»Verheerende« Pläne: Artenhilfsprogramme sollen drastisch gekürzt werden
Dass der rasante Ausbau der erneuerbaren Energien eine bittere Pille für viele Naturschützerinnen und Naturschützer sein würde, wusste die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke bereits, als sie ihr Amt antrat. Sicher: Windräder, großflächige Fotovoltaikanlagen oder Wasserkraftwerke sind nicht die einzige Gefahr für Rotmilan, Schreiadler oder den Großen Abendsegler. Aber sie kommen zu den ohnehin bestehenden Problemen noch hinzu. Besonders für seltene Arten könnte die Energiewende deshalb zur Überlebensfrage werden.
Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit legte Lemke millionenschwere nationale Artenhilfsprogramme auf, mit dem doppelten Ziel, die Lebensbedingungen für die betroffenen Vogel- und Fledermausarten zu verbessern und gleichzeitig die Kritiker in den eigenen Reihen zu besänftigen. Doch ausgerechnet bei diesen Prestigeprojekten plant Lemke jetzt den Rotstift anzusetzen. An der Grünenbasis wirft man den eigenen Ministern schon jetzt vor, »eine Spur der Verwüstung im Naturschutz« zu hinterlassen. Die Kürzungspläne dürften den Frust verschärfen.
Mit den geplanten Budgetänderungen reagiert Lemke auf die Sparvorgaben aus dem Finanzministerium. Dabei entsprangen die Naturschutzprogramme ursprünglich den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Darin hatten sich die Ampelparteien darauf verpflichtet, die Energiewende »ohne den Abbau von ökologischen Schutzstandards zu forcieren«.
Der Kompromiss: Weniger Hürden für Erneuerbare, mehr Artenschutz anderswo
Im vergangenen Jahr einigten sich Lemke und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dazu auf einen Kompromiss. Die Umweltministerin räumte mittels Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz dem Ausbau der Windkraft zahlreiche Hürden aus dem Weg. Im Gegenzug wurden die nationalen Artenhilfsprogramme aus der Taufe gehoben. Sogar ein eigener Sonderbeauftragter für die Programme wurde im Umweltministerium berufen. Zusammen mit dem zuständigen Bundesamt für Naturschutz soll er dafür sorgen, dass die Bestände besonders »windkraftsensibler« Arten sich so stark erholen, dass sie die zusätzlichen Verluste verkraften können, die durch Kollisionen mit vielen neuen Windrädern zu erwarten sind.
Das jährliche Budget für die Artenhilfsprogramme soll halbiert werden
Es sei gelungen, »den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien mit höchsten ökologischen Standards zu verbinden«, feierte Lemke diesen Kompromiss. »Wir gehen damit bei der Bekämpfung der doppelten ökologischen Krise, der Klimakrise und dem Artenaussterben, entschlossen voran.«
Tatsächlich wurde die Beschleunigung des Windkraftausbaus in rasantem Tempo auf den Weg gebracht. Doch den Artenhilfsprogrammen droht der finanzielle Kahlschlag, noch bevor sie so richtig begonnen haben. Lemkes Ministerium plant nach Informationen von Spektrum.de, das jährliche Budget für die Programme fast zu halbieren. Künftig sollen statt der eigentlich ab 2025 geplanten 25 Millionen Euro jährlich nur noch 13,8 Millionen Euro aus Haushaltsmitteln zur Verfügung stehen.
Dabei war schon die ursprüngliche Finanzausstattung von Fachleuten als viel zu gering kritisiert worden, um angesichts der flächendeckenden Probleme für viele Tierarten etwas bewegen zu können. Auch Lemke hatte ursprünglich wesentlich größer geplant. Ihr schwebte eine Größenordnung von fast einer Milliarde Euro vor, als sie in die Koalitionsverhandlungen ging. Die aktuellen Kürzungspläne will das Bundesumweltministerium auf Nachfrage nicht kommentieren und verweist auf die schwierige Ausgangslage in den Haushaltsberatungen zu den erforderlichen Einsparungen. Die regierungsinternen Beratungen seien noch nicht abgeschlossen, insofern gebe es auch keine abschließenden Ergebnisse zum Haushalt des Umweltministeriums.
Experten reagieren entsetzt auf die Pläne, ausgerechnet beim Artenschutz einzusparen. »Mit einer so drastischen Reduzierung der Mittel wird es unmöglich, die Folgen der Energiewende abzupuffern oder auszugleichen«, sagt etwa Martin Flade, »das ist ganz einfach nicht mehr zu schaffen.« Flade ist Chef des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin. »Der Zustand vor allem der Vogelarten in der Agrarlandschaft ist so schlecht und verschlechtert sich immer mehr, dass wir hier einfach nicht sparen dürfen«, sagt der Naturschutzmanager, der selbst Mitglied der Grünen ist. »Die zusätzlichen Belastungen durch die erneuerbaren Energien müssen aufgefangen werden.«
Bundesnaturschutzfonds schrumpft, statt wie geplant zu wachsen
Auch im Umweltministerium und im Bundesamt für Naturschutz wächst der Frust. Von »Artenhilfsprogrammen light« ist dort bereits die Rede.
