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Paläontologie: Im Dschungel Südhessens

Von Eurotamandua, dem Ameisenbär, bis Diplocynodon, dem Hundszahnkrokodil - "Messel on Tour" zeigt, was in einer der reichsten Fossillagerstätten Deutschlands zu Tage kam: Spektakuläre Funde und alltägliche Bewohner bevölkerten einen tropischen Vulkansee vor 47 Millionen Jahren.
Fossil eines Doppelhundszahn-Krokodils
Aus allen Richtungen raschelt, zwitschert und quakt es, während die unerträglich schwüle Mittagshitze einem augenblicklich den Schweiß auf die Stirn treibt. Vorsichtig nähert sich ein seltsames Huftier dem dicht mit Bäumen und Palmen bestandenen Seeufer. Von dem lauernden Krokodil, das vor ihm ins Wasser eingetaucht ist, sieht man nicht mehr als seine Augen und Nasenlöcher.

Urpferdchen wurden oft nur terriergroß | Das kleine Messeler Urpferd (Eurohippus parvulus) erreichte gerade einmal die Größe eines Foxterriers und wird deshalb auch gerne als "Urpferdchen" statt als Urpferd bezeichnet. Im Körperbau ähnelten es Ducker-Antilopen und dürfte wie diese auch vorrangig als Buschschlüpfer im Unterholz gelebt haben.
Wir befinden uns in Darmstadt – genauer gesagt, im Darmstadt des Eozäns und damit in einer Zeit vor rund 50 Millionen Jahren und auf der Höhe von Sizilien. Die damaligen Klimabedingungen bescherten der Region beinahe tropische Verhältnisse. Und der beschriebene Kratersee und seine überbordende Flora und Fauna sollten es später einmal zu einer der reichsten Fossillagerstätten Deutschlands und einem Eldorado für Paläontologen bringen.

Darmstadt, heute: Wieder raschelt, zwitschert und quakt es überall, doch diesmal ist es angenehm kühl und schummrig. Von dem Krokodil, das vor uns in der Vitrine in Kunstharz getaucht ist, sieht man nicht mehr als Knochen und Teile des Schuppenpanzers. Und auch das seltsame Huftier – es handelt sich um ein nur terriergroßes Urpferdchen (Eurohippus parvulus) – ist zugegen: Ihm erging es keinen Deut besser.

Vom Kratersee zum Unesco-Weltnaturerbe

Fossil eines Doppelhundszahn-Krokodils | Das Doppelhundszahn-Krokodil Diplocynodon darwini wird mit Abstand am häufigsten gefunden und war wohl zumindest vorübergehend direkt im See heimisch. Die Tiere ähnelten heutigen Kaimanen und haben wohl auch ähnlich wie diese gelebt.
Wie die 123 anderen Fossilien der Ausstellung "Grube Messel on Tour" im Hessischen Landesmuseum sanken Urpferd und Krokodil kurz nach ihrem Tod auf den Grund des Maares, wo sie in einem sauerstoffarmen Faulschlamm eingeschlossen wurden. Über die Jahrmillionen verfestigten sich die Sedimente am Seegrund dann zu so genanntem Ölschiefer, der nicht nur Knochen, sondern auch Mageninhalt und Haare der Tiere hervorragend konservierte.

In den knapp eineinhalb Millionen Jahren seiner Existenz verschlang der See neben Reptilien, Insekten und Säugetieren zahllose weitere Exemplare einer Tierwelt, die heutzutage gleichzeitig fremd und vertraut wirkt. Seit 1995 zählt die flache Senke in der neun Kilometer von Darmstadt entfernten Ortschaft Messel zu den Weltnaturerbestätten der Unesco.

Ihre neuzeitliche Geschichte begann erst wieder im Jahr 1875, als Rudolf Ludwig dort fossile Überreste eines Krokodils entdeckte. Viel größeres Interesse weckte damals allerdings die wirtschaftliche Ausbeutung der Grube.
"Den sporadisch auftauchenden Knochenfunden schenkte man nur sehr zögerlich Beachtung"
(Gabriele Gruber)
"Den sporadisch auftauchenden Knochenfunden schenkte man nur sehr zögerlich Beachtung", erzählt die für die Konzeption der Ausstellung verantwortliche Paläontologin Gabriele Gruber. Wenig anschaulich sei das Fundmaterial gewesen und oft noch auf dem Nachhauseweg zerbröckelt. Immerhin sicherte sich Anfang des 20. Jahrhunderts das Großherzoglich-Hessische Landesmuseum Darmstadt ein Anrecht auf alle Funde für seine Sammlung.

