Direkt zum Inhalt

Zellbiologie: Technologietransfer von der bakteriellen Basis

Klare Bauanleitungen sollten eigentlich auch in einer Zelle 1:1 umgesetzt werden, damit kein schiefes Fundament entsteht. Wenn blinder Gehorsam aber zu lebensfeindlichem Bauwerk-Einheitsbrei führt, greifen Bauarbeiter der Zelle auch schon mal zu kreativer Befehlsinterpretation.
Glukokortikoi-Rezeptor
Ach, wie ist das Leben doch eigentlich einfach, und alle seine Mechanismen. Lässt sich da nicht alles auf grundlegend Gemeinsames zurückführen? Pflanzen, Tiere und was sonst noch kreucht und fleucht bestehen aus Zellen ähnlicher Bauweise, mit ähnlichen Mechanismen der Zusammenarbeit und ähnlichen Problemlösungsstrategien. Und überhaupt werden sie noch ähnlicher, je genauer man sie sich auf molekularbiologischer Ebene ansieht. Ist letztlich nicht alles DNA und ihre Steuerung? Ein Gen (oft erstaunlich ähnlich bei Mensch, Maus und Made) gibt Baupläne vor, ein (überall analoger) Arbeitsapparat liest die (universellen) Kodes aus, bastelt daraus eine Boten-RNA-Bauanleitung, die dann (auf gleiche Art und Weise) umgesetzt wird.

Angesteuert wird der ganze Universalapparat durch ein paar auch ganz einfache Schalter. Nehmen wir etwa einmal die Regulierung unseres körpereigenen Energiehaushaltes. Oder auch – kommt aufs Gleiche raus – unseres Schlaf-Wach-Rhythmus oder der Stress-Reaktion: All dies wird durch ein recht simples Hormon-Signalsystem kontrolliert, dessen Hauptbotenstoff ein so genanntes Glukokortikoid ist – ein aus Cholesterinvorläufern zusammengebasteltes Steroidhormon, wie etwa das Kortison. So ein Hormon wird bei Bedarf ins Blut ausgeschüttet, dockt zielsicher in den Empfängerorganen an, dringt dort in Zellen ein und bewegt sich schnurstracks zum zellulären Befehlsgeber, dem Kern. Der leitet dann ein, was der Glukokortikoid-Botenjunge ihm unterbreitet – etwa den Glukoseaufbau anzukurbeln.

Wenn ein Glukokortikoid im Auftrag der Immunabwehr unterwegs ist, befielt der angesteuerte Zellkern die apoptotische Selbstzerstörung von Lymphozyten. In Leberzellen aber verhindert ein und derselbe Bote dagegen eben diesen Zelltod, statt ihn auszulösen – obschon er als Signalgeber doch völlig identisch ist. Ein und dasselbe Glukokortikoid soll also in die Steuerzentralen von Zellen unterschiedlicher Organe eindringen – und dort dann gänzlich gegensätzliche Reaktion hervorrufen können? Also gut, so einfach ist denn alles offenbar doch nicht.

Angesichts der vielfältigen Aufgaben der Hormonboten und der unterschiedlichen Funktionen der Zielorgane fehlt offensichtlich noch einiges zum Verständnis des ganzen Regelprozesses, meinten Nick Lu und John Cidlowski vom Staatlichen Institut für Umweltgesundheit der USA. Und machten sich an die Arbeit.

Wie gesagt, die einfachste Lösung (unterschiedliche Signalmoleküle für unterschiedliche zu übermittelnde Befehle) ist im Reich der Glukokortikoid-Kommunikation nicht flächendeckend verwirklicht. Existieren stattdessen unterschiedliche Empfängermoleküle – so genannte Glukokortikoid-Rezeptoren – in den jeweils unterschiedlichen Zellkernen der Gewebe, als zweiteinfachste Lösung? Auch das nicht. Bei allen genetischen Untersuchungen fand sich trotz intensiver Bemühungen – zur nun völligen Verwirrung der globalen Forschergemeinde – nur genau eine einsame Bauanleitung für genau den einen, immer gleichen Glukokortikoid-Rezeptor, in allen Zellen und allen Geweben. Dies ist nun derart einfach, dass tieferes Verständnis zu erhaschen schwer wird. Ach, wie kompliziert ist das Leben doch!

Lu und Cidlowski glauben nun bei Zellkulturversuchen des Rätsels Lösung gefunden zu haben. Sie schauten sich genauer an, was einzelne Zellen aus der uniformen DNA-Bauanleitung des Glukokortikoid-Rezeptors (GR) machen. Keine Überraschungen waren beim ersten Schritt zur zelleigenen Rezeptorproduktion erkennbar: Aus dem einen GR-Gen entsteht auch nur eine stets sequenzgleiche Boten-RNA. Diese aber kann zur Produktion von nicht weniger als acht verschiedenen Protein-Varianten eines GR anleiten.

Isoformen der Glucokortikoid-Rezeptoren | Nur in einem Gen (auf Chromosom 5) ist die Bauanleitung aller Glukokortikoid-Rezeptoren kodiert – abgelesen ensteht daraus eine stets gleiche Boten-RNA-Form. Diese Bauanleitung wird aber bei der Proteinbiosynthese nicht immer vollständig ausgeführt. Durch diese so genannte translationale Modifikation enstehen verschiedene Isoformen des Rezeptors, die offenbar auch unterschiedliche Aufgaben in den verschiedenen Geweben des Körpers übernehmen.
Diese acht Isoformen entstehen in ungleichen Gewebezellen in ungleichen Mengen – weswegen die Gewebe offenbar stets typische Isoformen-Gemische enthalten. Und alle Isoformen reagieren, sobald sie vom Glukokortikoid-Boten gebunden und so aktiviert werden, mit verschiedenartigsten Aktivitäten: Sie alarmieren eine ganze Armada von unterschiedlichen Transkriptionsfaktoren, die alle dann ganz eigene komplexe Lawinen spezifischer Genaktivitäten auslösen. Die Mischung dieser Proteine macht dann offenbar die uneinheitlich-gewebetypischen Antworten auf den einheitlichen Glukokortikoid-Reiz aus.

Der Unterschied der Rezeptor-Isoformen liegt übrigens in ihrer Länge – stets sind sie vom so genannten N-Terminus der Eiweißkette her mehr oder weniger stark eingedampft. Ursache dafür ist nicht, dass sie dort nach der Fertigstellung enzymatisch abgeknabbert wurden, berichten nun Lu und Cidlowski – vielmehr bestimmt während der Proteinbildung ein bislang übersehener "translationaler Regulationsmechanismus" über Kürze und Länge der GR-Isoformen. Hierbei wird ein größeres oder eben kleineres Stück am Anfang der Bauanleitung auf der Boten-RNA beim Eiweißbau einfach ignoriert.

Derartige Translationsstart-Verschiebungen sind eigentlich eher von Bakterien bekannt – von den fertigen Boten-RNAs höherer Organismen nahm man bis vor zwei Jahren noch an, sie würden stets entweder ganz oder gar nicht abgelesen. Was auf den ersten Blick als neuer Trick erscheint, ist aber letztlich doch wieder nur etwas, das schon vor langer Zeit einmal an der Basis von Mutter Naturs Kindern erprobt wurde. Lässt sich eben doch alles auf grundlegend gemeinsames zurückführen, irgendwie. Für das Leben gilt offenbar das Gleiche wie für die Theorie, frei nach Einstein: so einfach wie möglich, aber nicht einfacher.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.