Mars Sample Return: Rückholaktion für Marsgestein droht zu scheitern
Die NASA hat ein Milliarden-Dollar-Problem. Seit Jahrzehnten arbeitet die US-Weltraumbehörde daran, Proben vom Roten Planeten mit Robotern zu bergen und zur Untersuchung auf die Erde zu bringen – für viele Planetenforscherinnen und -forscher ein absolutes »Muss«. Doch nun steht die Mission vor dem Scheitern: Budget und Zeitplan erweisen sich als völlig unrealistisch. Die amerikanische Regierung drohte zuletzt bereits damit, das Vorhaben komplett einzustellen. Das Projekt soll jetzt grundlegend überarbeitet werden, doch wie oder wann die Mars Sample Return (MSR) jemals auch nur von der Erde abhebt, ist völlig unklar.
Der ganze Tumult brach im September 2023 aus, als ein von der NASA eingerichtetes unabhängiges Prüfungsgremium eine Revision der MSR-Mission vornahm. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass das Projekt in seiner derzeitigen Form wahrscheinlich zwischen acht und elf Milliarden Dollar kosten würde – mehrere Milliarden Dollar über dem empfohlenen Finanzlimit. Darüber hinaus stellte das Gremium fest, dass die Wahrscheinlichkeit, wichtige MSR-Elemente für die in den Jahren 2027 und 2028 geplanten Starts fertig zu bekommen, gegen null geht – ganz zu schweigen von der für 2033 geplanten Rückkehr zur Erde.
Einer der Hauptgründe für die hohen Kosten und die Verzögerungen ist die komplexe Architektur der Mission. Der offizielle Plan sieht vor, dass ein von der NASA gebauter Lander zum Mars reist und eine kleine Rakete zur Rückführung von Proben sowie einen von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) bereitgestellten Roboterarm beherbergt. Der Lander würde in der Nähe des Perseverance-Rovers landen, der bereits fleißig Behälter mit sorgfältig kuratierten Proben von seinen Erkundungen rund um den Jezero-Krater abgeworfen hat. Diese Proben sollen von Perseverance aufgenommen und in die Rakete gesteckt – oder vielleicht sogar von ein paar neu gefertigten Flugdrohnen abgeholt werden.
Die mit Proben beladene Rakete würde in eine Umlaufbahn um den Mars starten und dort auf ein von der ESA bereitgestelltes Raumfahrzeug treffen, das dann zur Erde fliegt. Die in einer Schutzkapsel eingeschlossenen Proben sollen schließlich aus dem Weltraum abgeworfen werden und auf einem Test- und Übungsgelände im US-Bundesstaat Utah landen, wo sie geborgen und zur Verarbeitung und weiteren Untersuchung in eine spezielle Einrichtung gebracht werden.
USA-weit arbeiten derzeit mehr als 1300 Menschen an der MSR-Mission, doch deren Anzahl sinkt. Nach der Veröffentlichung des Prüfungsberichts drückte die NASA den Pausenknopf für das Projekt: Die Raumfahrtbehörde kündigte an, dass mehrere ihrer Forschungszentren die damit verbundenen Arbeiten »zurückfahren« würden. Im Jet Propulsion Laboratory, der Institution, die das Projekt verwaltet, wurde ein Einstellungsstopp verhängt. Bereits im Januar entließ das Labor 100 seiner Auftragnehmer. Die Verlangsamung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die NASA auf Grund der im Kongress beschlossenen Schuldenobergrenze mit einem eingeschränkten Budget konfrontiert ist. Der Haushaltsvorschlag des Repräsentantenhauses sieht für das Jahr 2024 auf Antrag der NASA fast eine Milliarde Dollar für das Projekt vor, während der Haushalt des Senats nur 300 Millionen Dollar veranschlagt – und der Mission ausdrücklich mit der Streichung droht, wenn die Kosten des Programms nicht eingedämmt werden können.
Als Reaktion darauf richtete die NASA ein unabhängiges Prüfungsgremium ein, das von Sandra Connelly, der stellvertretenden Verwaltungsleiterin des Wissenschaftsdirektorats der Raumfahrtbehörde, geleitet wird. Connelly soll in einer »Town Hall«-Sitzung über den Prozess und die Fortschritte des Gremiums informieren. In der Zwischenzeit hat die Agentur ihre Pläne zur Bestätigung der offiziellen Missionskosten und des Zeitplans verschoben, bis die Ergebnisse des Gutachtens vorliegen.
