Urlaubspsychologie: Geballte Erholung?
Die Deutschen bezeichnen sich selbst gern als Urlaubsweltmeister. 2011 machten immerhin drei Viertel der Bevölkerung mindestens eine Reise von fünf Tagen Dauer und länger. Pro Person und Reise ließen sich das die Bundesbürger durchschnittlich 868 Euro kosten – insgesamt gaben sie für Urlaube knapp 80 Milliarden Euro aus.
Aber sind Urlaube ihr Geld überhaupt wert? Für viele von uns stellt sich die Frage gar nicht: Einmal im Jahr zwei Wochen in der Sonne zu liegen, durch fremde Altstädte zu schlendern oder auf Berge zu kraxeln, erscheint ihnen unerlässlich, um die Batterien wieder aufzuladen. Doch Forscher stellen diese Annahme in letzter Zeit immer häufiger in Frage.
Zwar fanden Psychologen wie zu erwarten heraus, dass Menschen im Urlaub meist entspannter sind, Wohlbefinden und Gesundheit steigen. Der niederländische Tourismuswissenschaftler Jeroen Nawijn beschrieb 2010 gleich eine typische »Urlaubs-Glückskurve«: Zu Beginn der Reise ist die Laune meistens noch nicht besser, erst nach zwei bis drei Tagen steigt die Stimmung steil an, um gegen Ende wieder abzufallen.
Der Forscher führt das unter anderem auf die Strapazen der An- und Abreise zurück. Dabei waren diejenigen, die mit Bus oder Auto in den Urlaub fuhren, am ersten Reisetag noch etwas besser aufgelegt als Bahn- oder Flugreisende. Im letzten Abschnitt der Ferien, vermutet Nawijn, drücke wohl die Erwartung, nun bald wieder in den Arbeitsalltag zurückkehren zu müssen, zusätzlich aufs Gemüt.
Urlauben fürs Herz
Dass Urlauben guttut, lässt sich auch physiologisch nachweisen: Die schwedische Biopsychologin Marianne Frankenhaeuser stellte bereits in den 1980er Jahren fest, dass in arbeitsfreien Zeiten die Menge an Stresshormonen wie Adrenalin im Körper sinkt. Auf lange Sicht könnten Ferienreisen sogar Leben retten: In einer 2000 veröffentlichten amerikanischen Längsschnittstudie hatten die Wissenschaftler Probanden, die an einem erhöhten Risiko für Herzerkrankungen litten, zu mehreren Zeitpunkten untersucht. Wer angegeben hatte, seltener in den Urlaub zu fahren, war in den darauf folgenden Jahren mit größerer Wahrscheinlichkeit an einem Herzinfarkt gestorben. Dies galt auch dann, als die Forscher Einflüsse wie das Jahreseinkommen oder Zigarettenkonsum statistisch herausrechneten.
Ebenfalls erfreulich für Urlauber: Die Stimmung steigt bereits einige Zeit vor der Reise an! Das fanden die britischen Marktforscher David Gilbert und Junaida Abdullah von der University of Surrey 2002 in einer Befragung heraus. Wer sich gerade mit der Planung eines Urlaubs beschäftigte, war insgesamt glücklicher und bewertete beispielsweise auch seine familiäre und gesundheitliche Situation positiver als Befragte, die keine Reise planten.
Spannend wird es jedoch bei der Frage, wie lange die Erholung nach der Rückkehr anhält. Hier sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse ernüchternd: Nach spätestens einem Monat scheint der Gute-Laune-Puffer dahingeschmolzen. Das belegt unter anderem eine Übersichtsarbeit der Psychologin Jessica de Bloom von der Universität Nimwegen. 2009 fasste die Forscherin erstmals die bis dahin zu dieser Frage erschienenen Studien zusammen. Ihr Fazit: »Meistens ist der Urlaubseffekt schon innerhalb der ersten Woche wieder verschwunden.«
Zurück in den Alltag
Dies zeigte sich auch in einer aktuellen Untersuchung, die de Bloom 2011 zusammen mit ihren Kollegen Sabine Geurts und Michiel Kompier veröffentlichte. Darin befragten sie Reisende, die einen drei- bis fünftägigen Kurztrip in einen niederländischen Ferienpark absolvierten. Während des Aufenthalts im Park stieg das Wohlbefinden an, der Stresspegel sank. Doch bereits am dritten Tag nach der Rückkehr hatte sich beides wieder auf dem ursprünglichen Niveau eingependelt.
