Koalitionsverhandlungen: Das plant Schwarz-Rot bei Klima, Energie, Umwelt und Verkehr

Zwei Wochen lang diskutierten die Fachpolitiker von CDU/CSU und SPD hinter verschlossenen Türen über die wichtigsten Vorhaben der künftigen Koalition. Dann reichten die zwölf Arbeitsgruppen die Eckpunkte für den Koalitionsvertrag vertraulich an die Koalitionsspitzen weiter. Seit Wochenbeginn liegt der Ball nun bei den Chefs. In den kommenden Tagen müssen der designierte Kanzler Friedrich Merz, die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie CSU-Chef Markus Söder noch die verbliebenen Streitpunkte ausräumen, Kompromisse finden und aus dem bunten Themenmix ein stimmiges Gesamtpaket für die Regierungsarbeit in den nächsten Jahren schmieden.
Einfach wird das nicht. Denn trotz mancher Nachtschicht konnten sich die wahrscheinlichen künftigen Koalitionspartner bei einigen zentralen Themen nicht verständigen, wie aus den Papieren der Arbeitsgruppen Umwelt, Klima und Verkehr hervorgeht, die »Spektrum der Wissenschaft« vorliegen: Die offenen Punkte reichen von der Forderung nach einer Renaissance der Atomkraft über den Streit um ein Tempolimit auf Autobahnen bis zur Frage, ob die Natur für die Energiewende künftig noch stärker bluten soll.
Das sind die erzielten Einigungen und noch offenen Streitpunkte im Überblick:
Mehr Tempo, weniger Mitsprache
»Beschleunigung« – wie ein Zauberwort zieht sich das Versprechen nach mehr Tempo durch die Papiere der Unterhändler aus allen Themenbereichen. Deutschland müsse mutige Schritte unternehmen, um die dringend nötigen Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft zu erreichen. Dazu wollen die künftigen Koalitionspartner zahlreiche Gesetze durchforsten und Hindernisse aus dem Weg räumen. »Notwendig ist eine grundsätzliche Überarbeitung von Planungs-, Bau-, Umwelt-, Vergabe- und Verfahrensrecht.«
Auch die Rechte von Umweltverbänden sollen auf den Prüfstand: »Das Verbandsklagerecht werden wir reformieren«, sind sich SPD und Union einig. Darüber, wie stark die Einspruchsmöglichkeiten von Umweltverbänden und Bürgern beschnitten werden sollen, streiten die künftigen Koalitionäre freilich noch. CDU und CSU fordern eine Radikallösung: »Wir reduzieren, wo heute schon möglich, Verbandsklagerechte und setzen uns auf europäischer Ebene für ihre Abschaffung ein.« Die SPD trägt das bislang so nicht mit.
Erneuerbare Energien
CDU/CSU und SPD streben eine »pragmatische Energiewende« an. Dazu sollen die Potenziale von Sonnen- und Windenergie sowie von Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft ausgeschöpft werden. Streit gibt es aber um das Ausmaß des künftigen Windkraftausbaus. Die SPD will an der bisherigen gesetzlichen Vorgabe festhalten, Windkraftanlagen auf zwei Prozent der Fläche Deutschlands zu errichten. CDU und CSU lehnen das als zu unflexibel ab. Stattdessen wollen sie die Möglichkeit schaffen, als Zielmarke den Anteil von Ökostrom am Strommix heranzuziehen – unabhängig von dessen Quelle.

Kein Ausgleich mehr für »klimafreundliche« Naturzerstörung?
Bisher muss bei nicht vermeidbaren ökologischen Schäden durch den Bau von Straßen, Leitungen oder Windrädern ein Ausgleich für die Natur geschaffen werden. Eine solche »Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahme« kann zum Beispiel darin bestehen, ein Biotop anzulegen oder eine Fläche zu renaturieren. Die Union will diese Pflicht bei »Eingriffen zum Schutz von Mensch und Umwelt« abschaffen. »Bei Projekten der Energiewende verzichten wir künftig auf den naturschutzrechtlichen Ausgleich, denn Klimaschutz ist als solcher schon der beste Umwelt- und Naturschutz«, schreiben die Unions-Unterhändler für die Klima-Politik. Die SPD will diesen weitgehenden Schritt bisher nicht mittragen, so dass nun die Koalitionsspitzen darüber entscheiden müssen.