Das Bundesamt für Naturschutz ist gleich mehrfach betroffen. Bei ihm sind sowohl die Artenhilfsprogramme angesiedelt als auch weitere Naturschutzvorhaben, mit denen der Verlust der Biodiversität bekämpft werden soll und denen jetzt die Kürzung droht. Das jährliche Budget des Bundesnaturschutzfonds, in dem viele Projekte gebündelt sind, soll ab kommenden Jahr nur noch 108 Millionen Euro betragen. Eigentlich war geplant, dessen Mittel von aktuell 118 Millionen Euro bis 2026 auf 139 Millionen ansteigen zu lassen. Der Fonds ist ebenfalls ein Produkt aus der Frühzeit der Ampelregierung. Er war damals als übergreifende Klammer zur Förderung der Biodiversität aufgelegt worden. Daraus werden unter anderem Naturschutzgroßprojekte, die Schaffung von mehr Wildnisgebieten und das Bundesprogramm Biologische Vielfalt finanziert. Mit Letzterem setzt die Bundesregierung Naturschutzvorgaben um, zu denen sie sich international verpflichtet hat.
Auch führende Umweltpolitiker der Grünen im Bundestag sprechen sich strikt gegen Einschnitte aus. »Kürzungen ausgerechnet bei Naturschutzmitteln und Artenhilfsprogrammen angesichts des dramatischen Artensterbens wären ein fatales Signal«, sagt der Vorsitzende des Umweltausschusses, Harald Ebner. Auch der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jan-Niclas Gesenhues, erklärt im Gespräch mit Spektrum.de: »Ich halte es für verheerend, in der gegenwärtigen Lage bei Klima- und Umweltschutz zu sparen.«
Die Kritik der beiden Grünenpolitiker richtet sich indes nicht an die Adresse Lemkes, sondern an Bundesfinanzminister Christian Lindner, der die Einsparungen von den grün geführten Ministerien fordert. Lindner habe es nicht einmal hinbekommen, akzeptable Eckpunkte für den Haushalt durch das Kabinett zu bringen, und fordere nun ausgerechnet in den wichtigen Zukunftsressorts Einsparungen, sagt Gesenhues. Es könne nicht sein, dass Klima- und Naturschutz dafür genutzt werden sollten, den Bundeshaushalt zu sanieren.
In der Tat hat Lindner dem Umweltministerium ein Einsparziel vorgegeben. Allerdings: An welchen Stellen innerhalb des knapp 2,5-Milliarden-Euro-Haushalts gespart wird, liegt in der Verantwortung der Umweltministerin selbst.
»Die Spitze der SPD ist keine Verbündete im Naturschutz«Jan-Niclas Gesenhues, Grünen-Bundestagsfraktion
Gesenhues kündigt an, im Parlament gegen die Sparvorgaben mobil zu machen. »Wir werden dafür kämpfen, dass nicht an Stellen gekürzt wird, die die ökologische Krise weiter antreiben und uns dadurch als Gesellschaft schaden«, sagt der Umweltpolitiker.
Große Hoffnung auf Unterstützung seitens des Koalitionspartners SPD macht er sich nicht. »Die Spitze der SPD ist keine Verbündete im Naturschutz.« Die Grünen stünden häufig allein gegen FDP und SPD in der Ampel. »Man sollte sich keine Hoffnung machen, dass das Kanzleramt eine Unterstützung sein wird bei der Haushaltsplanung«, sagt der Grünenpolitiker. Schon in seiner Zeit als Bürgermeister in Hamburg habe Scholz stets am Umwelthaushalt gespart, um seine Haushaltsprobleme zu lösen.
Große Unzufriedenheit bei grünen Naturschützern
Die Sparpläne sind schon deshalb heikel, weil sich Naturschützer innerhalb der Grünen schon seit Längerem an die Wand gedrückt fühlen, insbesondere von Habeck und seinem Wirtschaftsministerium. Ganz gleich, ob im Osterpaket zum schnelleren Ausbau der Windenergie vor den Küsten, im Sommerpaket für den Turbo an Land oder bei der Übernahme einer EU-Notverordnung zum beschleunigten Ausbau von Windrädern und Stromtrassen: Alle Gesetze, die maßgeblich von Habecks Wirtschaftsministerium vorangetrieben werden, sind mit massiven Zumutungen für den Natur- und Artenschutz verbunden. So dürfen Windkraftanlagen künftig viel näher an die Brutplätze auch seltener Arten heranrücken. Landschaftsschutzgebiete sind kein Tabu mehr und die Liste der Vogelarten, für die es überhaupt Risikoprüfungen geben muss, wurde auf 15 Arten zusammengestrichen.
