Therapieforschung: Wie Jugendliche ihre Angst besiegen

Die Jugend ist ein aufregender Lebensabschnitt. Heranwachsende bekommen ein Gefühl dafür, wer sie sind und wer sie künftig sein wollen. Sie lösen sich von ihren Eltern und passen sich dabei erstaunlich flexibel an die vielfältigen kognitiven, emotionalen, körperlichen, sozialen und sexuellen Herausforderungen an. Andererseits erreichen psychische Probleme in dieser Phase erstmals Spitzenwerte.
Das gilt vor allem für Angststörungen. Sie haben unter den Jugendlichen in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. Laut Umfragen unter zehntausenden Teenagern in den USA war der Anteil jener, die unter Ängsten leiden, von 2012 bis 2018 um rund ein Drittel gestiegen. In Deutschland kam es zwischen 2019 und 2022, also während der Corona-Pandemie, zu einem dramatischen Zuwachs. Viele mussten lange auf professionelle Hilfe warten.
Wirksame Angst-Therapie dringend gesucht
Was tun? Am besten bewährt haben sich bei der Behandlung von Ängsten bisher die Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Bei der »Exposition« identifizieren die Betroffenen beispielsweise zunächst die angstauslösenden Reize oder Situationen. Zur Desensibilisierung werden sie dann in einer sicheren Umgebung wiederholt mit diesen Triggern konfrontiert und erlernen verschiedene Strategien, die ihnen helfen, ihre Emotionen zu regulieren. Dazu zählen etwa Atemübungen oder »positives Reframing«, bei dem man seine Sicht auf das Problem verändert.
Doch eine kognitive Verhaltenstherapie hilft nicht allen Jugendlichen und häufig auch nicht dauerhaft. Ohne medikamentöse Unterstützung geht es sechs Jahre nach der Behandlung nur noch 20 bis 50 Prozent von ihnen einigermaßen gut. Die Folgen hartnäckiger Ängste können gravierend sein, von schweren Erkrankungen wie Depressionen über Missbrauch von Tabletten, Alkohol und anderen Drogen bis hin zum schlimmsten Fall – dem Suizid. Ebenso steigt das Risiko für körperliche Leiden.
Zum Glück zeigen aktuelle Erkenntnisse viel versprechende neue Ansätze in der Therapie von Angstzuständen auf. Die Forschung profitiert dabei von den Fortschritten in der Hirnbildgebung.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde deutlich, dass das adoleszente Gehirn große strukturelle und funktionelle Umbauten erfährt, die sich von denen in der frühen Kindheit und im Erwachsenenalter unterscheiden. Manche Hirnregionen »reifen« dabei offenbar früher als andere. Am stärksten verändern sich in der Jugend jene Netzwerke, die mit der Verarbeitung von Emotionen zu tun haben, wie Amygdala oder Hippocampus. Zum Beispiel vergrößert sich jetzt die Amygdala und spricht verstärkt auf bestimmte emotionale Reize an. Die Reifung des präfrontalen Kortex, der für die Regulation von Gefühlen, Gedanken und Handlungen notwendig ist, zieht sich dagegen bis ins Erwachsenenalter.
Gehirn aus dem Gleichgewicht
Das unterschiedliche Entwicklungstempo der Hirnbereiche kann zu einem Ungleichgewicht in ihrer Kommunikation führen und beeinflusst, welche Entscheidungen Jugendliche treffen. In emotional aufgeladenen oder bedrohlichen Situationen übernehmen oft die Emotionszentren die Führung. Das erklärt zumindest teilweise, weshalb Jugendliche mal ängstlich, mal wagemutig und generell eher sprunghaft erscheinen. Vielleicht verbessert die hohe Sensibilität gegenüber emotionalen und sozialen Informationen in der Jugend die Fortpflanzungswahrscheinlichkeit und dient so dem Erhalt der menschlichen Spezies. Doch leider hängt die emotionale Empfänglichkeit auch mit einer erhöhten Stressempfindlichkeit und Anfälligkeit für Angsterkrankungen zusammen.
