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Kritische Rohstoffe: Auf der Suche nach Europas Lithium

Mehr Kontrolle, weniger Abhängigkeit von China – es gibt gute Gründe, den Batterierohstoff Lithium in Europa zu fördern. Eine Trendwende beim Bergbau zeichnet sich ab. Doch es gibt auch Widerstand.
Hecks von Elektroautos, die mit Ladestationen verbunden sind.
Elektroautos an der Ladestation.

Ohne Lithium wird für die Wirtschaft in Deutschland und der EU künftig gar nichts mehr gehen. So sehen es die Pläne für den Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2045 vor. Mehrere Kilogramm des silberweißen Leichtmetalls stecken im Akku jedes Elektroautos. Auch für den Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Rohstoff zentral. Deutschland verlässt sich bei der Versorgung mit Lithium fast vollständig auf Importe von außerhalb Europas. Doch nun beginnt eine Trendwende – aus gutem Grund.

Der Rohstoff kommt heute hauptsächlich aus der Atacama-Wüste in Chile und aus China. »Diese Konstellation ist anfällig für Störungen«, sagt Michael Schmidt, Geologe bei der Deutschen Rohstoffagentur, die zur Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) gehört. Wenn etwa China Lieferungen einstellt oder sich Chile entscheidet, andere Abnehmer zu bevorzugen, drohen in Deutschland die Fließbänder der Autofabriken stillzustehen, warnt Schmidt. Und: »Von Lithiumbatterien hängt zunehmend auch die Speicherung von erneuerbaren Energien ab.« Die Großakkus, die überschüssigen Strom aus Wind- und Solarparks aufnehmen und bei Bedarf wieder ins Netz speisen sollen, können ohne das Element nicht laufen.

Anfang November 2024 wird im Frankfurter Stadtteil Höchst eine Industrieanlage eingeweiht. Von außen sieht sie unscheinbar aus. Im Inneren geht es darum, Deutschland mit heimischem Lithium aus so genannten kontinentalen Tiefenwässern zu versorgen. Am Oberrheingraben pumpt die Firma Vulcan Energy aus bis zu 3000 Meter Tiefe mit heißem Wasser, das Wohnungen heizt, auch Lithiumchlorid an die Oberfläche. Im nahen Frankfurt soll diese Verbindung in hochreines Lithiumhydroxid umgewandelt werden. Jenen Reinstoff, der am Ende der Verarbeitungskette in den Batterien zum Einsatz kommt.

Nach Jahrzehnten, in denen Rohstoffgewinnung den Deutschen immer fremder wurde und metallurgische Industrien nach Asien abwanderten, soll Lithium nun direkt in Deutschland und anderen europäischen Ländern gefördert werden. Auch die zahlreichen Verarbeitungsschritte vom Erz über das Zwischenprodukt Lithiumkarbonat bis zur technisch reinen Batteriezutat sollen wieder stärker in Eigenregie stattfinden.

In Deutschland entsteht eine Lithium-Infrastruktur

Die Anlage in Höchst dient der weiteren »Optimierung« der Prozesse, noch gibt es einiges zu erforschen. Das Unternehmen mit Sitz in Karlsruhe spart aber nicht mit Superlativen darüber, dass hier nicht importiertes, sondern eben heimisches Lithium verarbeitet wird: »Diese Anlage wird das erste batteriefertige Lithiumhydroxid produzieren, das jemals aus einer europäischen Lithiumressource und ohne die Nutzung fossiler Brennstoffe gewonnen wurde«, teilte sie Anfang Oktober 2024 mit. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein hat sich für die Zeremonie angekündigt. Das Unternehmen verspricht seinen Investoren und den Industriekunden, ab Ende 2026 rund 24 000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr anbieten zu können: »Dies würde für die Herstellung von Batterien für rund 500 000 Elektrofahrzeuge pro Jahr ausreichen.«

Es ist die zweite Eröffnung einer Lithiumfabrik in Deutschland in kurzer Zeit. Mitte September 2024 ging am traditionsreichen Chemiestandort Bitterfeld-Wolfen eine 145 Millionen Euro teure Anlage der Frankfurter Advanced Metallurgical Group (AMG) in Betrieb. Dort verarbeiten anfangs 80, künftig 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Lithium-Silizium-Verbindung aus einer firmeneigenen Mine in Brasilien zum batterietauglichen Lithiumhydroxid weiter. Einen weiteren Aufbereitungsschritt in China, der bisher auf dem Weg zum technisch reinen Produkt nötig ist, möchte die Firma ab 2026 selbst kontrollieren. Zudem will AMG bald bei einem heimischen Lithiumbergwerk in Sachsen mitmischen. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Reiner Haseloff hob bei der Eröffnung die »große strategische Bedeutung« von Lithium-Investitionen hervor.

