Entwicklung: Reger Austausch
Ob man jemanden nachahmt oder seinem Blick wissbegierig folgt: Auch beim Lernen erweist sich der Mensch als soziales Wesen. In vielen Fällen humanen Erkenntniserwerbs helfen vielseitig talentierte Hirnareale.
Während draußen auf den Straßen der Republik die Studenten für bessere Lehr- und Lernbedingungen kämpfen, forschen Wissenschaftler in ihren Laboren weiterhin daran, was menschliches Lernen antreibt. Lange Zeit hielt man dabei einen Aspekt für relativ nebensächlich: den sozialen Austausch. Doch mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass im Laufe der Evolution das Leben in komplexeren Gesellschaften die verschiedenen Aspekte menschlicher Kognition gefördert hat. Die Entstehung großer Gehirne mit aufwändigem Stoffwechsel hing somit wohl eher mit sozialer als mit ökologischer Komplexität zusammen.
Ein offenes Ohr
Inwiefern bei jungen Erdenbürgern ohne Zwischenmenschliches lerntechnisch fast gar nichts geht, schilderten Forscher um den Psychologen Andrew Meltzoff von der University of Washington in einer 2009 veröffentlichten Überblicksstudie [1].
Ein schönes Beispiel hierfür ist der Erwerb der menschlichen Sprache. Früh in ihrer Entwicklung haben Kleinkinder ein offenes Ohr für alle sprachlichen Klänge der Welt. Indem die Kleinen allmählich ihre Muttersprache aufsaugen, engt sich ihr feines Gespür für lautliche Unterschiede wieder ein. Dennoch haben sie eigentlich kein Problem, eine fremde Sprache zu erwerben – die Sache hat allerdings einen Haken.
Nach dem akustischen Doping wurde das lautliche Gespür der Kleinen auf die Probe gestellt. Die Wissenschaftler brachten den Babys bei, ihren Kopf zu wenden, sobald sich ein konstant wiederholter Laut in einen Ziellaut änderte. Ergebnis: Die fernöstlich trainierten Babys konnten signifikant besser einen im Hochchinesischen vorkommenden Unterschied zwischen zwei Lauten heraushorchen als die Kontrollgruppe, die nur englischsprachige Kindergeschichten genossen hatte – ein Lerneffekt, der auch nach einigen Tagen nicht verblasste.
Belege für die Bedeutung der sozialen Interaktion fürs Lernen liefern auch Versuche mit interaktiven Robotern. Je stärker sich die künstlichen Wesen "sozial" verhielten, desto mehr interagierten Kinder mit ihnen und konnten von ihnen lernen.
"Sie sind sehr wählerisch darin, von wem sie sich was und wann aneignen", bestätigt der Entwicklungspsychologe Horst Krist von der Universität Greifswald. "Sie wiederholen nicht einfach nur unreflektiert, was sie sehen, sondern versuchen die eigentliche Intention einer Person zu imitieren."
Dabei mischen sie Nachgeahmtes und Selbstentdecktes, um neue Probleme zu lösen.
Eine weitere Möglichkeit, sich das Leben und das Lernen zu erleichtern, ist laut Meltzoff und seinen Kollegen die Aufmerksamkeit eines anderen zu teilen. Gemeinsam einen Gegenstand zu betrachten oder ein Ereignis zu erleben, stelle eine wichtige Basis für Kommunikation und Lernen dar. Eine frühe Variante in der Entwicklung ist es, dem Blick eines anderen zu folgen. Meltzoff selbst untersuchte 2008 mit Kollegen in einer Längsschnittstudie, wohin Kleinkinder ihre Blicke schweifen ließen [3].
Blicken auf der Spur
Als seine jungen Probanden im zarten Alter von zehn oder elf Monaten einem Versuchsleiter gegenüber saßen, hatten sie die Wahl: Sollten sie seinem Blick folgen, als er sich einem Gegenstand links oder rechts neben ihnen zuwandte? Oder wollten sie lieber woanders hinschauen – vielleicht auf diesen zweiten Gegenstand, der genau auf der jeweils anderen Seite neben ihnen platziert war? Schließlich sah der genauso aus.
Im Laufe der nächsten Monate prüfte das Team um Meltzoff immer wieder, welche Fortschritte die kleinen Probanden in Sachen Vokabular mittlerweile gemacht hatten.
