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Paläontologie: Mehr Luft

Bekanntermaßen mussten die Säugetiere erst abwarten, bis die Dinosaurier ihnen Platz machten, um sich dann endlich frei entfalten zu können. Doch vielleicht wurde ihre erstaunliche Karriere von winzige Organismen draußen auf dem Meer ein wenig unterstützt.
Sie mussten lange auf ihre große Stunde warten. Über hundert Millionen Jahre vegetierten sie als unscheinbare Wesen im Schutz der Dunkelheit. Erst eine Katastrophe globalen Ausmaßes verhalf ihnen zum unverhofften Durchbruch: Vor 65 Millionen Jahren raste ein Meteor auf die Erde und vernichtete die damaligen Herrscher auf einen Schlag.

Dieses Szenario soll die erstaunliche Evolution der Säugetiere erklären. Denn die Ursprünge dieser Wirbeltierklasse – zu der auch der Mensch gehört – liegen weit zurück: Bereits im Erdmittelalter, vor über 200 Millionen Jahren, tauchten erste säugerähnliche Wesen auf. Die nur spitzmausgroßen Tiere lebten jedoch im Schatten der Dinosaurier und wagten sich vermutlich nur nachts hervor, um Insekten nachzustellen.

Ihre Blütezeit begann erst mit der Erdneuzeit, im Tertiär, als die Dinosaurier abtraten. Die jetzt frei gewordenen ökologischen Nischen wurden von den Überlebenden schnell besetzt – es kam zu einer wahren Artenexplosion, welche Paläontologen als adaptive Radiation der Säuger kennen.

Doch vielleicht ist das Ganze nur die halbe Wahrheit. Denn wenn es nach Paul Falkowski geht, haben nicht nur riesige Echsen, sondern auch winzige Algen im Meer die Karriere der Säuger entscheidend beeinflusst.

Zusammen mit seinen Kollegen rekonstruierte der Meeresbiologe von der Rutgers-Universität die Geschichte einer Substanz, die hier ein Wörtchen mitzureden hat: Sauerstoff.
"Die Natur ist verdammt kompliziert"
(Peter Ward)
Die Forscher machten sich die Tatsache zu Nutze, dass Pflanzen das stabile Kohlenstoffisotop 13C nicht mögen und daher bei der Fotosynthese in etwas geringerem Maße in ihre Biomasse einbauen. Da nun bei der Fotosynthese Sauerstoff entsteht, lässt sich über die 13C-Konzentration in Sedimenten die Fotosyntheserate und damit der Sauerstoff-Gehalt in der Atmosphäre vergangener Zeiten berechnen. Durch die massenspektrometrische Untersuchung verschiedener Bohrkerne konnten die Forscher die Veränderungen des globalen Sauerstoff-Gehalts während der vergangenen 205 Millionen Jahre abschätzen.

Demnach mussten die Organismen zu Beginn des Jura mit halb so viel Sauerstoff auskommen wie heute: Die Atmosphäre enthielt nur schätzungsweise 10 Volumenprozent des lebenswichtigen Gases. Doch nach und nach stieg der Sauerstoff-Gehalt, um schließlich im Eozän vor 50 Millionen Jahren auf 23 Prozent anzusteigen. In den letzten 10 Millionen Jahren sank er dann wieder auf den heutigen Wert von 21 Prozent ab.

Was war geschehen? Pangäa, der Superkontinent des Erdaltertums, zerbrach im Erdmittelalter. Damit öffnete sich der Atlantische Ozean und schuf Platz für ein blühendes Planktonleben. Insbesondere mikroskopisch kleine Kieselalgen müssen damals die Gelegenheit genutzt und per Fotosynthese reichlich Sauerstoff produziert haben.

Und das war die Chance für die Säuger, argumentieren die Forscher. Denn die gleichwarmen Tiere brauchen vier bis sechs Mal so viel Sauerstoff für ihren Stoffwechsel wie gleich große Reptilien.
"Je mehr Sauerstoff, desto größer die Säuger"
(Paul Falkowski)
Auch die entscheidende Erfindung der Säuger soll so möglich geworden sein: die Plazenta. Denn um einen Embryo ausreichend im Mutterleib zu versorgen, muss draußen genug Luft zum Atmen da sein.

"Aus den fossilen Belegen sehen wir, dass der Anstieg des Sauerstoff-Gehalts haargenau mit dem rasanten Aufstieg der großen plazentalen Säugetieren zusammenfällt", betont Falkowski. "Je mehr Sauerstoff, desto größer die Säuger. Wir glauben, dass der Anstieg des Sauerstoff-Gehalts den Säugetieren ermöglichte, äußerst groß zu werden – Säugetiere, wie das vier Meter große Riesenfaultier oder die gewaltigen Säbelzahnkatzen. Sie ebneten den Weg für alle folgenden großen Säuger, einschließlich uns selbst."

Doch nicht alle von Falkowskis Kollegen zeigen sich so begeistert. Der Biogeochemiker Andrew Watson von der Universität von East Anglia glaubt nicht an den niedrigen Sauerstoff-Gehalt während des Jura. Schließlich gäbe es Belege für damalige Waldbrände – was nur bei einer Sauerstoff-Konzentration von mindestens 13 Prozent möglich sei. Er hält einen Gehalt von 16 Prozent für wahrscheinlich.

Außerdem hätten auch in früheren Zeiten der Erdgeschichte weit höhere Sauerstoff-Verhältnisse vorgeherrscht, welche die Säuger wohl nicht zu nutzen wussten. "Die übliche Erklärung, warum die Säuger derart expandierten", meint Watson, "ist das Freiwerden der Nischen für große Tiere nach dem Aussterben der Dinosaurier."

Auch der Paläontologe Peter Ward von der Universität von Washington ist nicht davon überzeugt, dass der Sauerstoff-Gehalt wirklich die wichtigste Rolle bei der Evolution der Säugetiere gespielt hat und warnt vor zu einseitigen Betrachtungen: "Die Natur ist verdammt kompliziert."

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