»Das Team wird bis zum zweiten Quartal des Jahres 2024 eine Empfehlung abgeben, wie es mit der Rückführung von Mars-Proben im Rahmen eines ausgewogenen wissenschaftlichen Gesamtprogramms weitergehen soll«, sagte Dewayne Washington, ein leitender Kommunikationsmanager der NASA, in einer Erklärung gegenüber »Scientific American«. »Die Agentur wird ihre Pläne zur Bestätigung der offiziellen Missionskosten und des Zeitplans bis zum Abschluss dieser Überprüfung zurückstellen.«
Die ESA ihrerseits behauptet, dass sie »unablässig auf die Erfüllung aller ihrer Verpflichtungen« hinarbeitet, um einen Start bereits im Jahr 2028 zu ermöglichen. Die ESA arbeite eng mit der NASA an der Neuplanung von Mars Sample Return, heißt es in einer entsprechenden Stellungnahme. »Auf Seiten der ESA werden die Ergebnisse der ESA/NASA-Studien als Optionen formuliert, und das weitere Vorgehen wird dann zusammen mit den ESA-Mitgliedstaaten entschieden.«
Eine Frage der Prioritäten
Der wissenschaftliche Wert des Projekts sei der Grund dafür, dass die NASA und die ESA den heiklen geopolitischen Drahtseilakt vollziehen, die MSR-Mission zu überarbeiten, sagt Victoria Hamilton, eine Planetengeologin am Southwest Research Institute in Boulder, Colorado. Hamilton ist auch Vorsitzende der Mars Exploration Program Analysis Group (MEPAG), eines Komitees, das die NASA bei ihren Plänen für den Roten Planeten berät.
Mehrere Studien der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften hätten die Probenrückholung in der Vergangenheit als höchste wissenschaftliche Priorität für alle robotischen Erkundungsbemühungen der NASA bezeichnet, betont Hamilton. In der Zehn-Jahres-Planung aus dem Jahr 2022 bezifferten die Fachleute die nominalen Kosten für die MSR-Mission auf 5,3 Milliarden Dollar und warnten davor, dass eine Überschreitung »das langfristige programmatische Gleichgewicht des Planetenportfolios [der NASA] untergraben könnte«.
»Neben dem wissenschaftlichen Nutzen werden die Erkenntnisse aus der MSR-Mission auch in die Pläne für die Erforschung des Mars durch Menschen einfließen«Victoria Hamilton, Planetengeologin
Diese Ausgewogenheit ist laut Hamilton von entscheidender Bedeutung, denn der Mars ist nicht das einzige verlockende Ziel, das um mehr Aufmerksamkeit und Fördergelder buhlt. Dieselbe Zehn-Jahres-Planung, die die Vorrangstellung der MSR-Mission untermauerte, legte auch mehrere andere Ziele mit hoher Priorität fest: darunter etwa die Robotermissionen zum Uranus, zur Venus und zu den geheimnisvollen Saturnmonden Enceladus und Titan. Unkontrollierte Kosten- und Terminüberschreitungen könnten sich leicht auf die gesamte Abteilung für Planetenforschung der Raumfahrtbehörde auswirken und andere Projekte stören – ganz zu schweigen von den Bemühungen der NASA, Menschen zum Mars zu schicken.
