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Genetik: Kernige Lottospielchen

Eineiige Zwillinge gleichen sich keineswegs wie das sprichwörtliche Ei dem anderen. Sie besitzen zwar identische Gene - entscheidend ist jedoch, welche Erbfaktoren das Sagen haben.
Karyogramm des Menschen
Bei Gregor Mendel war alles noch ganz einfach: Von jedem Gen gibt es zwei Ausfertigungen – jeweils eine vom Vater und eine von der Mutter. Sind sie verschieden, dann setzt sich das "dominante" durch, während die "rezessive" Version zurückstecken muss. Deswegen tritt nach den Mendel'schen Regeln das rezessive Merkmal erst in der zweiten Generation sichtbar wieder in Erscheinung.

Doch die Natur hält sich nicht immer an Regeln. Zunächst einmal erweist sich die Einteilung in rezessiv und dominant bei näherer Betrachtung als künstlich, da auch das unterlegene Gen durchaus seinen Beitrag leisten kann.

Besonders verkompliziert das Ganze dann auch noch das X-Chromosom: Da Männer hiervon nur eines besitzen, können bei ihnen rezessive Gene des Geschlechtschromosoms voll durchschlagen.

Frauen tragen das X-Chromosom zwar in doppelter Ausfertigung. Doch eines davon wird bereits während der Embryonalentwicklung kalt gestellt und fristet als "Barr-Körperchen" sein zelluläres Dasein. Diese Abschaltung scheint willkürlich zu erfolgen, sodass der Zufall bestimmt, welche X-chromosomalen Gene bei Frauen zum Tragen kommen.

Doch auch die Nicht-Geschlechtschromosomen, die Autosomen, von denen der Mensch 22 mal zwei Stück besitzt, halten es mit Mendel nicht so genau. Denn sie schalten mitunter einzelne Gene einfach ab – beispielsweise durch angelagerte Methylgruppen, die hier das Ablesen der DNA verhindern. Häufig hängt dieses Methylierungsmuster davon ab, ob das Gen vom Vater oder von der Mutter geerbt worden ist. Diese "epigenetische" Veränderung der Merkmalsausprägung firmiert auch unter dem Begriff "genomische Prägung".

Methylierungsmuster | Verschiedene Gene auf einem Chromosom können im Laufe des Lebens durch Methylierung abgeschaltet werden. So sieht das Methylierungsmuster von Chromosom 1 bei dreijährigen Zwillingen (links) noch fast gleich aus. Bei einem 50-jährigen Paar treten dagegen deutliche Unterschiede auf (rechts).
Während nun die genomische Prägung bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle festgelegt und damit auf den Nachwuchs übertragen wird, kann eine Genabschaltung auch später in den Köperzellen erfolgen. Somit setzt sich auch hier nur eine Form des doppelt vorhandenen Gens, auch Allel genannt, durch. Doch wie verbreitet ist diese monoallelische Expression?

Die Arbeitsgruppe von Andrew Chess der Harvard Medical School in Boston ging der Sache auf den Grund. Um zu testen, welche Version eines bestimmten Gens – das väterliche, das mütterliche, beide oder keines – abgelesen wird, machten sich die Forscher zu nutze, dass etliche Allele sich an nur einer einzigen Stelle im DNA-Strang voneinander unterscheiden. Sitzt beispielsweise beim väterlichen Allel eines Gens an einer bestimmten Position die Base Adenin, kann es beim mütterlichen Allel Guanin sein. Und viele dieser SNPs (single-nucelotide polymorphisms) sind den Genetikern bereits bekannt.

Die Forscher fischten nun aus menschlichen Zellkulturen die abgelesene Boten-RNA heraus und suchten nach Abweichungen. Von 3939 Genen lag bei 371 Stück tatsächlich eine monoallelische Expression vor.

Dass demnach bei fast zehn Prozent der untersuchten Gene nur die väterliche beziehungsweise mütterliche Kopie abgelesen wird, kam für die Forscher vollkommen überraschend. Sie hatten bloß mit einer Handvoll einseitig abgelesener Gene gerechnet. Im gesamten menschlichen Erbgut könnten demnach – so die vorsichtige Schätzung der Wissenschaftler – mehr als tausend Gene davon betroffen sein.

Bislang galt eine monoallelische Genexpression als typisch für einige Immunglobulin- oder Riechrezeptorgene, die für ihre hohe Variabilität bekannt sind. Doch im Zellkern scheint der Zufall ein weitaus wichtigeres Wörtchen mitzureden und sorgt somit für eine individuelle Note. Deshalb können auch genetisch identische eineiige Zwillinge unterschiedlich von Krankheiten wie der Alzheimer-Demenz betroffen sein – je nachdem, welches Allel eines entscheidenden Gens zum Zuge kommt.

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