit Felsmalereien dekorierten Höhle.

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