Doch wodurch werden eigentlich schon die ganz Kleinen zu so erfolgreichen Nachmachern und Lernern? Immerhin können etwa schon Neugeborene, die sich noch nie im Spiegel gesehen haben, bestimmte Gesten wie das Öffnen des Mundes nachahmen. Die Antwort hat gewissermaßen mit Spiegeln zu tun, wie Patricia Kuhl und ihre Kollegen 2006 herausfanden [4].
Spiegel im Kopf
Die Wissenschaftler konfrontierten ganz kleine Erdenbürger, darunter Neugeborene, mit einer Bandbreite akustischer Reize: reine Töne, Klänge, die der menschlichen Sprache ähnelten sowie gesprochene Silben. Mit Magnetenzephalografie registrierten die Forscher einen bestimmten Aspekt eines ereigniskorrelierten Potenzials: die auditive Reaktion des Gehirns, wenn in einer Abfolge von Standardlauten ein abweichender Klang ertönt, also beispielsweise die Silbe "pa" statt "ta".
Sobald sich das Klangbild wandelte, regte sich bei den Kleinen aller Altersstufen verstärkt der obere temporale Kortex – eine Region, die Akustisches analysiert. In unteren frontalen Regionen blieb es bei den Neugeborenen allerdings ruhig. Zählten die Kinder aber schon sechs oder mehr Lebensmonate, meldete sich auch dieses Hirnareal zu Wort, als sie Silben oder die sprachähnlichen Klänge vernahmen.
Bemerkenswerterweise ist die betreffende Hirnregion für die Sprachproduktion zuständig. Offensichtlich ist der untere frontale Kortex, der auch das Broca-Areal beheimatet, ein Allrounder, der sich sowohl an der Erzeugung als auch an der Wahrnehmung von Sprache beteiligt. Dazu passt, dass Kinder ab dem fünften oder sechsten Lebensmonat verstärkt mit lautlichem Nachahmungsverhalten und regelmäßiger Plapperei beginnen. Die Aktivität des Broca-Areals beim Lauschen auf die Sprache könnte bedeuten, dass sich im Verlauf des ersten Lebensjahres ein so genanntes Spiegelneuronensystem ausbildet, das die Produktion und Wahrnehmung von Sprache verknüpft, so das Team um Kuhl.
In Untersuchungen mit Erwachsenen hatte das bloße Beobachten von Laute formenden Lippenbewegungen die gleichen Areale aktiviert, die auch für die Sprachproduktion im Gehirn zuständig sind. Mit Blick auf diese Untersuchungen und Erkenntnissen aus der modernen Spiegelneuronenforschung sehen Meltzoff und seine Kollegen in der neuronalen Verknüpfung von Wahrnehmen und Handeln die Grundlage von Imitation und sozialem Lernen.
Gerade die Einsicht, dass der Mensch am besten lernt, wenn er mit anderen interagiert, habe dabei enorme Bedeutung für die Pädagogik, betont Meltzoff. Ein wichtiges Ziel für die Zukunft sei es, neue Lernwerkzeuge zu entwickeln. Innovative Techniken, von didaktischen Computerprogrammen bis hin zu interaktiven Robotern, könnten die im Grunde allerbeste Lernsituation nachbilden – den direkten 1:1-Kontakt im Einzelunterricht.
Ein offenes Ohr
Inwiefern bei jungen Erdenbürgern ohne Zwischenmenschliches lerntechnisch fast gar nichts geht, schilderten Forscher um den Psychologen Andrew Meltzoff von der University of Washington in einer 2009 veröffentlichten Überblicksstudie [1].
"Soziale Signale heben hervor, was und wann gelernt werden soll"
(Andrew Meltzoff)
"Soziale Signale heben hervor, was und wann gelernt werden soll", bemerken die Wissenschaftler. Schon Kleinkinder neigten dazu, ihre Aufmerksamkeit anderen Menschen zuzuwenden und deren Verhalten zu imitieren. Diverse Untersuchungen hätten gezeigt, dass Kleinkinder leichter lernen und eine Handlung eher nachmachen, wenn sie von einer Person und nicht einer unbelebten Maschine ausgeführt wird. (Andrew Meltzoff)
Ein schönes Beispiel hierfür ist der Erwerb der menschlichen Sprache. Früh in ihrer Entwicklung haben Kleinkinder ein offenes Ohr für alle sprachlichen Klänge der Welt. Indem die Kleinen allmählich ihre Muttersprache aufsaugen, engt sich ihr feines Gespür für lautliche Unterschiede wieder ein. Dennoch haben sie eigentlich kein Problem, eine fremde Sprache zu erwerben – die Sache hat allerdings einen Haken.
