Psychedelika: Psilocybin kann so gut wirken wie Antidepressivum
Das Psychedelikum Psilocybin verbessert die Symptome der Depression nach einem etablierten Schema ebenso gut wie ein herkömmliches Antidepressivum mit Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Gleichzeitig führt es zu weniger Nebenwirkungen. Das hat eine erste randomisierte, kontrollierte Studie ergeben. Die Studie war jedoch relativ klein und sollte nicht explizit zeigen, wie gut die Medikamente bei anderen Maßstäben des Wohlbefindens abschneiden.
In der Studie, die im »New England Journal of Medicine« veröffentlicht wurde, führten der Psychiater David Nutt, der Psychologe Robin Carhart-Harris und weitere eine sechswöchige Studie mit 59 Teilnehmern durch, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Eine Gruppe erhielt eine volle Dosis Psilocybin – der Wirkstoff in »magic mushrooms« – in Kombination mit einer Psychotherapie. Die andere Gruppe erhielt tägliche Mengen des SSRI Escitalopram plus zwei winzige Mengen Psilocybin mit Psychotherapie. Alle Teilnehmer litten an einer schweren depressiven Störung (major depressive disorder, MDD).
»Diese Studie legt eindeutig nahe, dass wir den rechtlichen Status von Psilocybin ändern müssen, weil er in krassem Widerspruch zu den Daten steht«, sagt Carhart-Harris. Die Forscher hatten zuvor eine offene Studie – bei der Probanden und Therapeuten wissen, welche Behandlung sie erhalten – und vier randomisierte kontrollierte Studien mit Psilocybin bei Depressionen und Angstzuständen durchgeführt. Aber bis dahin hatte keine randomisierte kontrollierte Studie Psilocybin direkt mit einem SSRI verglichen.
Psilocybin wird »Mainstream-Medizin«
Das Ergebnis: In der Psilocybin-Gruppe sank die Suizidalität, die Menschen empfanden eher Freude, und auch der psychologische Standard-Score für Depression war verringert. Insgesamt haben laut Carhart-Harris 70 Prozent der Probanden in der Psilocybin-Gruppe auf die Behandlung angesprochen, im Vergleich zu 48 Prozent derjenigen in der SSRI-Gruppe. Auch der Unterschied in den Remissionsraten war statistisch signifikant: Die Rate in der Psilocybin-Gruppe lag bei 57 Prozent, in der Escitalopram-Gruppe bei 28 Prozent.
Wege aus der Not
Denken Sie manchmal daran, sich das Leben zu nehmen? Erscheint Ihnen das Leben sinnlos oder Ihre Situation ausweglos? Haben Sie keine Hoffnung mehr? Dann wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.
Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 08001110111 und 08001110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 08001110333.
»Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen, und zwar genau in die Richtung, die wir vorhergesagt haben«, sagt Roland Griffiths, Direktor des Johns Hopkins Center for Psychedelic and Consciousness Research, der nicht an dieser Studie beteiligt war, aber im Jahr 2020 eine eigene Arbeit in »JAMA Psychiatry« veröffentlicht hatte; die erste randomisierte kontrollierte Studie, die die Psilocybin-Therapie bei MDD untersucht.
»Einer der bemerkenswertesten Aspekte dieser neuen Arbeit ist der Ort, an dem sie veröffentlicht wurde, das NEJM, das ein Marker dafür ist, wo die Mainstream-Medizin angesiedelt ist«, sagt der Psychiater Charles Grob von der University of California, Los Angeles, der ebenfalls nicht an dieser Studie beteiligt war und Psilocybin und andere Psychedelika seit Jahrzehnten untersucht. Seine meistzitierten Arbeiten untersuchten die Fähigkeit von Psilocybin, Ängste zu reduzieren und die Lebensqualität bei Patienten mit Krebs im Endstadium zu verbessern.
»Das zeigt auch, wo wir als Gesellschaft stehen«, sagt Grob. »Im Jahr 2006, als wir mit der Rekrutierung für unsere Krebsstudien begannen, war das eine große Herausforderung.« Im Vergleich dazu wurden die Wissenschaftler, die die neue Studie durchführten, mit Freiwilligen überhäuft: Sie untersuchten letztlich 1000 Personen, von denen sie nur 59 auswählten.
