Meeresforschung: Erstickt
Überfischung, Verschmutzung, Artensterben: Weltweit befinden sich die Meere in einem beklagenswerten Zustand. Vor allem die Küstengewässer sind von Sauerstoffmangel und Leblosigkeit betroffen. Nur die Algen profitieren.
Vor wenigen Wochen warnte die amerikanische Meeres- und Wetterbehörde NOAA, dass sich diesen Sommer im Golf von Mexiko eine Todeszone von gigantischem Ausmaß ausbreiten könnte: 23 000 Quadratkilometer Meer ohne Sauerstoff und damit ohne Leben – ein neuer Rekord, sollte nicht noch etwas Unvorhergesehenes geschehen und die Ausbreitung der erstickenden Brühe verhindern. Die Aussichten bleiben jedoch eher trüb, denn noch ist viel Wasser aus dem Mittleren Westen gen Golf im Mississippi und Atchafalaya unterwegs, und mit sich bringen die beiden Flüsse großen Mengen an Stickstoff, den US-Farmer am Oberlauf per Dünger auf ihre Mais- und Weizenfelder gekippt hatten.
Vom Regen in die Ströme gewaschen und von dort ins Meer getragen, verhilft der Stickstoff den Algen zu einer riesigen Blüte: Sterben sie ab, zehren sie den im Wasser gelösten Sauerstoff auf und ersticken dadurch fast alle anderen Lebewesen. Die See wird hypoxisch, wenn nur noch geringe O2-Gehalte darin vorhanden sind, oder gar anoxisch, wenn das lebensnotwendige Gas komplett aufgebraucht wurde. Bis Ende September könne dieses Phänomen noch andauern, prognostiziert die Behörde.
Weltweites Problem
Mit diesem Problem sind die Ökologen und Fischer an der amerikanischen Golfküste jedoch nicht allein, sagen Robert Diaz vom Virginia Institute of Marine Science und Rutger Rosenberg von der Universität Göteborg [1]: Seit 1995 hat sich ihrer Studie zufolge die Zahl der ozeanischen Todeszonen um ein Drittel erhöht. An mindestens 405 Küstenabschnitten verringerte sich der Sauerstoffgehalt unter einen kritischen Schwellenwert, so dass Fische, Weich- und Krustentiere verendeten oder flohen; in den 1970er Jahren waren es weniger als 90. Zusammengerechnet bedecken sie rund 250 000 Quadratkilometer Fläche – das entspricht der Größe Neuseelands. "Kein andere ökologischer Faktor hat sich in den letzten Jahrzehnten ähnlich drastisch für die küstennahen Gewässer verändert wie der Sauerstoffgehalt", konstatieren die beiden Forscher.
Ihre Bildung läuft meist nach gleichem Muster ab: Im eutrophierten Wasser blühen die Algen, sterben ab, und Mikroben zersetzen sie unter Sauerstoffverbrauch, was andere Tiere – vor allem am Meeresboden – vertreibt oder abtötet. Erst Wetterumschwünge oder Winter, wenn die Landwirtschaft ruht, beendet diese Phase wieder. Wird weiter Dünger eingetragen und reichert sich tote organische Substanz auf dem Grund an, kehrt die Hypoxie in immer kürzeren Abständen wieder und wird zu einem jährlichen Ereignis. Die davon betroffene Fläche dehnt sich dann im Laufe der Zeit immer weiter aus und etabliert größere Todeszonen als zuvor, in denen wegen des O2-Mangels die mikrobielle Aktivität zunehmend Schwefelwasserstoff freisetzt und damit das Ökosystem weiter belastet. Diese kritische Schwelle ist im Golf von Mexiko, in der Chesapeake Bay oder auch vor Dänemark schon überschritten.