Das sieht auch Bundeskanzler Olaf Scholz so. Im Juli 2024 reiste er mit großem Tross nach Serbien, um sicherzustellen, dass die dortige Regierung alles dafür tut, im Jadartal ein umstrittenes neues Lithiumbergwerk des Bergbaukonzerns Rio Tinto in Betrieb zu nehmen und den Rohstoff vor Ort für den deutschen und europäischen Markt aufzubereiten. An dem Projekt beteiligt ist auch der deutsche Autohersteller Mercedes.

Lithium aus eigener Hand

Das Timing für den Einstieg in die heimische Lithiumwirtschaft mag aktuell etwas unglücklich wirken. Die Preise für das Metall sind nach einer starken Zunahme 2022 zuletzt wieder deutlich gesunken. Echte Engpässe gab es bisher keine. Zudem kriselt die Nachfrage nach Elektroautos, FDP und Union wollen dem Verbrennungsmotor doch noch eine Zukunft geben. Muss man da wirklich in eine heimische Förderung und Verarbeitung von Lithium investieren und in Serbien ein Projekt forcieren, gegen das es in der Bevölkerung erhebliche Widerstände gibt?

»Ein Beitrag dazu, dass Europa in einer Welt, die sich ändert, souverän bleiben kann und nicht von anderen abhängig ist«Olaf Scholz, Bundeskanzler

Die Prognosen der Deutschen Rohstoffagentur sprechen deutlich dafür: Demnach wird allein der europäische Lithiumbedarf bis 2030 auf 77 000 Tonnen reines Metall steigen – das ist in etwa so viel wie der gesamte Weltverbrauch des Jahres 2020. Auch für Deutschland rechnen die Experten mit Zuwachsraten von 15 bis 22 Prozent pro Jahr – trotz Fortschritten in der Batterietechnologie, mit denen sich mehr Energie in weniger Lithium speichern lässt. Zudem macht der so genannte Critical Raw Material Act der EU strikte Vorgaben, um Europas Eigenständigkeit in einer von Krisen und Spannungen geprägten Welt zu erhöhen. Das Gesetz, das im Mai 2024 in Kraft getreten ist, schreibt vor, bis 2030 zehn Prozent der benötigten kritischen Rohstoffe – zu denen Lithium zählt – in der EU zu fördern, 40 Prozent selbst bis zur technischen Reinheit weiterzuverarbeiten und 25 Prozent zu recyceln.

Für eine stärkere europäische Versorgung mit dem Rohstoff setzt die Bundesregierung vor allem auf den EU-Beitrittskandidaten Serbien, wo Geologen unter der idyllischen Agrarlandschaft des Jadartals ein großes Vorkommen aufgespürt haben. Bei seinem Besuch dort im Juli bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz das Bergwerk als ein »wichtiges europäisches Projekt, das man gar nicht hoch genug einschätzen kann, und auch ein Beitrag dazu, dass Europa in einer Welt, die sich ändert, souverän bleiben kann und nicht von anderen abhängig ist«. Scholz fordert, dass die serbische Regierung nicht erneut dem Druck von Umweltorganisationen nachgibt, sondern das Untertagebergwerk baldmöglichst seinen Betrieb aufnimmt.

Konflikte um den Bergbau sind absehbar

Die Regierung in Berlin sorgt sich, dass Russland gezielt Desinformation über das Projekt verbreitet, um die wirtschaftliche Annäherung von Serbien mit Deutschland und der EU zu unterminieren. Groß war im Berliner Kanzleramt und im Wirtschaftsministerium deshalb die Verärgerung über eine Publikation von serbischstämmigen Wissenschaftlern Ende Juli 2024 in der Fachzeitschrift »Scientific Reports«, die massive drohende Schäden für Natur und Landwirtschaft an die Wand malte. Das Bergwerk würde das Wasser der Region vergiften und »den Lebensunterhalt von 20 000 Menschen zerstören«, schrieb die Autorengruppe um Dragana Đorđević vom Institut für Chemie, Technologie und Metallurgie der Universität Belgrad. Damit bekamen die Proteste eine Art wissenschaftliche Legitimation.

