Umstrittenes Werk: Vinland-Karte ist »definitiv eine Fälschung«
Zweifel an der Authentizität der Karte sind praktisch genauso alt wie die Karte selbst: Kaum war das Pergament im Jahr 1957 wie aus dem Nichts in den Handel gekommen, meldeten Experten Bedenken an. Nun liefern Scans mit einer neuen Methode den »unumstößlichen Beweis«: Die Vinland-Karte, die angeblich das von Wikingern entdeckte Neufundland zeigen soll, ist eine moderne Fälschung. Das teilt die Besitzerin der Karte, die Yale University, in einer Pressemitteilung mit. Die Tinte, mit der sie auf altes Pergament gezeichnet wurde, enthält überall Titan als Pigment. Damit ist die Karte vermutlich nicht älter als 100 Jahre.
Ende der 1950er Jahre war die Karte eine Sensation: Das angeblich im 15. Jahrhundert noch vor Kolumbus entstandene Werk zeigt eine Insel westlich von Grönland, die mit »vinlandia insula« bezeichnet ist. Vinland – das ist genau der Name, den die altnordischen Sagas der Wikingersiedlung auf dem nordamerikanischen Kontinent gaben. Prompt wurde die wiederaufgefundene Karte als das einzige unabhängige Beweisstück (neben den Sagas selbst) dafür gewertet, dass diese Entdeckung tatsächlich stattgefunden hat. Erst in den 1960er Jahren wurden bei archäologischen Ausgrabungen die Überreste dieser Siedlung entdeckt. Seitdem ist unumstritten, dass die Nordmänner vor Kolumbus den Kontinent besuchten. Der Karte verlieh das nur weitere Glaubwürdigkeit.
1959 erstand sie ein Spender für 250 000 US-Dollar und schenkte sie der Yale University. In deren Beinecke Rare Book & Manuscript Library wird sie bis heute aufbewahrt. Dass die Universität nun mit einer eigenen Untersuchung den modernen Ursprung belegt, ist bemerkenswert. Bislang hatte sie sich eines offiziellen Statements enthalten. Ein begutachteter Fachaufsatz über die neuen Studien steht noch aus.
Keine Restzweifel mehr möglich
Erhebliche Skepsis an der Echtheit der Karte gab es indessen schon lange. Zwar ergab eine Radiokarbondatierung, dass das Pergament tatsächlich so alt ist, wie es zu sein vorgibt. Doch Kartografiefachleute hatten an der ungewöhnlichen Darstellung der Insel und der Handschrift Anstoß genommen. Gleichwohl ließen frühere naturwissenschaftliche Untersuchungen Raum für Restzweifel. Beispielsweise war die Existenz von Titan in der Tinte schon länger nachgewiesen, allerdings nur an einzelnen Stellen. Hatte hier jemand vielleicht bloß einen stümperhaften Restaurierungsversuch unternommen? Das Yale-Team konnte nun jedoch die Karte so ausführlich wie gewünscht studieren und mit authentischen Werken jener Zeit vergleichen, was anderen Forscherinnen und Forschern verwehrt war.
Insbesondere kam ein Verfahren namens macro-XRF zum Einsatz. Bei dieser Variante der Röntgenfluoreszenz-Spektroskopie wird die Elementzusammensetzung nicht nur an einzelnen Stellen ermittelt, sondern es wird systematisch das gesamte Objekt abgetastet. Dabei zeigte sich, dass in sämtlichen Linien Titan enthalten ist. Gleichzeitig fanden sich nirgendwo Hinweise auf die Elemente, die historische Tinten jener Zeit enthalten müssten, allen voran Eisen und Schwefel.
Dass eine Täuschungsabsicht im Spiel war, erschließt das Team aus einer manipulierten Inschrift auf der Rückseite des Pergaments: Hier stand ursprünglich nur eine Anweisung an den Buchbinder, mehrere Teile miteinander zu verbinden. Der Fälscher oder die Fälscherin änderte dies aber noch durch einen Verweis auf eine ebenfalls einzubindende »Zeichnung«.
Objekte wie die Vinlandia-Karte würden mit den von ihnen angestoßenen Debatten unnötig viel intellektuellen Raum einnehmen, sagt Raymond Clemens, Kurator von der Beinecke Library, in der Pressemitteilung der Yale University. »Es gibt nun keinen begründeten Zweifel mehr. Mit der neuen Analyse ist die Angelegenheit ein für alle Mal geklärt.«
Wer die Fälschung anfertigte und wo und wann dies geschah, weiß das Forscherteam nicht. Die Tinte dürfte nicht vor 1920 hergestellt worden sein und ähnelt stark einem Produkt, das 1924 in Norwegen vertrieben wurde. Beim Pergament handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine unbeschriebene Seite in einer um 1440 in Basel entstandenen Ausgabe der mittelalterlichen Enzyklopädie »Speculum Historiale«. Das hatten übereinstimmende Muster von Wurmlöchern bereits früher nahegelegt. In den Handel kam die Vinland-Karte jedoch als Bestandteil einer Basler Ausgabe der »Hystoria Tartorum«, dem Bericht zweier polnischer Missionare. Offenbar gehörten die originalen Werke ursprünglich zu einem Band, wurden dann aber bei der Fälschung getrennt.
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