In einem Experiment ließen Forscher um die Psychologin Patricia Kuhl von der University of Washington 2003 einen Teil von neun Monate alten amerikanischen Babys Bekanntschaft mit der östlichen Sprachkultur machen [2]. In etlichen Trainingseinheiten lasen Chinesen den Winzlingen vier Wochen lang jeweils zehn Minuten Kindergeschichten vor. Außerdem spielten sie mit den Kleinen jeweils fünfzehn Minuten. Die Babys hörten so im Schnitt mehr als 33 000 hochchinesische Silben.
Nach dem akustischen Doping wurde das lautliche Gespür der Kleinen auf die Probe gestellt. Die Wissenschaftler brachten den Babys bei, ihren Kopf zu wenden, sobald sich ein konstant wiederholter Laut in einen Ziellaut änderte. Ergebnis: Die fernöstlich trainierten Babys konnten signifikant besser einen im Hochchinesischen vorkommenden Unterschied zwischen zwei Lauten heraushorchen als die Kontrollgruppe, die nur englischsprachige Kindergeschichten genossen hatte – ein Lerneffekt, der auch nach einigen Tagen nicht verblasste.
Das eigentlich Bemerkenswerte folgte aber erst noch: Bekamen Babys den gleichen Sprachkurs, diesmal aber nur per Video oder Tonband, trat bei ihnen keine didaktische Wirkung ein. Offenbar können zwar Vokabeln übers Fernsehen gelernt werden, komplexere Aspekte der Sprache wie Phonetik und Grammatik allerdings nicht. "Ein Mensch aus Fleisch und Blut bringt eben zwischenmenschliche soziale Signale hervor, welche die kindliche Aufmerksamkeit erregen und zum Lernen motivieren", schlussfolgern die Forscher.
Belege für die Bedeutung der sozialen Interaktion fürs Lernen liefern auch Versuche mit interaktiven Robotern. Je stärker sich die künstlichen Wesen "sozial" verhielten, desto mehr interagierten Kinder mit ihnen und konnten von ihnen lernen.
Soziale Interaktion bietet eine Reihe von Möglichkeiten, sich von Mitmenschen etwas anzueignen. Ein Weg sei beispielsweise die Imitation, so das Team um Meltzoff. Andere nachzuahmen, beschleunige gerade bei Kleinkindern den eigenen Wissenserwerb und vervielfältige ihre Lerngelegenheiten. Dabei seien sie beileibe keine plumpen Nachahmer.
"Sie sind sehr wählerisch darin, von wem sie sich was und wann aneignen", bestätigt der Entwicklungspsychologe Horst Krist von der Universität Greifswald. "Sie wiederholen nicht einfach nur unreflektiert, was sie sehen, sondern versuchen die eigentliche Intention einer Person zu imitieren."
Dabei mischen sie Nachgeahmtes und Selbstentdecktes, um neue Probleme zu lösen.
"Kleinkinder sind sehr wählerisch darin, von wem sie sich was und wann aneignen"
(Horst Krist)
Zwar hätten Kleinkinder vermutlich keine wirkliche Vorstellung von den inhaltlichen Überzeugungen von Mitmenschen, verstünden aber, wenn andere Personen etwas möchten oder anstreben, erläutert Krist weiter. "Schon bevor sie sprechen können, nehmen sie Handlungen als zielgerichtet war." Ab dem zweiten Lebensjahr verstünden sie dann sogar Handlungsabsichten. (Horst Krist)
Eine weitere Möglichkeit, sich das Leben und das Lernen zu erleichtern, ist laut Meltzoff und seinen Kollegen die Aufmerksamkeit eines anderen zu teilen. Gemeinsam einen Gegenstand zu betrachten oder ein Ereignis zu erleben, stelle eine wichtige Basis für Kommunikation und Lernen dar. Eine frühe Variante in der Entwicklung ist es, dem Blick eines anderen zu folgen. Meltzoff selbst untersuchte 2008 mit Kollegen in einer Längsschnittstudie, wohin Kleinkinder ihre Blicke schweifen ließen [3].
Blicken auf der Spur
Als seine jungen Probanden im zarten Alter von zehn oder elf Monaten einem Versuchsleiter gegenüber saßen, hatten sie die Wahl: Sollten sie seinem Blick folgen, als er sich einem Gegenstand links oder rechts neben ihnen zuwandte? Oder wollten sie lieber woanders hinschauen – vielleicht auf diesen zweiten Gegenstand, der genau auf der jeweils anderen Seite neben ihnen platziert war? Schließlich sah der genauso aus.