Der Rio-Tinto-Konzern hat beim Verlag inzwischen Beschwerde eingelegt, mit dem Vorwurf, dass falsche Angaben gemacht worden seien. Auch BGR-Geologe Michael Schmidt sieht die Publikation kritisch: »Fragen, Kritik und die Einbindung der Zivilgesellschaft zu solchen Projekten sind legitim und richtig«, sagt er, »aber diese Warnungen sind aus meiner Sicht zumindest teilweise nicht sachlich und nicht faktenbasiert.« Es gebe in der Publikation gravierende Mängel.

So habe sich die Kritik auf alte Pläne bezogen, neue Daten seien nicht berücksichtigt worden. Halden, Abraummengen und Wassernutzung würden nämlich nun so ausgelegt, dass keine gravierenden Schäden zu erwarten seien. »An der Oberfläche wird man lediglich Fördertürme sehen und vom Abraum selbst wird in 30, 40 Jahren nur noch ein Hügel übrig sein«, sagt Schmidt. Bergwerk und Aufbereitung im Jadartal sollen künftig rund zehn Prozent des europäischen Bedarfs an Lithiumkarbonat decken, den Fachleute für das Jahr 2030 erwarten – sofern das Vorhaben realisiert wird.

Mit einem ihrer Kritikpunkte haben die Umweltinitiativen in Serbien aber in jedem Fall Recht: Deutschland hat bisher noch zu wenig getan, um seine eigenen Lithiumressourcen anzuzapfen. Dem Rohstoff-Report des Geologischen Dienstes der USA zufolge liegt Deutschland bei den bestätigten Lithiumvorkommen im Untergrund mit 3,8 Millionen Tonnen auf Platz sieben weltweit, unmittelbar nach China mit 6,8 Millionen Tonnen – und deutlich vor Serbien mit 1,2 Millionen Tonnen. In anderen EU-Ländern wie Tschechien, Portugal und Spanien kommen weitere zwei Millionen Tonnen hinzu.

Das Potenzial ist größer als gedacht

Mit Ausnahme von Portugal findet bisher in der EU selbst aber kaum Bergbau statt – aus mangelnder Wirtschaftlichkeit, aber auch aus Angst vor Protesten aus der Bevölkerung. »Wir plädieren sehr stark dafür, dass sich tatsächlich im Bewusstsein der Bevölkerung ein Verständnis dafür entwickelt, dass wir für Energiewende und E-Mobilität mehr heimische Rohstoffe, also auch neue Bergwerke brauchen«, sagt deshalb Anne Lauenroth, Rohstoffexpertin beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Der Wunsch könnte nun in Erfüllung gehen. In der EU sind aktuell rund 20 Lithiumprojekte in der Entwicklung. In Frankreich bereitet das Bergbau-Unternehmen Imerys vor, im Departement Allier 2027 eine Tagebaumine zu eröffnen. Und im Erzgebirge an der deutsch-tschechischen Grenze arbeitet die Zinnwald Lithium GmbH daran, bis 2030 ein Untertagebergwerk in Betrieb zu nehmen.

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Die Firma ist 2022 und 2023 mit sechs Diamantbohrern in das Gestein unter der Ortschaft Zinnwald vorgedrungen und hat dabei rund 27 Kilometer Bohrkerne entnommen. Die Untersuchungen haben CEO Anton du Plessis zufolge ergeben, dass in einem Gebiet mit rund einem Kilometer Ausdehnung bis zu 430 000 Tonnen Lithium enthalten sein könnten. »Das entspricht etwa dem Dreieinhalbfachen des bisher veranschlagten Wertes«, sagt er. Es handle sich um das zweitgrößte Hartgesteinvorkommen in der EU, nach einer noch größeren Lagerstätte nicht weit entfernt in Tschechien.