Alle dachten, sie bekämen Psilocybin – doch das stimmte nicht
Das Team rechnete damit, dass diese hohe Anzahl von Selbstempfehlungen, von denen die meisten eine starke Präferenz für Psilocybin gegenüber einem SSRI zeigten, wahrscheinlich die Ergebnisse der Studie beeinflussen würde, sagt Carhart-Harris. Diejenigen, die Escitalopram erhielten, würden sich wahrscheinlich enttäuscht äußern, und diejenigen, die Psilocybin erhielten, könnten sich noch mehr verbessern, als wenn die Studie vor zehn Jahren durchgeführt worden wäre. Viele Faktoren erschweren eine sorgfältige statistische Überprüfung psychedelischer Therapien und werfen die Frage auf, ob eine »Verblindung« der Probanden für die Behandlung, die sie erhalten, bei so starken psychoaktiven Drogen überhaupt möglich ist.
»Manchmal kommt die Aufregung vor der Wissenschaft«Gerard Sanacora, Psychiater
Die Forscher versuchten, diesen Effekt zu minimieren, indem sie den Personen in beiden Gruppen sagten, dass sie Psilocybin erhalten würden, um gleiche Erwartungen zu schaffen. Sie gaben beiden Gruppen die Standarderfahrung einer psychedelischen Dosis: eine ausgedehnte, vier- bis sechsstündige Sitzung, in der jeder Proband angewiesen wurde, mit verbundenen Augen still zu liegen und Musik zu hören, wobei ein oder zwei Therapeuten zur Unterstützung im Raum waren. Die Teilnehmer der Psilocybin-Gruppe erhielten eine 25-Milligramm-Dosis Psilocybin, um die volle Wirkung zu erzielen. Die Teilnehmer der Escitalopram-Gruppe erhielten eine Mikrodosis von einem Milligramm, die keine offensichtlichen psychedelischen Wirkungen hatte. Schließlich, nach der ersten Dosis, gab das Team jedem Probanden ein Fläschchen mit Pillen und wies sie an, eine pro Tag zu nehmen: Die Escitalopram-Gruppe erhielt den SSRI, während die Teilnehmer der Psilocybin-Gruppe einfach ein Placebo einnahmen.
Kritikpunkt: Es fehlte eine Placebogruppe
»Es erfordert eine sehr strenge wissenschaftliche Methodik, um die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungen wirklich zu verstehen«, sagt der Psychiater Gerard Sanacora, außerordentlicher Professor an der Yale School of Medicine und Direktor des Yale Depression Research Program, der nicht an der Studie beteiligt war. »Es handelt sich um eine relativ kleine Anzahl von Personen ohne Placebogruppe, so dass wir nur begrenzt Schlüsse aus diesen Daten ziehen können«, sagt er. »Ich betrachte diese Daten als viel versprechend und rechtfertige diese Studie. Aber manchmal kommt die Aufregung vor der Wissenschaft, deshalb müssen wir ehrlich sein und sagen, wo die Grenzen liegen.«
Sanacora merkt weiter an, dass die psychotherapeutische Komponente der Studie – die sowohl der Escitalopram- als auch der Psilocybin-Gruppe den gleichen Anteil an Vorbereitung, Beratung und Nachbereitung zukommen ließ – ungewöhnlich und bemerkenswert sei. Jeder Teilnehmer erhielt insgesamt zwischen 38 und 40 Stunden Psychotherapie – ungefähr doppelt so viel, wie Probanden in den meisten psychedelischen Studien erhalten. »Diese Art von psychosozialer Intervention ist sehr wirkungsvoll«, sagt er.
Eine psychologische Betreuung ist äußerst wichtig
»Der Grund, dass beide Gruppen gut abgeschnitten haben, ist, dass es so viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit in dieser Studie gab«, sagt die Psychologin Rosalind Watts, eine Mitautorin der Studie und Leiterin des klinischen Teils der Forschung. Sie ist jetzt Mitglied des Beirats von Synthesis, einem Zentrum, das psychedelische Therapie-Retreats in den Niederlanden anbietet. Diese Nation ist eines der wenigen Länder, in denen Psilocybin legal ist; in Form von Trüffeln. In Oregon stimmten die Bürger im November 2020 für die Legalisierung der Psilocybin-Therapie für medizinische Zwecke.
