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Linguistik: Spezialkonsonanten für dünne Bergluft?

Rätselhafte Häufung

Welche Konsonanten eine Sprache verwendet und welche nicht, gilt im Großen und Ganzen als dem Zufall überlassen. Manche kommen häufiger vor, andere sind selten, und bestenfalls bestimmt eine innere Systematik im so genannten Phoneminventar darüber, welche Laute zu erwarten sind.

An dieser verbreiteten Anschauung rüttelt nun der Anthropologe Caleb Everett. Der Forscher will entdeckt haben, dass eine bestimmte Klasse von Lauten bei Sprachen, die im Gebirge gesprochen werden, besonders häufig auftaucht. Das ergab seine Auszählung von 567 Sprachen, deren Lautbestand in einer Datenbank, dem World Atlas of Language Structure, erfasst ist (interaktive Karte).

Konkret ging es dem Forscher der University of Miami um die so genannten Ejektive, eine außergewöhnliche Klasse von Lauten, die anders als die meisten Konsonanten nicht mit Hilfe des Luftstroms aus der Lunge gebildet werden – sie sind "nichtpulmonal": Bei einem gewöhnlichen pulmonalen [k] beispielsweise versperrt der Sprecher mit der Zunge am Gaumensegel der ausströmenden Luft den Weg und lässt die Blockade dann ruckartig los – es entsteht das typische Knallen eines [k]. Bei einem Ejektiv [k'] hingegen wird zusätzlich zum Verschluss am Gaumensegel auch die Stimmritze verschlossen und der Kehlkopf angehoben. Dies sorgt schließlich für einen Überdruck im Mund-Rachen-Raum, wobei die Luft wiederum mit einem hörbaren Knall entweicht, sobald der Sprecher die Blockade löst (Hörbeispiel). Die zahlreichen Varianten von Ejektiven kommen in rund einem Fünftel aller Sprachen vor und sind nicht auf einzelne Sprachfamilien beschränkt.

Rätselhafte Häufung? |

Schwarze Punkte geben die Position von Sprachen mit Ejektiven an, weiße repräsentieren solche ohne. Augenfällig ist die Häufung in Bereichen mit großen Gebirgsketten wie den Rocky Mountains oder dem Kaukasus, ein Gebiet mit einer sehr hohen Dichte von Sprachen, die für ihre extrem komplexen Konsonantensysteme berühmt sind. Bemerkenswert ist, dass auf dem tibetischen Hochplateau keinerlei "Ejektivsprachen" präsent sind.

Das kleine Bild zeigt, wo Gebiete mit bewohnbaren Höhenlagen über 1500 Meter liegen.

Anhand der Daten aus dem Atlas und aus Geoinformationssystemen bestimmte Everett nun für jede einzelne Sprache, ob sie in einer Region gesprochen wird, in deren 200-Kilometer-Umkreis bewohnbare Höhenlagen von über 1500 Metern auftauchen. Tatsächlich sei das häufig genug der Fall: 62 Prozent der 92 erfassten "Ejektiv-Sprachen" und nur 20 Prozent der 475 "Nicht-Ejektiv-Sprachen" lagen in Gebirgsnähe. Everett zufolge sind damit die Ejektive im Hochgebirge klar überrepräsentiert – zumal sein Kriterium der bewohnten Höhenlage nur auf 15 Prozent der bewohnten Landfläche zutreffe.

Hier sei nicht der Zufall am Werk gewesen, glaubt der Forscher, und spekuliert über Gründe, die die Ungleichverteilung erklären könnten: Zum einen sei es denkbar, dass sich die Laute in der Bergluft leichter bilden lassen. Hebe man hier den Kehlkopf im gleichen Maße an wie beim Sprechen auf Normalnull, leiste die dünnere Luft rechnerisch weniger Widerstand. Je einfacher Laute zu bilden sind, desto höher die Chance, dass sie dem allgegenwärtigen Schwund und der Vereinfachung im Sprachwandel widerstehen. Wie Everett selbst einräumt, könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein: Wegen des geringeren Drucks könnten die Ejektive für Zuhörer schwerer von konventionellen Lauten zu unterscheiden sein. Das würde ihr Auftreten tendenziell weniger wahrscheinlich machen.

Möglicherweise trifft eine andere, noch exotischere Erklärung zu, die Everett als Alternative anbietet: Die Tatsache, dass die Produktion von Ejektiven nicht unmittelbar mit einem Ausatmen verbunden ist, könnte die Sprecher einer solchen Sprache davor schützen, zu viel Feuchtigkeit über die Atemluft zu verlieren. Um einer Austrocknung des Körpers entgegenzuwirken, rate man beispielsweise unerfahrenen Bergsteigern, weniger zu reden. Die zugehörige Rechnung, wie viel Atemluft jemand spart, der ab und an beim Reden für Sekundenbruchteile – die Dauer eines Ejektivverschlusses – sozusagen die Luft anhält, bietet Everett allerdings nicht an.

Beide genannten Erklärungen hält der Linguist Michael Cysouw von der Universität Marburg für "komplett unüberzeugend". Es sei im Übrigen auch gar nicht sicher, dass ein direkter Kausalzusammenhang zwischen der Höhenlage und dem Vorkommen von Ejektiven besteht. So ist beispielsweise nach Meinung einiger Forscher in unzugänglichen Gebirgsregionen die Sprachenvielfalt vergleichsweise hoch, dementsprechend dürften sich dort auch sprachliche Besonderheiten häufen. Man könne spekulieren, ob nicht ein solcher Faktor eher als Erklärung tauge, meint Cysouw.

Tatsächlich haben sich ähnliche statistische Aussagen über die Sprachenvielfalt in der Vergangenheit als notorisch schwierig erwiesen. Viele dieser Studien, die beispielsweise einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Sprecher einer Sprache und der Komplexität von Grammatik oder Lautsystem postulieren, sind auf starke Skepsis seitens der Fachkollegen gestoßen. Zuletzt sorgte eine Studie für Furore, bei der Forscher anhand der Größe von Phoneminventaren den Ursprung der Sprache nach Südwestafrika zurückverfolgt zu haben glaubten.

Viele weitere Faktoren – etwa die ungleichmäßige Verteilung von Sprachfamilien, das rasante Bevölkerungswachstum der letzten Jahrhunderte oder eben auch die von Region zu Region stark schwankende Sprachendichte – machen eine saubere statistische Auswertung schwierig bis unmöglich. Zur weiteren Untermauerung von Everetts Hypothese wäre es also zwingend notwendig, diese Faktoren herauszurechnen, und dabei darauf zu hoffen, dass der Ursprungsbefund dabei bestehen bleibt.

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