Eine wesentliche Empfindung bei Angststörungen ist Furcht. Anders als bei der eher unspezifischen Angst handelt es sich bei Furcht um eine angepasste Reaktion auf eine konkrete Bedrohung. Furcht hilft uns zu überleben – problematisch wird es, wenn sie anhält, obwohl die Gefahr längst vorbei ist. Menschen mit Angsterkrankungen fällt es schwer zu erkennen, wann eine vormals bedrohliche Situation gebannt ist. Auch neigen sie zur so genannten Übergeneralisierung: Sie vermuten, eine spezifische negative Erfahrung würde sich ähnlich in allen möglichen Situationen wiederholen.
Wo ist der Bär?
Jahrzehntelange Forschung an Tieren und Menschen enthüllte schließlich die wesentlichen neuronalen Schaltkreise, in denen erlernte Furcht im Gehirn abgespeichert wird. Eine entscheidende Rolle dabei spielt die Amygdala. Bestimmte Bereiche des präfrontalen Kortex dagegen sind daran beteiligt, die Intensität Furcht auslösender Erinnerungen wieder abzuschwächen – ein als Extinktion bezeichneter Prozess. Amygdala und präfrontaler Kortex sind eng verknüpft mit einer dritten Region, dem Hippocampus. Dieser mischt nicht nur bei der Furchtextinktion mit, sondern beeinflusst auch, wie wir den Kontext, insbesondere die Umgebung, eines Furchtreizes bewerten: Es macht einen Unterschied, ob wir einem Bären im Zoo oder in freier Wildbahn begegnen. Die neuronalen Furchtschaltkreise sind übrigens größtenteils tierartübergreifend. Daher geben uns Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung beispielsweise an Mäusen und Ratten wichtige Hinweise auf die Vorgänge bei Menschen.
Es macht einen Unterschied, ob wir einem Bären im Zoo oder in freier Wildbahn begegnen
In jüngerer Zeit haben sich Fachleute intensiv mit dem jugendlichen Angstgedächtnis und dessen Extinktion beschäftigt. Studien zeigen, dass Furchterinnerungen sowohl bei Teenagern als auch bei vorpubertären Kindern und bei Erwachsenen entstehen. Bei Jugendlichen scheinen sich diese jedoch besonders tief einzubrennen. Präsentiert man Personen unterschiedlichen Alters einige Male einen neutralen Reiz – etwa ein grünes Lichtsignal – gepaart mit einem unangenehm lauten Ton, kann man daraufhin eine konditionierte Furchtreaktion messen: Die Probanden fangen bereits an zu schwitzen, wenn das Licht ohne das unangenehme Geräusch erscheint. Taucht es jedoch etliche Male ohne den auditiven Reiz auf, sehen Kinder und Erwachsene darin schon bald kein Warnsignal mehr, eher im Gegenteil – das Furchtgedächtnis wird offensichtlich schnell wieder gelöscht. Anders bei Jugendlichen. Sie reagieren weiterhin negativ auf das grüne Lichtsignal! Selbst wenn die Furchtreaktion bei ihnen nachlässt, flackert sie nach einiger Zeit häufig wieder auf.
Wenn die Löschung der Angst versagt
Die Beobachtung, dass Teenager ihre Furcht schlechter als Jüngere oder Ältere »verlernen«, bestätigen zahlreiche Studien. Das Phänomen ist nicht auf Menschen beschränkt, sondern findet sich auch bei Ratten oder Mäusen. In der Adoleszenz wiegt der Einfluss der Amygdala, die die Furchtreaktion aufrechterhält, allem Anschein nach schwerer als die des präfrontalen Kortex, der für die Löschung mitverantwortlich ist. Tatsächlich nimmt man an, dass eine verminderte Fähigkeit zum Extinktionslernen Angsterkrankungen fördert. Jugendliche sind daher wahrscheinlich von Natur aus stärker gefährdet.
Solche Entdeckungen helfen uns, Therapien besser auf diese Altersgruppe zuzuschneiden. Bei der üblichen verhaltensbasierten Herangehensweise identifiziert man die Angst auslösenden Reize, erlernt Bewältigungsstrategien und durchläuft eine Desensibilisierung nach dem Prinzip der Furchtextinktion. Doch der verhältnismäßig geringere Einfluss des präfrontalen Kortex könnte den Erfolg der klassischen, expositionsbasierten kognitiven Verhaltenstherapie schmälern.
