Goldmeerkatzen: Mehr Puschelprimaten braucht die Welt
Meterhoch ragt der feuchte Bambus. Sein Blätterdach lässt nur wenig Licht durch. Der Himmel ist noch von Wolken verhangen, die den nächtlichen Regen überdauert haben. Zwischen den Stäben ist der Weg stellenweise dermaßen matschig, dass leicht ein Schuh darin verloren gehen könnte. Erst recht, wenn man den Blick nicht nach unten richtet, sondern ständig gen Blätterdach blickt, weil es dort verdächtig raschelt. Der Wind? Ein Vogel? Oder doch endlich jenes bedrohte Wesen, für das die Gruppe durch den Schlamm des Mgahinga-Nationalparks stiefelt?
Im tiefen Südwesten Ugandas leben einige der letzten verbliebenen Goldmeerkatzen (Cercopithecus kandti) der Welt. Die Primaten kommen bloß noch in zwei kleinen, voneinander getrennten Populationen vor: im Gebiet des Virunga-Massivs und im Gishwati-Wald. Das Virunga-Massiv umfasst Ruanda, die Demokratische Republik Kongo und den Mgahinga Gorilla National Park in Uganda.
Was nach einem großen Gebiet klingen mag, wird seit Jahrzehnten immer kleiner. Seit den 1950er Jahren schrumpfte der Wald merklich, und mit ihm schwinden die Tiere. In Ruanda gibt es seitdem je nach Region 50 bis 98 Prozent weniger Exemplare von Cercopithecus kandti, in Uganda sank der Bestand allein zwischen 1998 und 2003 um zirka 40 Prozent. Nicht ganz 1000 Affen leben dort noch. Und auch wenn die Gesamtzahl derzeit stabil scheint, lehrt die Erfahrung: Es gilt zu handeln, damit die buschigen Primaten überdauern.
Naturschützer, Parkmanager, Forschende sowie Bürgerinnen und Bewohner aus den drei Heimatländern der Goldmeerkatzen haben daher im Jahr 2018 einen regionalen Aktionsplan entwickelt, den Conservation Action Plan, kurz CAP. Die Vision: »Bis 2026 sollen in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet lebensfähige Goldmeerkatzenpopulationen gedeihen.« Und das Auftaktjahr 2021 war viel versprechend.
Es rauscht, summt, quietscht, tropft, surrt, fiept auf dem Weg zu den Goldmeerkatzen
»Achtung, Glätte.« »Achtung, Riesenregenwurm.« »Achtung, Loch.« Ihre Sturmgewehre zum Schutz vor mitunter aggressiven Elefanten und Büffeln geschultert, schreiten die in Tarnfarben gekleideten Ranger geradezu leichtfüßig durch den Wald. Der Rest der Gruppe greift dankbar nach den Bambusrohren, um, von Tropfen berieselt, schlitternd einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es ist feucht, aber nicht stickig in diesem Teil des Waldes. Düster, aber farbenfroh. Leise, aber nicht still.
Der Schweißfilm, der den gesamten Körper überzieht, und die Brise, die durch die Rohre streift, kühlen. Trotz Wolken und Dickicht nimmt man verschiedene Grüntöne wahr. Das Gras neben dem Pfad erinnert an das Waldgrün daheim, die Rohre des Bambus sind gelblicher, hier und da überzogen von einer moosgrünen, flauschigen Schicht. Und immer wieder Tupfen von Farngrün, Limettengrün, Dschungelgrün. Es rauscht, summt, quietscht, tropft, surrt, fiept.
Einst war dieser Wald Teil eines großen Ganzen. Die Affenpopulationen lebten damals in einem zusammenhängenden Gebiet, wurden aber schließlich durch den Bau einer Straße zwischen den beiden größten Städten im Nordwesten Ruandas sowie von sich immer weiter ausbreitender Landwirtschaft getrennt. Den Virunga-Park wiederum hatte die kongolesische Regierung zwischenzeitlich verkleinert, das Gebiet ringsherum ist mittlerweile eines der am dichtesten besiedelten Gebiete in Afrika. Dafür mussten dort vor allem Wald in niedrigeren Lagen weichen und die einzige Zone mit Bäumen, deren Früchte die Primaten essen. In der Republik Kongo waren es Viehhirten, die dem Wald in den späten 1950er Jahren zusetzten, und Mitte der 1990er Jahre Flüchtlinge aus Ruanda, die Holz als Brennmaterial benötigten. Allein in Uganda blieb es vergleichsweise ruhig – obwohl ein Teil des Waldes auch dort den Waldbewohnern entrissen und Menschen zugesprochen wurde.