Das Unternehmen plant, das Erz vor Ort zu verarbeiten und pro Jahr 12 000 Tonnen Lithiumhydroxid für Batterien anbieten zu können. Dies würde für mehrere hunderttausend E-Auto-Batterien pro Jahr reichen, heißt es. Um die Mine rechtzeitig in Betrieb zu nehmen, arbeitet Zinnwald Lithium derzeit daran, die laut Bundesberggesetz nötigen Pläne und Umweltverträglichkeitsprüfungen vorzulegen.

Wenn der Abbau im Erzgebirge klappt und auch Unternehmen wie Vulcan Energy am Oberrheingraben und Neptune Energy in Sachsen-Anhalt bei ihren Vorhaben erfolgreich sind, Lithium mit heißem Wasser aus der Tiefe zu fördern, ist BGR-Geologe Schmidt optimistisch, was die Eigenversorgung betrifft. »Wenn alles gut läuft, sind in Europa im Bereich Bergbau 25 bis 50 Prozent möglich«, sagt er.

Der Industrie steht eine Durststrecke bevor

Anders sieht es bei einem weiteren im Critical Raw Material Act vorgegebenen Ziel aus: Ab 2030 soll ein Viertel des Lithiums wiederverwertet werden. Momentan gibt es dafür noch kaum Kapazitäten. Auch wenn es absurd erscheinen mag, sind Bergwerke bis auf Weiteres wirtschaftlich lohnender als die Extraktion des Materials aus alten Batterien. Das hat auch damit zu tun, dass im Moment noch sehr wenige Altbatterien zur Verfügung stehen. »Die Batterien, die wir heute recyceln, wurden vor 10, 15 Jahren hergestellt, und damals war noch nichts groß im Markt, 2030 werden dann die Batterien von 2018 oder 2020 recycelt«, sagt Michael Schmidt. Der Recyclingmarkt wachse noch heran und werde erst ab 2035 bis 2040 auf Grund höherer Rücklaufmengen wirklich groß.

Doch die gesamte Lithiumwirtschaft in Deutschland und Europa hängt davon ab, ob die Autokäufer bald ihre Zurückhaltung aufgeben und zunehmend zu Elektromodellen statt zu Verbrennern greifen. Dass der Anteil von E-Autos am Gesamtbestand noch immer unter fünf Prozent liegt und nach Angaben des Kraftfahrtbundesamts 2024 bisher bei nur 19,6 Prozent, findet BGR-Geologe Schmidt alarmierend. »Die Investitionen für die ganze Kette von Bergwerken, Aufbereitung und Recycling hängen davon ab, dass es eine ausreichende Nachfrage nach Batterien gibt«, sagt er. Wenn die Elektromobilität weiter schwächle, werde der ganze Aufbau der Lithiumwirtschaft in Europa schwieriger – und damit auch Erfolge bei der Energiewende.

Die Bundesregierung erwägt deshalb nicht nur, neue Kaufprämien für E-Autos einzuführen, sondern hat Anfang Oktober 2024 bekannt gegeben, dass sie Rohstoffunternehmen ab sofort direkt unter die Arme greifen will. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rief dazu den so genannten Rohstofffonds ins Leben. Die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) kann sich künftig mit je 50 bis 150 Millionen Euro an Rohstoffprojekten deutscher Unternehmen im In- und Ausland beteiligen, die einen Beitrag zur Versorgungssicherheit mit Rohstoffen leisten. Dabei kann es laut Ministerium um die Gewinnung, die Weiterverarbeitung und das Recycling von Rohstoffen gehen.

Rohstoffexperte Schmidt hält derartige staatliche Unterstützungen für notwendig. Er kommt aus Bitterfeld und sagt, er habe dort miterlebt, wie die deutsche Solarzellenindustrie im so genannten Solar Valley zuerst aufgeblüht, dann aber wegen staatlich subventionierter chinesischer Billigkonkurrenz wieder eingegangen sei. »Wenn man den deutschen Solarfirmen damals durch die Hungerjahre geholfen hätte, wären wir in diesem Sektor heute wahrscheinlich besser aufgestellt und weniger auf Importe angewiesen«, sagt er. Es dürfe sich jetzt bei der Lithiumwirtschaft nicht wiederholen, dass China alles dominiere: »Das kann eigentlich niemand wollen.«

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