Ein Update der Furchterinnerung
Wir haben daher einen Ansatz getestet, mit dem wir den unfertigen präfrontalen Kortex quasi umschiffen. Er beruht auf dem Konzept der Gedächtnis-Rekonsolidierung. Diesem zufolge sind Erinnerungen nicht statisch, sondern dynamisch. Jedes Mal, wenn sie abgerufen werden, können sie sich verändern. Präsentiert man einen Reiz, der eine Furchterinnerung weckt, öffnet sich ein Zeitfenster, in dem diese formbar wird, bevor sie sich wieder verfestigt oder »rekonsolidiert«. Diese Spanne kann man für eine Veränderung nutzen.

Studien mit Menschen und Nagetieren deuten darauf hin, dass ein Erinnerungs-Update während der Rekonsolidierung die Gedächtnisinhalte modifiziert, und zwar mit Hilfe der Amygdala, die ja bereits in der mittleren Adoleszenz ausgereift ist. Entsprechend könnte es Jugendlichen vielleicht helfen, ihre krankhafte Angst zu überwinden, wenn man sie zunächst mit einer Art Abrufhilfe konfrontiert, die den Gedächtnisinhalt reaktiviert, und erst kurz danach das Extinktionstraining startet.
Wir wollten herausfinden, ob das funktioniert. In unserem Labor haben wir getestet, wie sich Furchterinnerungen bei gesunden Jugendlichen verändern, wenn man ihnen eine Abrufhilfe präsentiert und vor der Extinktion einige Minuten abwartet. Das Ergebnis: Derart behandelte Jugendliche zeigten am nächsten Tag eine dramatisch reduzierte Furchtreaktion verglichen mit Gleichaltrigen, die nur die Extinktion durchlaufen hatten. Tatsächlich fiel die Furchtreaktion in der Gruppe mit Abrufhilfe am Ende genauso schwach aus wie die bei Erwachsenen.
Beim klassischen Extinktionslernen wird ein neuer, als »sicher« empfundener Gedächtnisinhalt abgespeichert, der mit der ursprünglichen, unveränderten Furchterinnerung konkurriert. Folglich kann Letztere zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftreten. Die aktuellen Forschungsergebnisse lassen dagegen vermuten, dass bei einem Update während der Rekonsolidierung die frühere Furchterinnerung selbst verändert wird. Somit hat die Methode das Potenzial, die Furcht nicht nur kurzfristig während der Therapie zu reduzieren – es ist auch wahrscheinlicher, dass diese langfristig besiegt wird.
Die Löschung im richtigen Moment
Was bedeutet das für die klinische Praxis? Ein Therapeut könnte seine jugendlichen Patienten zu Beginn der Sitzung erst einmal daran erinnern, weshalb sie zu ihm gekommen sind – ein Äquivalent zum Abrufreiz, der im Labor die Furchterinnerung weckt. Anschließend könnte er einige Minuten damit verbringen, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, während er darauf wartet, dass die Erinnerung in einen labilen Zustand übergeht. Erst dann beginnt der Behandelnde mit der Desensibilisierung durch die eigentliche Exposition, bleibt dabei aber noch im (mehrstündigen) Zeitfenster der Rekonsolidierungsphase. Vielleicht wenden manche Therapeutinnen und Therapeuten diese Technik bereits unwissentlich an. Das wäre jedenfalls eine mögliche Erklärung dafür, warum die Expositionstherapie bei Jugendlichen mit Angststörungen unterschiedlich gut anschlägt.