Paris-Abkommen und EU-Klimaziele gelten
Auch eine neue Regierung aus Union und SPD bekennt sich zum Pariser Klimaabkommen und hält am Ziel fest, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Die Ampel-Koalition hatte mit dem Zusatz »spätestens« leicht höhere Ambitionen in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Weil Treibhausgasneutralität wegen unvermeidbarer Emissionen nur dann erreicht werden kann, wenn parallel zu den Reduktionen auch Kohlendioxid aus der Luft entfernt wird, setzen Union und SPD auf die Förderung der umstrittenen Methode, Kohlendioxid in Gesteine beispielsweise im Meeresboden zu verpressen. Für den Bau von Anlagen für dieses Carbon Capture and Storage (CCS) sollen Hürden dadurch aus dem Weg geräumt werden, dass CCS per Gesetz ein »überragendes öffentliches Interesse« zugebilligt wird – wie es die Ampel-Regierung zur Beschleunigung des Ausbaus von erneuerbaren Energien bereits für Windkraftanlagen eingeführt hatte. CO2-Speicherung per CCS soll künftig in Deutschland sowohl offshore als auch an Land möglich werden.
Klimaschutz ohne Heizungsgesetz
Beide künftigen Koalitionäre wollen klare Kante zum Debakel der Ampel-Koalition beim Heizungsgesetz zeigen. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte versucht, die Klimawende im Gebäudesektor durch umstrittene Vorgaben zum schnellen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen beim Heizen voranzubringen, und war damit gescheitert. »Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen«, sind sich SPD und Union in der Arbeitsgruppe Infrastruktur, Verkehr, Bauen und Wohnen einig. Allerdings blockiert die SPD dieselbe Formulierung im Papier der Klima-Unterhändler und plädiert stattdessen für eine Novelle des Heizungsgesetzes und »praktikable Übergangslösungen«. Wie eine Alternative zum Heizungsgesetz aussehen könnte oder welches die angestrebten Übergangslösungen sind, führt allerdings keine der beiden Arbeitsgruppen im Detail aus. Die SPD schlägt vor, künftig die »CO2-Vermeidung zur zentralen Steuerungsgröße« zu machen, »um die Gesamteffizienz eines Gebäudes durch Heizung, Gebäudehülle und Umfeldmaßnahmen zu verbessern«.
Tempolimit
Seit Jahren empfiehlt das Umweltbundesamt ein Tempolimit als wirksame und besonders kostengünstige Klimaschutzmaßnahme. Bei diesem emotionalen Reizthema stehen sich SPD und Union auch in den Koalitionsverhandlungen unversöhnlich gegenüber. Während die SPD »ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen« einführen will, lehnen die Unionsparteien dies strikt ab.
Bahn und Deutschlandticket
Für den Klimaschutz unerlässlich ist ein funktionierender Bahnverkehr. Hier versprechen die Koalitionäre in spe einen massiven Aus- und Neubau mit dem Ziel, »einen integrierten stabilen Takt zwischen Nah- und Fernverkehr« zu schaffen. Die Digitalisierung und die Elektrifizierung der Bahn sollen aus den Milliarden zum Klimaschutz finanziert werden, die die Grünen zuletzt als Gegenleistung für ihre Unterstützung der nötigen Grundgesetzänderungen durchgesetzt haben.
Das Deutschlandticket soll es auch über 2025 hinaus geben – ab 2027 dürfte es aber deutlich teurer werden. Denn ab dann soll der Anteil, den Nutzerinnen und Nutzer an den Kosten zu tragen haben, schrittweise und sozialverträglich erhöht werden.
Rückkehr zur Atomkraft?