Besonders erstaunlich ist, dass der Erholungseffekt prinzipiell nur kurz anzuhalten scheint – egal, wie lange die Auszeit war! In einer weiteren, gerade erschienenen Studie befragte de Bloom Touristen, die sich einen sehr langen Sommerurlaub von durchschnittlich 23 Tagen Dauer gegönnt hatten. Auch diese Probanden fühlten sich nach einer Woche Arbeitsalltag wieder genauso gestresst wie vor der Reise.
Laut de Bloom sprechen die bisherigen Ergebnisse dafür, dass man den Jahresurlaub besser in mehrere kleine Happen aufteilen sollte: »Wenn man sich entscheiden muss, ob man einmal im Jahr länger wegfährt oder mehrmals kürzer, würde ich auf jeden Fall zu häufigeren und kürzeren Urlauben raten«, so die Psychologin.
Wenn also nicht die Dauer des Tapetenwechsels darüber entscheidet, wie lange man anschließend davon profitiert, was dann? Eine wichtige Rolle scheint zu spielen, wie stark die Arbeitsbelastung direkt nach der Rückkehr in den Arbeitsalltag ist. Dafür spricht unter anderem eine Studie der Psychologinnen Jana Kühnel und Sabine Sonnentag aus dem Jahr 2011. Die Forscherinnen befragten Lehrer vor und nach den zweiwöchigen Oster- oder Pfingstferien.
Ergebnis: Nach dem Urlaub verflog die gute Laune besonders schnell, wenn die Pädagogen einen größeren Zeitdruck verspürten und sich öfter mit aufsässigen Schülern herumplagen mussten. Kleine Entspannungspausen während der ersten Arbeitswoche dagegen konnten das Urlaubsgefühl etwas länger konservieren.
Nicht auf den Strand verlassen
Offenbar ist aber nicht nur die Arbeitsbelastung nach der Rückkehr eine wichtige Größe, sondern auch die Qualität des Urlaubs. In de Blooms Studien erwies es sich als besonders vorteilhaft, wenn die Probanden ihre Urlaubsaktivitäten stärker genossen hatten – unabhängig davon, welche Unternehmungen das genau waren. Auch lange Gespräche mit dem Partner, wie sie nach Feierabend an Arbeitstagen selten stattfinden, förderten das Wohlbefinden nach der Rückkehr in den Alltag.
Die Arbeitspsychologin Carmen Binnewies von der Universität Münster erforscht ebenfalls, wie sich Menschen am besten vom Job regenerieren. Ihren Erkenntnissen zufolge trägt es besonders zur Erholung und zur Qualität des Urlaubs bei, wenn man in den Ferien etwas Neues lernt oder etwas erreicht, was man sich schon lange vorgenommen hat. »Das muss nicht die Mount-Everest-Besteigung sein«, so Binnewies. »Auch mal wieder ins Museum oder ins Theater zu gehen, wenn man sich das wünschte, hat denselben Effekt.« Praktischerweise lassen sich solche Erfahrungen auch nach Feierabend oder am Wochenende sammeln, ohne dass man auf exotisches Urlaubsflair angewiesen wäre.
Überhaupt, so betonen Forscher, sprächen die Erkenntnisse der noch jungen Urlaubsforschung dafür, dass man sich nicht auf die geballte Erholung von zwei Wochen Strandurlaub verlassen sollte. »Der Jahresurlaub ist wichtig, aber er reicht langfristig nicht aus, um sich ausreichend zu erholen«, sagt Binnewies. Anscheinend sind die Ferien kein Ersatz dafür, dass man sich auch im Alltag um seine Entspannung und Gesundheit kümmert. Hier spiele unter anderem das Unternehmensklima eine wichtige Rolle, erklärt die Psychologin: »In manchen Organisationen wird man schief angesehen, wenn man um fünf oder sechs Uhr nach Hause geht.« Insbesondere das Verhalten der Vorgesetzten sei zentral dafür, ob sich die Mitarbeiter ausreichend Erholung gönnten.