Highlights und Starfossilien

Als in den 1960er Jahren systematische Ausgrabungen begannen, wuchs diese schnell zu stattlicher Größe heran – heute umfasst sie mehrere Tausend Exemplare. Den Fachmann begeistert nicht nur deren meist außergewöhnlich guter Erhaltungszustand, sondern oft auch ihre Seltenheit: Viele Stars der Sammlung fand man bisher nirgendwo sonst auf der Welt. Der Ameisenbär Eurotamandua joresi, dessen Nachfahren heute in Südamerika leben, ist ein solcher Sensationsfund. Ihn erwarb das Museum 2001 aus Privatbesitz.

Berühmter Ameisenbär | Das ausgezeichnet erhaltene Exemplar von Eurotamandua joresi wurde 1974 gefunden. Es ist das einzige vollständige Exemplar eines fossilen Ameisenbären außerhalb von Südamerika und der mit Abstand älteste und vollständigste Fund dieser Tiergruppe überhaupt.
Denn an der diffizilen Freilegung der Funde arbeiteten seit Beginn der Ausgrabungen nicht nur Experten des Landesmuseums und der Frankfurter Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, sondern auch engagierte Privatleute mit – im Wettlauf mit der Baggerschaufel des Tagebaus galt die Devise: Retten, was zu retten ist und zwar vor allem "die großen Viecher", gibt Gabriele Gruber schmunzelnd zu.

Ihr Kollege Norbert Micklich erklärt, wie die Restauratoren heute vorgehen: "Zunächst wird eine Seite vollständig freigelegt", wobei der Schiefer nie austrocknen dürfe. "In Kunstharz eingegossen, kann der Fund dann gewendet und von der andere Seite bearbeitet werden." So entstehen gelblich schimmernde Blöcke, in denen nur noch die Knochen aus Originalsubstanz bestehen. Jahre dauere es manchmal, bis große Exemplare vom Schiefer befreit seien, ergänzt Gruber: "Wer bis zum Feierabend seine zwei Quadratzentimeter Stein weggebohrt hat, kann behaupten, etwas erreicht zu haben."

Tiere in ihren Lebensräumen

Eine der begeisterten Privatpaläontologen ist Christa Behnke. Bis 2001 das Landesmuseum ihre Fossilien-Sammlung aufkaufte, hatte sie beinahe alle ihre 240 Fundstücke eigenhändig aufgearbeitet. 62 davon sind nun in der Ausstellung zu betrachten, und genauso viele steuerte das Museum aus dem eigenen Fundus bei. Dadurch könne man endlich sämtliche "Highlights" aus Messel präsentieren, ohne auf Abgüsse zurückgreifen zu müssen, meint Micklich.

Wie lebte das Scheinraubtier? | Das Scheinraubtier Lesmesodon behnkeae gilt als echter Jahrhundertfund, weltweit gibt es nur dieses einzige Exemplar. Das Tier war nicht ausgewachsen, denn es hat noch fast die komplette Milchbezahnung. Der gesamte Körperumriss ist bis in kleinste Details überliefert. Besonders einmalig ist die Ausbildung einer dicken, buschigen Schwanzbehaarung.
Neben Urpferdchen, Krokodilen und anderen Fossilien, denen die Grube Messel ihre Bekanntheit verdankt, beherbergt der Ausstellungsraum aber auch eine Vielzahl kleinerer Funde. Zu zeigen, wie der Lebensraum in und um den See einst bevölkert war, lautet das erklärte Ziel der Schau: Einzelne Tierarten sollen nicht gemäß ihrer biologischen Systematik präsentiert werden, sondern in ihren ursprünglichen Habitaten, also Lebensräumen.

Das beschränkt sich allerdings im Wesentlichen darauf, dass der Besucher etwa im ersten Vitrinentisch auf Fische als typische Bewohner des Freiwassers trifft. Daneben befinden sich dann in der Uferzone beheimatete Tiere wie Frösche und Schildkröten. Und so geht es reihum weiter, bis schließlich die Baumkronen und die Freifläche über dem Wasser erreicht sind.