CDU und CSU wollen die Tür für eine Renaissance der Atomkraft in Deutschland offenhalten. »Gerade mit Blick auf die Klimaziele und die Versorgungssicherheit kann die Kernenergie eine bedeutende Rolle spielen«, schlagen die Unterhändler der Union als Formulierung für den Koalitionsvertrag vor. »Schnellstmöglich« nach Regierungsantritt sollten deshalb der TÜV und die Reaktorsicherheitskommission eine Prüfung dazu einleiten, ob die Wiederinbetriebnahme der stillgelegten deutschen AKWs unter vertretbarem technischem und finanziellem Aufwand möglich ist. Auf europäischer Ebene solle die Koalition auf die Forschung zu Kernenergieanlagen der neuesten Generation, Klein-AKWs und Fusionskraftwerken dringen. Die SPD dagegen lehnt jegliche Form der Kernkraftnutzung ab.
Naturschutz gegen Klimawandel
Zwei der wichtigsten Naturschutzvorhaben wollen SPD und Union fortführen. So soll das von der bisherigen grünen Umweltministerin Steffi Lemke auf den Weg gebrachte Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz dauerhaft gesichert werden. Mit dem Milliardenprogramm werden natürliche Ökosysteme wie Moore und Wälder renaturiert, damit sie als Hotspots der Artenvielfalt die Biodiversität bewahren und als Kohlenstoffspeicher gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Auch das im vergangenen Jahr europaweit auf den Weg gebrachte Renaturierungsgesetz soll weiterhin umgesetzt werden. Der von Lemke dafür vorgelegte Fahrplan, die Nationale Biodiversitätsstrategie, wackelt allerdings. Mit der Formulierung, es sollen die »praxistauglichen Maßnahmen« daraus umgesetzt werden, ermöglicht das Papier der künftigen Politik maximale Unverbindlichkeit.
Naturverträgliche Landwirtschaft
Das Anreizsystem für Landwirte, mehr für Klima, Natur und Tierwohl zu tun, soll finanziell besser ausstaffiert werden. So sollen beispielsweise Anreize geschaffen werden, um den Anteil von Bioprodukten in Kantinen zu erhöhen, was der Ökolandwirtschaft zugutekäme. Das Ziel der bisherigen Regierung von 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 wird indes gekippt. »Für uns sind konventionelle und ökologische Landwirtschaft gleichwertige Bewirtschaftungsformen«, heißt es stattdessen.
Landwirte sollen zudem Steuerbefreiungen erhalten, wenn sie Kraftstoff nutzen, der aus Getreide oder Ölpflanzen wie Raps erzeugt wurde. Das ist unter Fachleuten umstritten, denn wo vermehrt Energiepflanzen angebaut werden, gehen Flächen für die Lebensmittelproduktion verloren. Zudem wächst der Druck auf die wenigen bisher für die Artenvielfalt reservierten Äcker und Felder.
Keine Wende bei Pestiziden
Nach der EU verabschiedet sich auch Deutschland von konkreten Zielen für weniger Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft. »Der effiziente Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist ein wichtiges Instrument der landwirtschaftlichen Erzeugung«, heißt es hierzu im Koalitionspapier der Arbeitsgruppe für Landwirtschaft und Umwelt. Der Umfang versprühter Pflanzenschutzmittel soll durch finanzielle Anreize für die Präzisionslandwirtschaft gesenkt werden. Konkrete Reduktionsziele gibt es aber nicht. Auf Druck der protestierenden Landwirte hatte schon EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Plan auf Eis gelegt, den Pestizideinsatz europaweit bis 2030 zu halbieren und damit die wichtigste Ursache für den Verlust von Biodiversität zu bekämpfen.
Feuer frei auf den Wolf
SPD und Union unterstützen den Plan von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Wölfe künftig leichter töten zu können. Der Plan der EU-Kommission, dazu den Schutzstatus der Raubtiere abzusenken, wird von den künftigen Koalitionären unterstützt. In Deutschland soll der Wolf »umgehend« ins Jagdrecht aufgenommen werden.
Gentechnik im Essen
Ob gentechnisch veränderte Lebensmittel in Zukunft gekennzeichnet werden müssen, ist fraglich. Eine entsprechende Forderung der SPD stellten CDU und CSU auf »strittig«. »Die Nutzung moderner Technologien bietet große Chancen für die Ertrags-, Ernährungs- und Einkommenssicherung …«, betonen CDU und CSU stattdessen. Das wiederum will die SPD nicht mittragen.
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