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Archäologie: In den Krümeln gesucht

Mit dem Anbau von Mais begann die neolithischen Revolution in Mittelamerika. Zahlreiche Funde in Mexiko zeugen davon. Nun gibt es auch 4000 Jahre alte Spuren aus den peruanischen Anden - Tausende von Kilometern weiter südlich.
Phytolith einer Pfeilwurzart
Perus Anden bergen Spuren vom Aufstieg und Niedergang zahlreicher Kulturen. Städtische Siedlungen der Wari-Epoche aus der Zeit von 500 bis 1100 n. Chr. stehen für eine hoch entwickelte Gesellschaft, deren Kunsthandwerker mit feinen Ornamenten verzierte Tongefäße schufen. Das Volk der Tiwanaku wiederum hinterließ aus ihrer langen Wirkungsperiode von 1500 v. Chr bis 1200 n. Chr. viele große Bauten aus Tonnen schweren Steinen, die über Hunderte von Kilometern transportiert worden waren.

Die Ursprünge noch älterer Kulturen der vorkeramischen Zeit Südamerikas liegen jedoch weiterhin im Dunkeln. Ihre Hinterlassenschaften sind rar und wenig erforscht, insbesondere im unzugänglichen Hochgebirge der Anden. Hinzu kommt, dass Spuren wie Speisereste oder andere Hinweise auf die Lebensweise vor mehreren tausend Jahren inzwischen zersetzt sind und nur Steinwerkzeuge und Grundrisse der Gebäude die Zeit überdauern.

Ein Forscherteam um Linda Perry vom Smithsonian-Institut stand vor diesem Problem, als sie ein etwa 4000 Jahre altes Haus in den peruanischen Anden ausgegraben hatten. Die Grabungsstätte der Siedlung Waynuna liegt an der Westflanke der Anden nördlich der Stadt Arequipa in etwa 3600 Metern Höhe und befindet sich am Übergang der temperierten Vegetationszone zum noch kühleren Hochland.

Grabungsstätte des ältesten Mais-Fundes in Peru | Archäologen bei der Verrichtung ihrer täglichen Arbeit – hier in Waynuna in den peruanischen Anden
Die frühen Siedler wählten solche Plätze gerne, da sie hier viele Anbaumöglichkeiten hatten. In den hoch gelegenen kühleren Bereichen konnten sie Wurzelgemüse wie Kartoffeln anbauen, die wärmeren Felder unterhalb des Dorfes eigneten sich gut für anspruchsvollere Kulturpflanzen. Der Speiseplan konnte also reichhaltig und ausgewogen sein.

Die Forscher suchten nun Hinweise für die Ursprünge der Landwirtschaft oder gar Handelsbeziehungen der damaligen Zeit. Von all diesen Feldfrüchten fanden sie jedoch keinerlei größeren Reste in dem kleinen Haus. Deshalb nahmen sie die mikroskopisch kleinen Krümel unter die Lupe, die sie in der Nähe eines behauenen, flachen Steins gefunden hatten: Es waren Stärkekörner von Getreidesamen und Phytolithe – kleine Siliziumpartikel, die in den Hülsen von Getreidekörnern entstehen –, die als so genannte Mikrofossilien lange Zeiträume überdauern. Sie verwittern selbst im tropischen Klima kaum, und jede Pflanze bildet spezielle eigene Formen aus.

Maisstärkekörner | Maiskörner mit Kratzspuren sind ein Hinweis auf die Verarbeitung des Getreides.
Perry und ihre Kollegen verglichen ihre Funde mit der mittlerweile umfangreichen Krümel- und Phytolithensammlung des Smithsonian-Instituts und konnten die meisten Brösel als Bruchstücke von Maiskörnern identifizieren. Sie fanden zudem noch Phytolithe der Maiskolben und -blätter. Die Oberflächen der Waynuna-Körner waren allerdings beschädigt. Die Forscher schauten sich deshalb den behauenen Stein noch einmal genauer an und erkannten ihn als einen Mahlstein, der derartige Kratzspuren hinterlassen könnte. Mais war hier also bereits schon vor 4000 Jahren angebaut und mit Steinwerkzeugen verarbeitet worden – 1000 Jahre früher als bisher angenommen.

Pfeilwurz-Stärke | Diese 4000 Jahre alten Stärkekörner des Pfeilwurz wurden in den Anden gefunden, obwohl die Pflanze nur im tropischen Tiefland gedeiht. Sie belegen die weitreichende Handelsbeziehungen der damaligen Siedler.
Perry und ihr Team fanden aber auch noch Stärkekörner des Pfeilwurz (Maranta spec.). Diese Pflanze gedeiht aber nur im Amazonasbecken, und Menschen mussten sie von dort nach Waynuna gebracht haben. In der Tat gab es vor 4000 Jahren eine Handelsstraße zu den nahe gelegenen Obsidian-Steinbrüchen von Alca, deren schwarzglänzende Steine bis ins Amaonastiefland gehandelt wurden. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn die Händler auf dem Rückweg Nahrungsmittel ins Hochland brachten. Die Menschen überwanden wohl schon damals die gesamte Gebirgskette, um Lebensmittel von der Ostseite des Kontinents zur Westflanke der Anden zu bringen – eine logistische Meisterleistung.

Diese Erkenntnisse spornen die Wissenschaftler zu weiteren Hypothesen an: Sicher könne man mit Mikrofossilien auch den Handel mit anderen Tieflandpflanzen wie Achira (Canna edulis), Maniok und Erdnüsse nachweisen, der bislang nur auf Steinreliefs belegt ist. Sie werden also weiter in den Krümeln suchen, um Licht ins Dunkel der neolithischen Revolution Südamerikas zu bringen.

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