Heute ist die Zone mit Bambus (Yushania alpina) auf 2000 bis 2900 Meter, mancherorts gar 3300 Meter Höhe der wichtigste Lebensraum für Ugandas Goldmeerkatzen. Zwischen den hohen Ästen und im Blätterdach fühlen sie sich wohl. Wenn die Sonne stark scheint oder es ihnen dort oben zu warm wird, weichen sie auf den Boden aus. Und der Bambus ist nicht nur ihr Zuhause, sie fressen ihn auch gern, da er reich an Proteinen ist.
Zwar schmäht so manche Goldmeerkatze weder Früchte noch Insekten. Tier muss flexibel bleiben, wenn sich der Lebensraum ändert. An insgesamt mehr als 100 verschiedenen Nahrungspflanzenarten laben sich die Primaten laut bislang unveröffentlichten Daten. Doch im Mgahinga steht Bambus ganz oben auf der Speiseliste.
Die Beobachtungen der Mgahinga-Ranger sind enorm wertvoll
Eine Lichtung inmitten der dünnen Stäbe. Und gut sichtbar, direkt am Rand in etwa drei Meter Höhe, eine buschige, rotpelzige Goldmeerkatze mit goldenem Rückenfell, die erst unbekümmert hockt und dann überraschend grazil und schnell zum nächsten Ast springt. »Wo die hingeht, sind noch mehr!«, sagt einer der Ranger. Recht hat er.
»Heute gibt's keine ›golden shower‹!«
Ranger
Mit einem Mal sind sie überall. Goldmeerkatzen zur Rechten, zur Linken, in den Wipfeln. Nur wenige ruhen sich aus, die meisten spielen, putzen sich oder ihre Artgenossen, futtern, springen, üben sich in Konversation. Mütter tragen Jungtiere auf den Rücken, um sie kurz behutsam auf dem nebenliegenden Ast abzusetzen, sich selbst nach einem Blatt zu strecken und es sich in die Backen zu stecken. Ein Affe erleichtert sich im Baum, gerade noch rechtzeitig springt man zur Seite. »Heute gibt's keine ›golden shower‹!« So nennen die Ranger den Pipiregen. Zoo ist anders.
Der Wald ist in Bewegung. Goldmeerkatzen klettern höher hinauf, tiefer hinab, huschen von einem Baumbusstab zum nächsten. Der lange Schwanz hilft, Balance zu halten. Die gesamte Affengruppe zieht hoch oben weiter, während sie spielt, putzt, futtert. Die gesamte Menschengruppe stolpert, die Köpfe im Nacken und geblendet vom Himmel, mit zusammengekniffenen Augen auf dem Boden hinterher.
Kashingye heißt diese Affengruppe, die vollständig im Mgahinga angesiedelt ist. 60 bis 100 Individuen zählen dazu. Außerdem gibt es die Kabacondo-Gruppe mit schätzungsweise 100 bis 150 Exemplaren. Sie gewöhnen sich noch an Touristen und wandern ab und an in die Republik Kongo.
Trotz ihres Schutzstatus haben Forscherinnen und Forscher bisher nur wenige Untersuchungen über Goldmeerkatzen durchgeführt und veröffentlicht. Die Arbeiten der Ranger im Mgahinga sind daher besonders wertvoll. Täglich schauen sie, wie es ihren Schützlingen geht. Sind die Tiere bei guter Gesundheit? Wohin bewegen sie sich und wann? Wie wirkt sich der Tourismus aus? »Wir beobachten das Verhalten, nehmen Kotproben, verfolgen vermutete Fährten, untersuchen Nahrungsreste und lauschen ihren verschiedenen Rufen«, sagt Moses Turinawe, der Aufseher für Tourismus im Mgahinga-Gorilla-Nationalpark. Mit Hilfe von Rufen würden sich die Tiere zumeist verständigen, manchmal aber auch durch visuelle Signale.
Die Kashingye-Gruppe bekommt seit 2019 regelmäßig Besuch
Auf ihren Streifzügen haben Turinawe und sein Team in den vergangenen Jahren viel über das Verhalten der Goldmeerkatzen gelernt. »Ein dominantes Männchen bestimmt, wo die Gruppe frisst oder schläft«, erklärt der Aufseher, »doch das Weibchen verteidigt sein Territorium auch selbst.« Zudem hätten die Männchen die Chance, sich mit jedem Weibchen der Gruppe zu paaren – aber es sind die Weibchen, die die Männchen umwerben.
Kopuliert wird üblicherweise, wenn Nahrung im Überfluss vorhanden ist. »Die Weibchen bringen ihr erstes Jungtier im Alter von etwa fünf Jahren zur Welt, die Trächtigkeitsdauer beträgt 140 Tage«, sagt Turinawe. »Die Neugeborenen sind in Bezug auf Nahrung und Schutz völlig von der Mutter abhängig«, erzählt er weiter. Die Entwöhnung, so haben er und das Team beobachtet, erfolgt mit etwa 24 bis 30 Monaten. Entsprechend gebe es nur alle zwei bis viereinhalb Jahre Nachwuchs. Für eine bedrohte Art eine durchaus lange Zeit. Das Gute: In der Kashingye-Gruppe wimmelt es vor Jungtieren, die Übergriffe von Menschen sind weniger geworden, die Familie wächst.
