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Netzwerkanalyse: Welcher Wikipedia-Typ sind Sie?

Jäger, Tüftler oder Tänzer: Forschende haben das Nutzungsverhalten auf Wikipedia von Personen auf der ganzen Welt untersucht – und dabei erstaunliche Unterschiede gefunden.
Wikipedia
Wikipedia ist die größte Online-Enzyklopädie und eignet sich deshalb besonders gut, um das Rechercheverhalten verschiedener Personen zu untersuchen.

Man liest etwas über eine heimische Pflanze, die man beim Spazierengehen erblickt hat, klickt sich weiter, und ist plötzlich bei einem Text über den Dreißigjährigen Krieg gelandet: Wem dieses Szenario bekannt vorkommt, gehört vermutlich zum Typ der »Tüftler«. Diese arbeiten sich auf Wikipedia, der weltweit größten Onlineenzyklopädie, von Artikel zu Artikel, immer auf der Suche nach neuen Informationsschnipseln. Ganz anders die »Jäger«, die gezielt nach einer spezifischen Information suchen. Und dann gibt es noch die »Tänzer«, deren Navigation völlig unvorhersehbar und ziellos wirkt. Forschende um die Physikerin Dani S. Bassett von der University of Pennsylvania haben das Nutzungsverhalten von knapp einer halben Million Personen auf Wikipedia untersucht und dabei diese drei verschiedenen Typen identifiziert. Sie treten je nach Land, Sprache und Suchbegriff unterschiedlich gehäuft auf. Die Ergebnisse hat das Team im Oktober 2024 in der Fachzeitschrift »Science Advances« veröffentlicht.

Vergleichbare Arbeiten hatten bisher nur untersucht, wie sich Probanden in einer kontrollierten Umgebung verhalten. Dabei wurden auch Jäger und Tüftler identifiziert. Bassett und ihr Team haben hingegen anonymisierte Suchverläufe von 482 000 Nutzenden der Wikipedia-App in insgesamt 50 Ländern und 14 verschiedenen Sprachen ausgewertet. Mit mehr als 60 Millionen Einträgen ist Wikipedia die größte Onlineenzyklopädie und eignet sich besonders gut, um das Rechercheverhalten verschiedener Personen zu analysieren. »Unsere Daten zeigen im Grunde, wie sich die Leute auf Wikipedia von Seite zu Seite navigieren. Daraus konnten wir Netzwerke ableiten«, erklärte Bassett gegenüber dem Fachmagazin »Nature«. Die Knoten der Netzwerke bestehen dabei aus den geklickten Artikeln, die über Links miteinander verbunden sind. »Wie bewegen sich die Menschen in diesem Informationsraum? Über welche Hyperlinks gehen sie?«

Indem die Fachleute die Netzwerke individueller Personen auswerteten, konnten sie die drei verschiedenen Wikipedia-Typen ausmachen. Jäger haben enge, eingeschränkte Netzwerke – sie arbeiten sich zielstrebig von einem Artikel zum nächsten. Die Netzwerke von Tüftlern sind hingegen eher lose und breit gefächert. Diese beiden Nutzungsytpen wurden bereits in vorherigen Arbeiten untersucht. Die Kategorie der Tänzer ist hingegen neu. Diese Nutzenden zeigen eine besondere Form der Neugier, indem sie unterschiedliche Konzepte, die normalerweise nicht zusammenhängen, kurzzeitig auf einzigartige Weise miteinander verknüpfen. »Wie genau die Netzwerke der Tänzer zu charakterisieren sind, ist schwer zu sagen«, schreiben die Fachleute in ihrer Arbeit.

Jäger sind eher bei MINT-Themen zu finden

Wie die Forschenden erkannten, unterscheidet sich das Nutzungsverhalten je nach Suchbegriff. Tüftler starten ihre Suche meist mit Artikeln zu kulturellen oder gesellschaftlichen Themen, während Jäger eher bei Themen aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) beginnen. Die Fachleute haben diesen Trend auch nach den Sprachen der jeweiligen Einträge aufgelöst. Im Deutschen scheint der Unterschied im Suchverhalten besonders stark ausgeprägt: Dort zogen kulturelle Artikel hauptsächlich Tüftler an, während die Leser der MINT-Texte meist zu den Jägern zählten. In bengalischen oder arabischen Artikeln fällt der Unterschied zwischen den beiden Gruppen kleiner aus.

»Wir erkannten eine starke Beziehung zwischen der Art des Surfstils einer Person und dem Grad der Gleichberechtigung in einem Land«Dani S. Bassett, Physikerin

Als Nächstes haben die Fachleute untersucht, ob die Netzwerkstrukturen von den sozioökonomischen Gegebenheiten eines Landes abhängen, etwa den Bildungsmöglichkeiten, der Lebenserwartung und der Gleichberechtigung. Dafür haben Bassett und ihr Team Daten des »Human Development Index« und des »Atkinson Index« hinzugezogen. »Wir erkannten eine starke Beziehung zwischen der Art des Surfstils einer Person und dem Grad der Gleichberechtigung in einem Land«, sagte Bassett gegenüber »Nature«. Die Fachleute fanden vor allem in jenen Ländern mit weniger Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und den Bildungsniveaus lockere, vielfältige Netzwerke von Tüftlern vor.

Die Forschenden betonen, dass eine einzelne Person auch mehrere verschiedene Nutzungsverhalten zeigen kann. So sind manche Menschen auf der Arbeit eher Jäger, während sie sich in ihrer Freizeit wie Tüftler verhalten. Dennoch besitzen Menschen meistens ein individuelles, bevorzugtes Suchverhalten, erklären die Fachleute in ihrer Arbeit. Dieses zu kennen, könne eine Zusammenarbeit im Team erleichtern.

  • Quellen
10.1126/sciadv.adn326

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