Im Laufe der nächsten Monate prüfte das Team um Meltzoff immer wieder, welche Fortschritte die kleinen Probanden in Sachen Vokabular mittlerweile gemacht hatten.
"Ein Mensch aus Fleisch und Blut bringt zwischenmenschliche soziale Signale hervor, die zum Lernen motivieren"
(Patricia Kuhl)
Wie sich dabei herausstellte, zahlte sich die geteilte Aufmerksamkeit aus: Die Kleinkinder, die dem Blick des Erwachsenen gefolgt waren, das Zielobjekt länger betrachtet und sogar darauf gezeigt hatten, bauten ihren Wortschatz innerhalb ihrer ersten zwei Lebensjahre schneller aus als die "Kurzgucker". Auf ein Objekt zu deuten, könnte Eltern dazu anregen, den Gegenstand für ihren Nachwuchs zu benennen. Indem die Kleinen direkt dem Blick eines Erwachsenen auf der Spur sind, könnten sie zudem eingrenzen, welche Objekte der Erwachsene mit bestimmten Bezeichnungen meint. (Patricia Kuhl)
Doch wodurch werden eigentlich schon die ganz Kleinen zu so erfolgreichen Nachmachern und Lernern? Immerhin können etwa schon Neugeborene, die sich noch nie im Spiegel gesehen haben, bestimmte Gesten wie das Öffnen des Mundes nachahmen. Die Antwort hat gewissermaßen mit Spiegeln zu tun, wie Patricia Kuhl und ihre Kollegen 2006 herausfanden [4].
Spiegel im Kopf
Die Wissenschaftler konfrontierten ganz kleine Erdenbürger, darunter Neugeborene, mit einer Bandbreite akustischer Reize: reine Töne, Klänge, die der menschlichen Sprache ähnelten sowie gesprochene Silben. Mit Magnetenzephalografie registrierten die Forscher einen bestimmten Aspekt eines ereigniskorrelierten Potenzials: die auditive Reaktion des Gehirns, wenn in einer Abfolge von Standardlauten ein abweichender Klang ertönt, also beispielsweise die Silbe "pa" statt "ta".
Sobald sich das Klangbild wandelte, regte sich bei den Kleinen aller Altersstufen verstärkt der obere temporale Kortex – eine Region, die Akustisches analysiert. In unteren frontalen Regionen blieb es bei den Neugeborenen allerdings ruhig. Zählten die Kinder aber schon sechs oder mehr Lebensmonate, meldete sich auch dieses Hirnareal zu Wort, als sie Silben oder die sprachähnlichen Klänge vernahmen.
Bemerkenswerterweise ist die betreffende Hirnregion für die Sprachproduktion zuständig. Offensichtlich ist der untere frontale Kortex, der auch das Broca-Areal beheimatet, ein Allrounder, der sich sowohl an der Erzeugung als auch an der Wahrnehmung von Sprache beteiligt. Dazu passt, dass Kinder ab dem fünften oder sechsten Lebensmonat verstärkt mit lautlichem Nachahmungsverhalten und regelmäßiger Plapperei beginnen. Die Aktivität des Broca-Areals beim Lauschen auf die Sprache könnte bedeuten, dass sich im Verlauf des ersten Lebensjahres ein so genanntes Spiegelneuronensystem ausbildet, das die Produktion und Wahrnehmung von Sprache verknüpft, so das Team um Kuhl.
In Untersuchungen mit Erwachsenen hatte das bloße Beobachten von Laute formenden Lippenbewegungen die gleichen Areale aktiviert, die auch für die Sprachproduktion im Gehirn zuständig sind. Mit Blick auf diese Untersuchungen und Erkenntnissen aus der modernen Spiegelneuronenforschung sehen Meltzoff und seine Kollegen in der neuronalen Verknüpfung von Wahrnehmen und Handeln die Grundlage von Imitation und sozialem Lernen.
Gerade die Einsicht, dass der Mensch am besten lernt, wenn er mit anderen interagiert, habe dabei enorme Bedeutung für die Pädagogik, betont Meltzoff. Ein wichtiges Ziel für die Zukunft sei es, neue Lernwerkzeuge zu entwickeln. Innovative Techniken, von didaktischen Computerprogrammen bis hin zu interaktiven Robotern, könnten die im Grunde allerbeste Lernsituation nachbilden – den direkten 1:1-Kontakt im Einzelunterricht.
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