Die psychologische Komponente der psychedelischen Therapie ist laut Watts wesentlich für die Wirksamkeit – vor allem, weil die psychedelischen Erfahrungen beunruhigend, kraftvoll, verwirrend und sogar beängstigend sein können. Das Gefühl von Sicherheit und einer Allianz mit einem Therapeuten ist oft entscheidend für jeden psychologischen Durchbruch. Das gilt besonders für viele Patienten mit Depressionen, die sich häufig nicht trauen, neue Behandlungen auszuprobieren, nachdem viele versagt haben.
»Ich dachte, das Medikament würde vielleicht bei einigen Leuten funktionieren, aber wahrscheinlich nicht bei mir. Ich war ziemlich verängstigt, weil ich meinem Gehirn nicht wirklich vertraute; ich hatte das Gefühl, dass es immer gegen mich arbeitet«, sagt Ali Thorne, eine 32-jährige Krankenschwester aus Großbritannien, die an der Studie teilgenommen hat, nachdem sie zwei Jahrzehnte lang an Depressionen gelitten hatte. »Ich denke, die Studie – sowohl das Psilocybin als auch die psychologische Unterstützung – hat mir wirklich das Leben gerettet.« Nach der Studie wurden die Teilnehmer darüber informiert, welche Behandlung sie erhalten hatten.
Während einige der Probanden nach Abschluss der Studie dauerhaft davon profitieren konnten, fielen andere in eine Depression zurück. Leonie Schneider, eine 44-jährige Griechin, die in England lebt, war eine der Teilnehmerinnen, die nach einer besonders herausfordernden Periode unglücklicher Ereignisse, zu denen ernste finanzielle Probleme als Folge der Corona-Pandemie und Familienmitglieder mit einer unheilbaren Krankheit gehörten, wieder depressiv wurde. »Ich wurde so depressiv wie noch nie in meinem Leben, und es war noch schwieriger, weil ich die Medikamente abgesetzt hatte, auf die ich mich vor der Studie verlassen hatte. Außerdem kam Covid gerade in Gang«, sagt sie.
Schneider merkt jedoch an, dass die zwei Jahrzehnte, in denen sie zusätzlich zur Gesprächstherapie eine Vielzahl von SSRIs gegen ihre Depression ausprobiert hatte, ihr nicht die nötige Widerstandsfähigkeit verliehen haben. »Antidepressiva fühlten sich oft nur wie ein palliativmedizinischer Ansatz für die psychische Gesundheit an«, sagt Schneider. Im Vergleich dazu »gab mir die [Psilocybin-]Studie die Werkzeuge, um mit dieser Arbeit zu beginnen und diese emotionale Widerstandsfähigkeit aufzubauen«.
»Während Studien für jemanden, der dem Tod entgegensieht und auf Grund einer unheilbaren Krankheit depressiv ist, eine dauerhafte Veränderung durch eine Sitzung mit Psilocybin zeigen können, ist es weniger wahrscheinlich, dass jemand, der seit Jahrzehnten ohne erkennbaren Grund depressiv ist, von nur einer oder zwei Dosen profitiert«, sagt Watts.
Die wirkliche Arbeit beginnt nach der Einnahme
Die Studie endete im März 2020. Watts und andere Mitglieder des Teams richteten direkt Online-Therapiesitzungen für diejenigen Studienteilnehmer ein, die das Gefühl hatten, auch wegen der Corona-Pandemie zusätzliche Unterstützung zu benötigen. Schneider meldete sich schnell an, ebenso wie Thorne, zusammen mit 16 anderen Teilnehmern, die sich ein Jahr lang regelmäßig mit den Studienpsychologen und untereinander online getroffen haben. Dies verlängerte die »Integration«: den Zeitraum, in dem die Betroffenen die Visionen und Einsichten, die sie unter dem Einfluss von Psilocybin empfanden, verarbeiten.
»Die Leute beschreiben die psychedelische Therapie als 25 Jahre Therapie an einem Nachmittag. Und so kann es sich durchaus anfühlen, aber es ist kein Allheilmittel und es ist nur ein Nachmittag«, sagt Schneider. »Die wirkliche Magie liegt nicht im Tag der Einnahme, sondern in der Arbeit, die man danach macht.«
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