Gemessen an ihren Fähigkeiten sind Goldmeerkatzen »ganz besondere Primaten«, sagt Turinawe, der an dem Conservation Action Plan beteiligt ist. Als Tourismusbeauftragter geht er der Frage nach, wie sich mehr Menschen in den Park locken und die Einnahmen verteilen lassen, ohne dass die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung gestört werden. Ein zentraler Aspekt des CAP.
Die Kashingye-Gruppe bekommt seit dem Jahr 2019 regelmäßig menschlichen Besuch. Goldmeerkatzen an Besucher zu gewöhnen, dauert mehr als zehn Jahre, »das nimmt also viel Zeit in Anspruch«, sagt Turinawe. Bei Schimpansen oder Gorillas dauert das nur halb so lang. Derzeit teilt die Regierung einen Teil der Tourismuseinnahmen mit lokalen Gemeinschaften, zehn Prozent gehen laut CAP-Bericht nach Ruanda und je fünf Prozent an Uganda und die Demokratische Republik Kongo. Mit dem Geld baut man Schulen, Kliniken und Straßen, hält Büffelwände und Gräben in Stand und unterstützt Privathaushalte, damit weniger Menschen illegal in den Nationalparks wildern.
Um Goldmeerkatzen zu schützen, will man mehr Besucher anlocken und lokales Engagement fördern
Für Turinawe und seine Kollegen ist klar: Die Anteile sind zu gering und nicht nachvollziehbar verteilt. »Die Aufteilung der Einnahmen aus dem Tourismus muss überarbeitet werden, um mehr Mittel zur Deckung dringender Bedürfnisse der Gemeinschaft zu gewährleisten«, heißt es dazu im CAP-Bericht. Um mehr Gelder zur Verfügung zu haben, gelte es, die Goldmeerkatzen stärker zu vermarkten und mehr Tiere an Menschen zu gewöhnen. So könnten die einzelnen Gruppen kleiner sein, was den Affen zugutekäme, gleichzeitig könnten aber mehr Menschen die Puschelprimaten besuchen.
Wie erfolgreich solch ein Konzept sein kann, zeigen die ebenfalls bedrohten Virunga-Berggorillas (Gorilla beringei beringei). Statt Menschen von ihnen fernzuhalten, hat man sie stark in den Schutz involviert; einschließlich tierärztlicher Versorgung und genauer Überwachung einzelner Tiere. Das Ergebnis: Im Jahr 1981 gab es so wenig Gorillas wie nie zuvor in der Region, bis 2011 waren es etwa 400 Tiere, und im Jahr 2018 waren es bereits wieder mehr als 1000 weltweit frei lebende Berggorillas.
Fluffig, putzig und frech verspielt wie Kleinkinder
Was Naturschützende, Parkmanager und Forschende auch gelernt haben: Ohne die Unterstützung der Gemeinschaften vor Ort wird es schwierig. »Gute Beziehungen zwischen den Parks und den Menschen ringsherum sind ein wichtiger Schritt«, heißt es im Bericht. Menschen, die in der Nähe des Parks leben, ernten in großem Umfang Bambus für Brennholz, Webmaterial und Bohnenstangen. Sie brauchen die Pflanzen ebenso zum Überleben wie die Affen. Insofern ist es bedeutsam, für die Menschen vor Ort alternative, nachhaltige und zugängliche Quellen zu suchen und bereitzustellen.
Bedenkt man die Zahl der Tiere und Übergriffe, ist noch einiges zu tun. Bildungsprogramme gibt es zwar schon seit Jahrzehnten, doch es sind wenige; zudem sind sie auf ein paar Schulen und Dörfer beschränkt. Auch finden sich kaum Jobalternativen zur Landwirtschaft nahe den Goldmeerkatzen. Dennoch könnten die Voraussetzungen für das Gelingen des Plans bis zum Jahr 2026 schlechter sein. Die Mehrheit der Anwohnerinnen und Anwohner sagt, sie würden davon profitieren, in der Nähe der Parks zu wohnen. Und wenn schon nicht so imposant und menschenähnlich wie Gorillas, so sind Goldmeerkatzen immerhin fluffig, putzig und frech verspielt wie Kleinkinder.
Über dem Wald hat es inzwischen aufgeklart. Eine Meerkatze huscht zunächst von Stab zu Stab, unter ihrem Gewicht biegen sich die Rohre zur Seite. Dann steigt der Affe hinab und hockt sich hin. Gemütlich sieht er aus mit dem Fell, in dem Tropfen perlen. Und wie ein Feinschmecker, mit seinem runden Bauch. Genüsslich beißt er vom Bambus ab. Noch auf dem Weg zurück ist es, als würde sein Schmatzen durch den Wald hallen.
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