Vielleicht wenden manche Therapeutinnen und Therapeuten diese Technik bereits unwissentlich an
Während die Methode des Rekonsolidierungs-Updates bei Teenagern noch nicht systematisch zum Einsatz kommt, hat man sie bei Erwachsenen mit Angsterkrankungen oder Traumafolgestörungen bereits getestet und verzeichnet erste Erfolge: Die Symptome nahmen sowohl kurz- als auch langfristig ab, vor allem bei Menschen mit bestimmten Phobien oder einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Etwas, was dir Sicherheit gibt
Es gibt noch eine weitere Strategie, die ängstlichen Jugendlichen helfen könnte: ein »Sicherheitssignal«, das anzeigt, dass kein Grund zur Sorge besteht. Zu Versuchszwecken verwendet man dazu irgendeinen simplen Stimulus, zum Beispiel ein Symbol oder Geräusch, der mit einem sicheren Kontext assoziiert wird und sich vom Angstreiz deutlich unterscheidet. Außerhalb des Labors existieren vielfältige Arten von natürlichen Sicherheitssignalen: ein persönlicher Gegenstand, das Foto eines geliebten Menschen, ein bestimmter, positiv belegter Geruch …

Unser Team und andere Forschungsgruppen konnten zeigen, dass bei Menschen ebenso wie bei Nagern solche Hirnregionen auf Sicherheitssignale ansprechen, die während der Pubertät vermehrt aktiv sind – darunter Amygdala und Hippocampus. Wird ein Angstreiz zusammen mit einem Sicherheitssignal präsentiert, feuert vor allem der vordere Bereich des Hippocampus verstärkt, und je höher dessen Aktivität, desto geringer fällt die Furchtreaktion aus. Der präfrontale Kortex spielt bei der Verarbeitung von Sicherheitssignalen offenbar eine geringere Rolle als bei anderen Formen der Angstregulation inklusive Extinktion. Ein praktischer Therapieansatz, der Sicherheitssignale einbezieht, könnte bei Jugendlichen also von Vorteil sein. Natürlich ist es unabdingbar, auch andere Bewältigungsstrategien zu vermitteln. Sicherheitshinweise verhindern aber möglicherweise in der oft stark belasteten, frühen Behandlungsphase, dass junge Menschen die Therapie abbrechen.
Die effektivste Kombination finden
In den ersten Sitzungen könnten Behandelnde ihre Patienten darin schulen, eigene Sicherheitshinweise zu identifizieren und einzusetzen. Später können Letztere dabei helfen, die Furchtreaktion so weit zu verringern, dass die Betroffenen in der Lage sind, die Situation richtig einzuschätzen und die Werkzeuge der kognitiven Verhaltenstherapie anzuwenden. Die Forschung hierzu steckt noch in den Kinderschuhen. Unsere Arbeitsgruppe beobachtete aber vor Kurzem bei Experimenten mit Mäusen: Bei adoleszenten Tieren, denen in regelmäßigen Abständen ein Sicherheitshinweis geboten wurde, funktionierte die Furchtextinktion besser als bei adulten und adoleszenten Mäusen, die ohne ein solches Signal behandelt wurden.
Wir hoffen, dass wir mit den neuen Methoden bestehende Therapien von Angsterkrankungen besser auf das Gehirn von Teenagern zuschneiden können. Zugegeben, die Furchtreaktionen von Menschen mit krankhafter Angst fallen vermutlich viel stärker aus als bei den Versuchspersonen im Labor. Die in Experimenten eingesetzten aversiven Reize sind vergleichsweise mild und belasten die Probanden nur vorübergehend. Auch darf man nicht vergessen, dass viele Patienten gut auf eine kognitive Verhaltenstherapie und Antidepressiva ansprechen. Als am effektivsten könnte sich daher erweisen, all die verschiedenen Methoden samt Rekonsolidierungs-Update und Sicherheitssignal sowie zum Teil auch Medikamente sinnvoll miteinander zu kombinieren.
Wege aus der Angst
Leiden Sie unter starken Ängsten oder unter Panikattacken? Halten diese Sie von Aktivitäten ab oder beeinträchtigen Ihr Leben auf andere Weise? Unterstützung speziell für den Umgang mit Ängsten und Sorgen finden Sie bei der Deutschen Angst-Hilfe e.V. auf der Seite www.angstselbsthilfe.de/angebote/
In akuter Not wenden Sie sich bitte an Anlaufstellen, die Menschen in Krisensituationen helfen können: an den Hausarzt, niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychiater oder die Notdienste von Kliniken. Kontakte vermittelt der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117.
Die Telefonseelsorge berät rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: per Telefon unter den bundesweit gültigen Nummern 0800 1110111 und 0800 1110222 sowie per E-Mail und im Chat auf der Seite www.telefonseelsorge.de. Kinder und Jugendliche finden auch Hilfe unter der Nummer 0800 1110333 und können sich auf der Seite www.u25-deutschland.de von einem ebenfalls jungen Menschen beraten lassen.

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