Durchlässige Grenze
Dass in vielen Berufen die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit durchlässiger wird, macht es nicht einfacher. Wer nachmittags früher nach Hause geht, um noch etwas Sonne zu genießen, und sich dann nach Anbruch der Dunkelheit wieder an den Rechner setzt, um noch ein paar E-Mails zu schreiben, der handelt zwar selbstbestimmt – ein Faktor, der sich als sehr wichtig für das Wohlbefinden erwiesen hat –, er hat jedoch auch weniger Gelegenheit, zwischendurch den Kopf frei zu bekommen. Doch gerade die Fähigkeit, sich mental von den Problemen auf der Arbeit zu distanzieren, stärkt vielen Untersuchungen zufolge das Wohlbefinden.
Um die gedankliche Trennung vom Job zu bewerkstelligen, empfiehlt Binnewies verschiedene Strategien: Etwa »heilige Zeiten« zu definieren, beispielsweise am Wochenende oder zumindest samstags, zu denen man strikt nicht arbeitet. »Räumliche Strategien« beinhalten, konsequent nur im Büro zu arbeiten, nie zu Hause – oder wenn schon im eigenen Heim, dann nur an einem bestimmten Platz. »Wenn ich zu Hause überall die Sachen von der Arbeit rumfliegen habe, werde ich natürlich dauernd daran erinnert«, sagt die Psychologin. Die »kommunikativen Strategien« beziehen sich etwa darauf, den Kollegen klar mitzuteilen, ob man in der Freizeit für Anfragen aus der Firma erreichbar ist oder nicht.
Wie steht es dann mit der modernen Marotte, im Café in Sydney schnell mal die Arbeitsmails zu checken oder sich von der Wanderhütte in den Cevennen per SMS bei den Kollegen nach dem Ausgang wichtiger Verhandlungen zu erkundigen? Binnewies zufolge ist das grundsätzlich nicht zu empfehlen, denn das erschwere es, die Arbeit hinter sich zu lassen und zu entspannen. Ihre Kollegin Jessica de Bloom sieht das Ganze allerdings weniger strikt. Ihre Studien hätten gezeigt, dass es nicht generell schlecht sei, im Urlaub zu arbeiten, erklärt sie uns per Telefon – während sie selbst auf einer Reise durch Neuseeland ist.
Wichtig beim Arbeiten in der Freizeit sei nur, dass man sich selbst dafür entscheide und sowohl über den Zeitpunkt als auch die Dauer des Arbeitseinsatzes entscheiden könne. »Manche beruhigt es einfach, kurz E-Mails zu checken und zu sehen, dass die Welt nicht untergeht, wenn Sie nicht da sind«, so de Bloom.
Fragt sich nur noch: Ist es überhaupt sinnvoll, in den Urlaub zu fahren, wenn die Entspannung nach ein paar Tagen wieder verflogen ist und das alltägliche Stressmanagement am Ende doch viel wichtiger ist? »Ich überlege in letzter Zeit auch manchmal: Wäre es vielleicht besser, gar nicht mehr in den Urlaub zu fahren, dafür aber jeden Tag zwei Stunden weniger zu arbeiten?«, sagt Jessica de Bloom. »Ich denke schon, dass Urlaub noch mehr bietet als alltägliche Erholung. Aber was genau, bleibt noch herauszufinden.« Vielleicht, so die Psychologin, seien Reisen ja besonders förderlich für die Kreativität, was wiederum die Qualität der Arbeit nach der Rückkehr verbessern könnte. Vorerst will sie jedenfalls weiter regelmäßig in den Urlaub fahren – gerne auch lange.
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