Der Aufsteig des Schleims
Das hat Konsequenzen über das Ökosystem hinaus, denn es beeinträchtigt die Fischereiwirtschaft: Muschelbänke sterben ab, Fische fliehen oder vergiften sich. In der Ostsee – einer der weltweit größten sauerstoffarmen Meereszonen – verhindert der Mangel, dass sich der Dorsch erfolgreich fortpflanzen kann, weil seine Eier ersticken. Viele Küstengewässer wie die verschiedenen Watten rund um die Erde fallen als Laichgründe oder Kinderstuben der Fische aus, was die Erträge der Fischer mindert und durch die gesamte Nahrungskette nach oben durchschlägt, so dass Robben oder Kleinwale ebenfalls leiden.
Doch das sind nur kleine Ausnahmen, generell gehe der Trend, so der Ozeanologe Jeremy Jackson von der University of California in San Diego, zu stark vereinfachten marinen Lebensgemeinschaften [2]. Ihnen fehlen die großen Tiere und vor allem die großen Räuber wie Haie, Tun- und Schwertfisch oder Wale. Seit der Mensch das Meer nutzt, verschwanden 85 Prozent der großen Wale, neun von zehn Meeresschildkröten, mehr als die Hälfte aller Seevögel, 90 Prozent der Austern und knapp zwei Drittel aller Grundfische wie Scholle und Seezunge. In der Bohai-See brach die Biomasse der Fische um 95, die des Kabeljaus vor Neufundland sogar um 96 Prozent ein. Im Nordwestatlantik, dem Golf von Mexiko oder dem Mittelmeer sind Haie fast ausgestorben, ebenso wie der Rote Tun im Mittelmeer. Selbst ganze Ökosystem wie Korallenriffe oder Seegrasbestände konnten sich dem Niedergang nicht entziehen. Mikroben, Algen oder Quallen profitieren dagegen – oder wie es Jackson ausdrückt: "Wir sehen den Aufstieg des Schleims in den Ozeanen."
Vom Regen in die Ströme gewaschen und von dort ins Meer getragen, verhilft der Stickstoff den Algen zu einer riesigen Blüte: Sterben sie ab, zehren sie den im Wasser gelösten Sauerstoff auf und ersticken dadurch fast alle anderen Lebewesen. Die See wird hypoxisch, wenn nur noch geringe O2-Gehalte darin vorhanden sind, oder gar anoxisch, wenn das lebensnotwendige Gas komplett aufgebraucht wurde. Bis Ende September könne dieses Phänomen noch andauern, prognostiziert die Behörde.
Weltweites Problem
Mit diesem Problem sind die Ökologen und Fischer an der amerikanischen Golfküste jedoch nicht allein, sagen Robert Diaz vom Virginia Institute of Marine Science und Rutger Rosenberg von der Universität Göteborg [1]: Seit 1995 hat sich ihrer Studie zufolge die Zahl der ozeanischen Todeszonen um ein Drittel erhöht. An mindestens 405 Küstenabschnitten verringerte sich der Sauerstoffgehalt unter einen kritischen Schwellenwert, so dass Fische, Weich- und Krustentiere verendeten oder flohen; in den 1970er Jahren waren es weniger als 90. Zusammengerechnet bedecken sie rund 250 000 Quadratkilometer Fläche – das entspricht der Größe Neuseelands. "Kein andere ökologischer Faktor hat sich in den letzten Jahrzehnten ähnlich drastisch für die küstennahen Gewässer verändert wie der Sauerstoffgehalt", konstatieren die beiden Forscher.
Und es ist ein nahezu globales Problem: vom Golf von Mexiko über die Chesapeake Bay an der US-Ostküste zur Ost- und Nordsee, entlang der brasilianischen Küste, vor Westafrika bis hin zum Gelben Meer – überall, wo Menschen ihre Felder überdüngen oder Stickoxide aus ihren riesigen Autoflotten in die Luft pusten, landet der Nährstoff über kurz oder lang im nahen Ozean und füttert dort toxische Algenschwemmen. Schwerpunktmäßig erstrecken sich hypoxische Regionen daher vor allem im Einzugsbereich großer Küstenmetropolen, vor den Mündungen bedeutender Flüsse, die ein von industrieller Landwirtschaft geprägtes Hinterland entwässern, und generell an den Gestaden der entwickelten Länder Europas, Nordamerikas und Ostasiens.
