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Entscheidung in Brüssel: EU macht Weg für Jagd auf Wolf frei

In Brüssel haben die EU-Mitglieder heute dafür gestimmt, die Jagd auf den Wolf zu legalisieren. Ein Kurswechsel Deutschlands verschaffte dem Anliegen die nötige Mehrheit.
Wolf in der Döberitzer Heide
Zwei junge Wölfe durchstreifen das Naturschutzgebiet Döberitzer Heide in Brandenburg. Dort hat sich im Jahr 2021 ein wildes Wolfsrudel angesiedelt.

Bislang gilt der Wolf in der Europäischen Union als »streng geschützte« Art, die nur in Ausnahmefällen gejagt werden darf. Doch das dürfte sich bald ändern: Die EU plant, den Schutz des Tiers herabzustufen und damit den Mitgliedsstaaten eine reguläre Bejagung zu ermöglichen. Eine erste wegweisende Entscheidung dazu ist am heutigen Mittwoch in Brüssel gefallen.

Zuvor hatte es jahrelange, teils erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der Jagd gegeben.

Bei dem Votum im Rat der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten stimmte auch Deutschland für die Änderung und verschaffte ihr damit eine Mehrheit. Vorausgegangen war ein Kurswechsel von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Die Ministerin hatte sich zuvor noch klar gegen eine Aufweichung des Wolfsschutzes ausgesprochen.

Dass es nun zur Entscheidung kam, geht Kennern der Brüsseler Vorgänge vor allem auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurück. Sie hatte sich vehement für die Ermöglichung der Wolfsjagd stark gemacht. Dem Vernehmen nach setzte sie das Thema sogar wiederholt bei Treffen mit Staats- und Regierungschefs auf die Tagesordnung. Im vergangenen Jahr hatte die CDU-Politikerin ihr Pony »Dolly« durch einen Wolfsangriff verloren.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, begrüßte das Votum der Mitgliedsstaaten als »ersten wichtigen Schritt für unsere Weidetierhalter, dass sich in Sachen Wolf etwas bewegt«. Der hohe Schutzstatus des Wolfs sei nicht mehr gerechtfertigt, die Probleme mit dem Wolf hätten in Deutschland und Europa dramatisch zugenommen.

Naturschutzverbände sprachen angesichts der Entscheidung von einem »schwarzen Tag« für den Artenschutz. Der Beschluss markiert eine Kehrtwende in der europäischen Artenschutzpolitik, die über Jahrzehnte darauf ausgerichtet war, seltene Tiere umfassend zu schützen, um ihren Beständen eine Erholung zu ermöglichen. Zudem fürchten sie, dass mit der Entscheidung gegen den Wolf zugleich ein Präzedenzfall zuungunsten anderer großer Raubtiere geschaffen werde.

Genug Platz für vier- bis achtmal so viele Rudel?

Wie gut der Wolf zu schützen ist, regelt in Europa die Berner Konvention von 1979. Sie erlaubt den Abschuss des Raubtiers nur in Ausnahmefällen – vor allem wenn es zu einer Häufung von Angriffen auf Nutztiere in bestimmten Gebieten kommt. Auch von der Leyen argumentierte, mit der zunehmenden Zahl von Wölfen verschärfe sich der Konflikt mit der Nutztierhaltung. Zur Untermauerung ihrer Argumentation veröffentlichte die Kommission vor einigen Monaten eine neue Analyse der Wolfsbestände in Europa. Danach haben sich Wölfe gut 100 Jahre, nachdem sie in vielen Ländern Europas ausgerottet wurden, in fast allen EU-Mitgliedstaaten wieder fest etabliert. Insgesamt leben in Europa derzeit etwa 20 000 Wölfe.

Wissenschaftler und Naturschützer sehen die Art jedoch nach wie vor als gefährdet an. Auch wenn die Zahl der Wölfe in den meisten europäischen Staaten in den vergangenen Jahren teils deutlich zugenommen habe, sei der Erholungsprozess noch nicht abgeschlossen, heißt es etwa in einer Mitte September 2024 veröffentlichten Stellungnahme von 300 Organisationen.

Viele Wolfspopulationen in Europa sind danach weit von einem guten und dauerhaft tragfähigen Erhaltungszustand entfernt. Auch die für die Erarbeitung der Roten Listen zuständige Internationale Naturschutzunion IUCN sieht sechs der neun grenzüberschreitenden Wolfspopulationen in der EU als weiterhin gefährdet an. Die gesamte Art in ihrer weltweiten Verbreitung hingegen gilt als nicht bedroht.

In Deutschland leben nach aktuellen Zahlen insgesamt 184 – oft als Rudel bezeichnete – Wolfs-Großfamilien. Forscher des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin haben ausgerechnet, dass Deutschland gemessen an den Lebensraumansprüchen der Tiere ein Potenzial für insgesamt 700 bis 1400 Wolfsreviere hat.