»Neben dem wissenschaftlichen Nutzen werden die Erkenntnisse aus Mars Sample Return auch in die Pläne für die Erforschung des Mars durch Menschen einfließen«, sagt Hamilton. »Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wie wir darüber reden können, Menschen zum Mars zu schicken, um dort Wissenschaft zu betreiben, wenn eine wegweisende Mission wie diese als zu ehrgeizig oder zu kostspielig angesehen wird.«
Andere wiederum können nicht verstehen, wie die MSR-Mission in ihrer jetzigen Form der Planetenwissenschaft nutzen soll – und wie das Projekt so weit vorangetrieben werden konnte, bevor die Verantwortlichen offiziell für die Exzesse gerügt wurden. Ein erfahrener Funktionär der Weltraumbehörde, der anonym bleiben möchte, nennt den Plan unverblümt einen »Flächenbrand«. »Innerhalb der Community gibt es die Mars-Fraktion [die die MSR-Mission unterstützt]. Aber insbesondere diejenigen, die sich mit den äußeren Planeten beschäftigen, kümmert das Projekt nicht groß«, sagt der Insider. »Die Befürworter der Venus-Erforschung interessieren sich nicht dafür, ebenso wenig wie die Mond-Teams. Und dann ist vermutlich sogar eine Hälfte der Mars-Gemeinde der Meinung, dass man sich für die geschätzten Kosten des Mars Sample Return eine Menge Mars-Rover vorstellen kann, die über die Oberfläche fahren, sowie eine ganze Flotte von Mars-Orbitern.«
»Es ist einfach zu sagen: ›Es muss neu und interessant sein, was immer wir finden.‹ Aber wir müssen dem Steuerzahler gegenüber verantwortungsbewusst sein und uns fragen, ob es die Kosten wert ist«Fran Bagenal, Planetologin
Fran Bagenal, Planetenforscherin am Laboratory for Atmospheric and Space Physics der University of Colorado Boulder und Veteranin mehrerer interplanetarer NASA-Missionen, ist skeptisch, dass sich die in die Höhe schießenden Kosten für die MSR-Mission trotz des astrobiologischen Potenzials lohnen werden. Das meiste Material im und um den Jezero-Krater sei zwar mehr als 3,7 Milliarden Jahre alt, merkt sie an – und damit ähnlich alt wie irdisches Gestein, das Hinweise auf frühes Leben enthalten soll. »Es ist aber wichtig zu fragen, was wir lernen, wenn wir viele Milliarden für die Rückführung von Proben vom Mars ausgeben«, sagt sie. »Es ist einfach zu sagen: ›Es muss neu und interessant sein, was immer wir finden.‹ Aber wir müssen dem Steuerzahler gegenüber verantwortungsbewusst sein und uns fragen, ob es die Kosten wert ist.« Investitionen in die Entwicklung besserer Methoden für robotergestützte In-situ-Untersuchungen auf dem Mars könnten ihrer Meinung nach eine erschwinglichere Option sein, die auch neue Ansätze für andere Ziele wie die Venus und den eisigen, ozeanischen Jupitermond Europa ermöglicht.
Der Aha-Moment
Laut Scott Hubbard, von 2000 bis 2001 der erste amtierende Direktor des Mars-Forschungsprogramms der NASA, gibt es eine einfache Erklärung für die programmatischen Fehlkalkulationen der MSR-Mission. Historisch gesehen, so sagt er, neige die NASA dazu, die Missionskosten zu niedrig anzusetzen, um ein Projekt genehmigen zu lassen; der Aha-Moment komme erst später. »Die NASA verlässt sich sehr darauf, ob bewusst oder unbewusst, dass er kommt, dieser Moment«, sagt er – vor allem bei ehrgeizigen Initiativen wie Mars Sample Return.
»Es gibt Materialanalysen, die selbst mit dem bestausgestatteten Rover auf der Marsoberfläche nicht möglich sind – auf der Erde dagegen schon«Bruce Jakosky, Planetengeologe
Bruce Jakosky, Wissenschaftler am Laboratory for Atmospheric and Space Physics der CU Boulder und ehemaliger Forschungsleiter der NASA-Sonde MAVEN, die seit 2014 den Mars umkreist, hat jahrzehntelang das Klima, die Atmosphäre und die mögliche Bewohnbarkeit des Roten Planeten erforscht. Der wissenschaftliche Wert der Rückführung der von Perseverance gesammelten Mars-Proben zur Erde könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, meint er. »Es gibt Materialanalysen, die selbst mit dem bestausgestatteten Rover auf der Marsoberfläche nicht möglich sind – auf der Erde dagegen schon«, sagt Jakosky.