Bei der Präsentation gaben sich die Ausstellungsmacher Mühe, möglichst authentisch die Atmosphäre eines tropischen Urwalds zu erzeugen: Vom Tonband schallen die Rufe von Fröschen und Vögeln, auf ringsum angebrachte Leinwände werden animierte Bilder der Habitate projiziert – sogar im Regen lässt das Museum den Besucher manchmal stehen: Dann nämlich, wenn er mehr über die ausgestellten Fundstücke erfahren will.

Ohne den "Dino-Faktor"

Zwar mag der Nicht-Biologe ahnen, dass sich hinter der Bezeichnung "Scheinraubtier" eine interessante Geschichte verbirgt; um sie zu erfahren, muss er allerdings entweder den Ausstellungskatalog konsultieren oder hoffen, dass er an den zwei Touch-Screen-Monitoren im Vorraum fündig wird.

Frosch aus Messel | Bei Eopelobates wagneri dürfte es sich um einen Vorläufer der heutigen Krötenfrösche handeln. Eopelabates-Exemplare dürften ein gutes Sprungvermögen besessen haben. Den Messel-See suchten sie wahrscheinlich höchstens zur Paarungszeit auf.
Gerade bei einer Fossilienschau, die ohne den "Dino-Faktor" auskommen muss, gilt es, das Interesse des Besuchers am Leben zu erhalten – da mag das ansprechende und ästhetische Ambiente allein vielen nicht genügen. Denn letztendlich unterscheidet sich ein Fischskelett des Eozäns für den Laien nicht wesentlich von einer abgenagten Forelle auf einem Teller unseres Holozäns. Was also macht die Tiere zu etwas Besonderem? Diese Frage bleibt in den meisten Fällen unbeantwortet.

Der Fairness halber sollte allerdings eingeräumt werden, dass den Planern von "Messel on Tour" bei der Gestaltung enge Grenzen gesetzt waren: Ab September dieses Jahres müssen alle Fundstücke und Vitrinen sorgfältig verpackt werden, um weiter durch Europa und schließlich die USA reisen zu können. Der wissenschaftlichen Bedeutung der Funde aus dem Weltnaturerbe ist das gewiss angemessen.

Zeit für die Forschung

Was dieses enorm wichtige Prädikat der Unesco den Ausgräbern bedeutete, lässt sich übrigens auf eine einfache Formel bringen:
"Wir spalten den Schiefer jetzt viel feiner und achten auf ganz andere Funde"
(Gabriele Gruber)
Endlich hatte man Zeit gewonnen. Kämpften die Paläontologen in den Jahren zuvor noch gegen den gefräßigen Tagebau und später gegen das absurd scheinende Ansinnen, die Grube zur Mülldeponie umzufunktionieren, hatten sie plötzlich Gelegenheit, sich in aller Ruhe der Rekonstruktion des einstigen Ökosystems zu widmen.

"Wir spalten den Schiefer jetzt viel feiner und achten auf ganz andere Funde", sagt Gruber. Eine genaue Einmessung der Schichtentiefe soll in Zukunft sogar ermöglichen, eine zeitliche Entwicklung im Fundspektrum festzumachen: Wie entwickelten sich die einzelnen Tierarten? Wie veränderte sich ihre Umgebung? Diese Fragen sollen nun – wie bereits bei vergleichbaren Fundstellen – auch für die Grube Messel beantwortet werden. Nicht nur von den Fossilien, auch von Bohrkernen durch die Sedimentschichten erhoffen sich die Paläontologen dabei Aufschluss.

Der Zugewinn für die Wissenschaft könnte auf der anderen Seite aber auch an Messels Image als Goldgrube der Paläontologen nagen:
"Die Grube Messel ist noch lange nicht erforscht!"
(Norbert Micklich)
Spektakuläre Funde werde seltener, räumt Micklich ein. "Die neuen Methoden sind langsamer, weil wir wesentlich weniger Material durchsuchen", sagt er und hofft auf die Geduld der Öffentlichkeit: "Die Grube Messel ist noch lange nicht erforscht!"


Die Ausstellung ist noch bis zum 30. September 2007 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt zu sehen.

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