Naturschützer sprechen von schwarzem Tag

Die ersten wildlebenden Wölfe kamen vor rund 25 Jahren zurück nach Deutschland. Dass nun bereits wieder die Jagd legalisiert werden soll, empört Naturschützer. »Hinter der Lockerung des Schutzes steht letztlich der Versuch, das Comeback der Art nach ihrer Ausrottung rückgängig zu machen«, kritisiert Daniela Freyer von der Naturschutzorganisation Pro Wildlife. Sie fürchtet Abschüsse auch in Deutschland im großen Stil. »Ich gehe davon aus, dass sich dadurch der ohnehin ungünstige Erhaltungszustand der Wölfe weiter verschlechtern wird«, sagt Freyer.

Finnland, Rumänien und andere Staaten haben bereits beantragt, den Schutz für Bären und Luchse zu lockern

Nicht minder als das Schicksal des Wolfs besorgt Naturschützer die Präzedenzwirkung der Entscheidung. Sie verweisen darauf, dass Finnland, Rumänien und andere Staaten bereits Anträge gestellt haben, nun auch den Schutz für Bären und Luchse zu lockern – beides Arten, die weiterhin gefährdet sind, aber regional als Konkurrenz zur Weidewirtschaft angesehen werden.

Lemke verteidigt ihren Kurswechsel

Bundesumweltministerin Steffi Lemke verteidigte ihren Kursschwenk. Die Wolfszahlen hätten sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass die Lockerung des Schutzes aus Sicht des Naturschutzes verantwortbar und aus Sicht der Weidetierhalter notwendig sei, erklärte sie.

Allerdings stuft auch das Lemke unterstellte Bundesamt für Naturschutz den Erhaltungszustand des Wolfes weiterhin als ungünstig ein. Noch vor wenigen Monaten hatte Lemke sich entschieden gegen eine Aufweichung des Wolfsschutzes ausgesprochen. »In Zeiten einer globalen Krise der Artenvielfalt weisen wir die Tendenz zur Schwächung des rechtlichen Schutzes für den Wolf unmissverständlich zurück«, hatte sie gemeinsam mit einem Dutzend Kollegen beteuert.

Machtwort von Scholz?

Zu den Hintergründen des Kurswechsels gibt es unterschiedliche Darstellungen. Nach übereinstimmenden Angaben aus unterschiedlichen Ministerien soll Bundeskanzler Olaf Scholz eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Er habe Lemke nach Gesprächen mit von der Leyen zur Korrektur ihrer Position gedrängt, lautet eine unbestätigte Darstellung.

Andere Insider berichten, es sei Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gewesen, der sich beim Kanzler Schützenhilfe geholt habe. Özdemir hatte schon vor längerer Zeit durchblicken lassen, dass er nichts gegen weniger Wolfsschutz habe. »In den letzten Jahren hat sich der Wolf stark ausgebreitet, damit ist die Zahl der Risse und das Konfliktpotential insgesamt gestiegen. Mit der Absenkung des Schutzstatus können wir bei Problemwölfen flexibler agieren und unsere Weidetierhaltung besser schützen«, sagte der Minister in Reaktion auf die Entscheidung aus Brüssel.

Einer dritten Darstellung zufolge habe sich Lemkes Ministerium selbst an Scholz gewandt, um Klarheit über von der Leyens Absichten zu bekommen. Demnach hat das Ministerium befürchtet, mit seiner Zustimmung ein Einfallstor für die Schwächung des Schutzes weiterer Arten zu öffnen. Diese Sorge habe die Kommissionschefin ausräumen können. Der Wert einer solchen Zusicherung scheint indes zweifelhaft. Denn selbst wenn sie es wollte, könnte auch von der Leyen nicht verhindern, dass EU-Staaten beantragen, nach dem Vorbild des Wolfes auch andere Arten auf die Abschussliste zu setzen.

Bis Wölfe in der EU regulär bejagt werden dürfen, sind weitere Schritte nötig – die nach der Entscheidung vom Mittwoch aber als Formsache gelten. Im Dezember steht zunächst die Änderung der Berner Konvention an, einem völkerrechtlich bindenden Vertrag zwischen 50 Mitgliedstaaten. Die für die Änderung nötige Zweidrittelmehrheit dürfte angesichts der Einigung innerhalb der EU erreicht worden sein. In folgenden Schritten muss dann der Schutz auch im europäischen Recht und dann in den Naturschutzgesetzen der einzelnen Mitgliedsländern gelockert werden. Dabei ist den einzelnen Staaten weitgehend selbst überlassen festzulegen, nach welchen Kriterien die Bejagung erfolgt.

In Fachkreisen wird damit gerechnet, dass die Umsetzung in Deutschland samt Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes mehr als ein Jahr dauern wird. Wie ein »Wolfsmanagement« aussehen könnte, muss ebenfalls noch entschieden werden. Denkbar sind Abschussquoten oder ein System aus Jagd- und Schonzeiten.

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