Und die Probenrückführung sei noch aus einem anderen Grund wichtig, fügt Jakosky hinzu. »Es ist eine Demonstration der Fähigkeit, eine Hin- und Rückreise zum Mars zu unternehmen. Das wird unglaublich wertvoll sein im Hinblick auf die Risikominimierung bei der Vorbereitung bemannter Missionen zum Mars«, sagt er. »Da die Planung von bemannten Marsmissionen bereits in vollem Gange ist, scheint dies ein notwendiger Schritt auf dem Weg dorthin zu sein.«
Die Rettung der MSR-Mission, sagt Scott Hubbard, könne es erforderlich machen, das Projekt zu einer »All-of-NASA-Initiative« zu machen, um die Pläne und Budgets der Behörde für bemannte Missionen zu nutzen. Das könnte neue Missionsprofile ermöglichen, die die Komplexität – wenn auch nicht die Kosten – reduzieren. Die neue Megarakete der NASA, das Space Launch System (SLS), ist für die Beförderung von Besatzungen und schweren Nutzlasten zum Mond gedacht, aber ihre enorme Größe könnte alle geplanten Elemente von Mars Sample Return aufnehmen, die derzeit für zwei separate Raketen vorgesehen sind. Mit der SLS-Rakete, sagt Hubbard, »könnte man wahrscheinlich das ganze Ding auf einen Schlag starten«. (Ein SLS-Start kostet allein jedoch mehr als zwei Milliarden Dollar und damit etwa 40 Prozent des gesamten MSR-Basisbudgets, abgesehen von den ohnehin bereits prognostizierten Überschreitungen in Milliardenhöhe.)
Der China-Faktor
Für James Head, Planetenforscher an der Brown University, geht es nicht um eine einzige Mission zur Rückführung von Proben vom Mars, sondern um viele. »Es gibt so zahlreiche grundlegende wissenschaftliche Fragestellungen und so viele verschiedene Orte, an denen man sie untersuchen kann, dass mehrere Missionen zur Rückführung von Mars-Proben unerlässlich sind«, sagt er.
Das Ganze ist kein Hirngespinst: China etwa plant bereits eine eigene Mission mit dem Namen Tianwen-3, die im Jahr 2028 starten und bereits Mitte 2031 Marsgestein zur Erde bringen soll. Im April letzten Jahres war James Head Mitveranstalter einer Tagung über das Vorhaben im chinesischen Hefei. »Die Chinesen kommen mit dieser Mission eindeutig voran«, sagt er und verweist auf die große Zahl chinesischer Universitätsstudenten und Forscher aus Instituten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, die bereits Landestellen für Tianwen-3 vorgeschlagen haben. »Wir sind guter Dinge und arbeiten bereits daran, den Landeplatz festzulegen«, sagt Yang Liu, Planetenforscher am National Space Science Center in Peking. Die Probennahme und -rückführung mit dem Tianwen-3-Lander, so Liu, orientiere sich an der chinesischen Chang'e-5-Mondmission, die auch ohne Rover in die Mondoberfläche gebohrt und Gestein entnommen habe, das im Dezember 2020 erfolgreich zur Erde zurückgeschossen wurde.
Einer der anvisierten Aufsetzpunkte ist der südliche Teil von Utopia Planitia, einem riesigen Einschlagbecken in den mittleren Breiten der nördlichen Mars-Hemisphäre, das der chinesische Rover Zhurong bereits 2021 und 2022 erkundet hat. (Die NASA-Landeeinheit Viking 2 war 1976 ebenfalls dort gelandet.) »Es scheint klar zu sein, dass ein bedeutender Teil der geologischen Geschichte des Mars in den Proben aus diesem Gebiet enthalten sein wird«, sagt Head.
Für den Fall, dass Chinas Mars-Proben die ersten – oder sogar einzigen – sind, die auf der Erde ankommen, sei es ideal, wenn US-Forscher an diesen Daten teilhaben könnten, sagt Head. Das US-Bundesgesetz schränke derzeit zwar die Zusammenarbeit der NASA mit China ein, aber die jüngste Genehmigung der Raumfahrtbehörde, dass von der NASA finanzierte Forscher an Studien zu den Mondproben von Chang'e-5 teilnehmen dürfen, sei ein sehr positives Zeichen, sagt er. »Wir alle hoffen, dass die NASA in der Lage sein wird, dies in Zukunft auf die bevorstehenden Chang'e-6-Mondproben von der Rückseite des Mondes und auf alle zukünftigen chinesischen Probennahmen vom Mars auszudehnen.«
Das beste Szenario, das Head und seine Mars-Kollegen sich vorstellen können, wäre natürlich, dass die NASA ihre eigene MSR-Mission zum Erfolg führt. Das Projekt weiter voranzutreiben oder auch nicht, sagt Head, stelle eine »folgenschwere Entscheidung« dar. Für die Raumfahrtbehörde – und die gesamte Nation.
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