Ihre Bildung läuft meist nach gleichem Muster ab: Im eutrophierten Wasser blühen die Algen, sterben ab, und Mikroben zersetzen sie unter Sauerstoffverbrauch, was andere Tiere – vor allem am Meeresboden – vertreibt oder abtötet. Erst Wetterumschwünge oder Winter, wenn die Landwirtschaft ruht, beendet diese Phase wieder. Wird weiter Dünger eingetragen und reichert sich tote organische Substanz auf dem Grund an, kehrt die Hypoxie in immer kürzeren Abständen wieder und wird zu einem jährlichen Ereignis. Die davon betroffene Fläche dehnt sich dann im Laufe der Zeit immer weiter aus und etabliert größere Todeszonen als zuvor, in denen wegen des O2-Mangels die mikrobielle Aktivität zunehmend Schwefelwasserstoff freisetzt und damit das Ökosystem weiter belastet. Diese kritische Schwelle ist im Golf von Mexiko, in der Chesapeake Bay oder auch vor Dänemark schon überschritten.
Der Aufsteig des Schleims
Das hat Konsequenzen über das Ökosystem hinaus, denn es beeinträchtigt die Fischereiwirtschaft: Muschelbänke sterben ab, Fische fliehen oder vergiften sich. In der Ostsee – einer der weltweit größten sauerstoffarmen Meereszonen – verhindert der Mangel, dass sich der Dorsch erfolgreich fortpflanzen kann, weil seine Eier ersticken. Viele Küstengewässer wie die verschiedenen Watten rund um die Erde fallen als Laichgründe oder Kinderstuben der Fische aus, was die Erträge der Fischer mindert und durch die gesamte Nahrungskette nach oben durchschlägt, so dass Robben oder Kleinwale ebenfalls leiden.
Nur wenige der 400 Todeszonen lassen zudem gegenwärtig erkennen, dass sie sich erholen wie das Schwarze Meer. 1990 dehnten sich dort hypoxische Gebiete auf rund 40 000 Quadratkilometern Fläche aus, fünf Jahre später waren sie praktisch verschwunden. In der Zwischenzeit war die Sowjetwirtschaft und vor allem Landwirtschaft zusammengebrochen, weshalb die Düngerfracht aus den meisten Flüssen der Anrainerstaaten massiv zurückging. Mit dem Sauerstoff kehrte auch das Leben wieder ins Gewässer zurück, doch hat sich die Natur bis heute nicht vollständig erholt – zumal mit dem wirtschaftlichen Wachstum Russlands und der Ukraine auch wieder mehr Nährstoffe eingetragen werden. Als weitere positive Beispiele führen die beiden Forscher zudem noch die Themse-Mündung vor London und die des Hudson vor New York an.
Doch das sind nur kleine Ausnahmen, generell gehe der Trend, so der Ozeanologe Jeremy Jackson von der University of California in San Diego, zu stark vereinfachten marinen Lebensgemeinschaften [2]. Ihnen fehlen die großen Tiere und vor allem die großen Räuber wie Haie, Tun- und Schwertfisch oder Wale. Seit der Mensch das Meer nutzt, verschwanden 85 Prozent der großen Wale, neun von zehn Meeresschildkröten, mehr als die Hälfte aller Seevögel, 90 Prozent der Austern und knapp zwei Drittel aller Grundfische wie Scholle und Seezunge. In der Bohai-See brach die Biomasse der Fische um 95, die des Kabeljaus vor Neufundland sogar um 96 Prozent ein. Im Nordwestatlantik, dem Golf von Mexiko oder dem Mittelmeer sind Haie fast ausgestorben, ebenso wie der Rote Tun im Mittelmeer. Selbst ganze Ökosystem wie Korallenriffe oder Seegrasbestände konnten sich dem Niedergang nicht entziehen. Mikroben, Algen oder Quallen profitieren dagegen – oder wie es Jackson ausdrückt: "Wir sehen den Aufstieg des Schleims in den Ozeanen."
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