»Wir stehen mächtig unter Druck«, räumen Naturschutzpolitikerinnen und -politiker der Grünen ein. Die Angst sitze tief, ohne die Brechstange gegen den Naturschutz die Ausbauziele und damit die Energiewende nicht erreichen zu können. Deshalb würden viele Kröten geschluckt, auch wenn der Unmut wachse.
Die Forderungen nach einer Aufwertung des Naturschutzes werden bei den Grünen gleichwohl lauter und dürften sich mit Bekanntwerden der Sparpläne noch verstärken. Schon jetzt erheben Naturschützer in der Partei massive Vorwürfe gegen Regierungsvertreter aus den eigenen Reihen. Derzeit macht ein Entwurf für eine »Naturschutzoffensive bei den Grünen« die Runde, den Biosphärenreservat-Manager Flade entworfen hat und in dem von einer »immer breiter werdenden Spur der Verwüstung« im Naturschutz die Rede ist. Gemeint ist die von den eigenen Ministern betriebene Wirtschafts- und Klimapolitik.
»Wir möchten Sie über systematische Verstöße Deutschlands gegen EU-Naturschutzrecht in Kenntnis setzen«NABU-Schreiben an die EU-Kommission
In einem anderen Papier, das zahlreiche kommunal aktive Umweltpolitikerinnen und -politiker der Partei unterzeichneten, heißt es, der Naturschutz sei durch die von den Grünen initiierten Gesetzesänderungen »in bisher unbekanntem Ausmaß rechtlich und politisch geschwächt worden«. Die Bilanz sei verheerend: Während die Grünen mittlerweile in immer mehr Bundesländern und im Bund in Regierungsverantwortung seien, zeichne sich keine Trendwende beim Artensterben oder der Vernichtung von Lebensräumen ab. »Die Grünenpolitik schützt in der Praxis oftmals weder konsequent das Klima noch setzt sie wirksamen Naturschutz durch«, lautet das vernichtende Urteil der eigenen Parteibasis. »Nicht selten wird beides auch parteiintern gegeneinander ausgespielt.«
Auch einige Naturschutzverbände geben ihre Zurückhaltung gegenüber der Ampelkoalition zunehmend auf
Der NABU rief vor Kurzem sogar die EU-Kommission zu Hilfe. In einer Beschwerde an die Kommission forderte der Verband die Behörde auf, »für die Umsetzung geltenden Rechts auch beim Ausbau der Windenergie in Deutschland« zu sorgen. »Wir möchten Sie über systematische Verstöße Deutschlands gegen EU-Naturschutzrecht in Kenntnis setzen und Sie um Abhilfe bitten«, heißt es in dem Mitte April abgeschickten Beschwerdeschreiben, dem ein Rechtsgutachten beigelegt wurde.
Kritik an der Ampelpolitik äußern allerdings auch Naturschützerinnen und Naturschützer in der SPD. Unter der Betreffzeile »Das Versagen der SPD in der Naturschutzpolitik« meldete sich vor wenigen Tagen eine Gruppe von SPD-Mitgliedern bei der Parteispitze und forderte eine Kurswende in der Umweltpolitik. Auch ihr Vorwurf lautet, dass Parteiführung und Ministerien einseitig zu Lasten von Natur und Biodiversität auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzten. »Uns empört die katastrophale Naturschutzpolitik der SPD auf Bundesebene«, schreibt die »Rotkehlchen« genannte Gruppe. Sie besteht aus SPD-Mitgliedern, darunter auch solche, die führende Positionen innerhalb des NABU bekleiden, dem mit 900 000 Mitgliedern größten Naturschutzverband des Landes.
Mit einer Rückkehr zu einer Naturschutzpolitik, wie sie schon Willy Brandt mit seiner Programmatik »der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden« erfolgreich betrieben habe, könne die SPD auch gegen die Grünen punkten, schreiben die »Rotkehlchen«.
Einen Seitenhieb auf die Probleme beim grünen Koalitionspartner können sich die SPD-Naturschützer nicht verkneifen. Mit einer engagierten Politik zu Gunsten der natürlichen Lebensgrundlagen »würden wir sogar ein deutliches Zeichen für eine SPD als Volkspartei setzen, nachdem sich die Grünen immer mehr vom Naturschutz verabschieden«, schreiben sie. Die Reaktion von Teilen der Parteispitze fiel kühl aus. Fraktionschef Rolf Mützenich ließ die Genossinnen und Genossen Rotkehlchen nach deren Angaben bereits wissen, er habe keine Zeit für ein Treffen.
Update 15.05.: Der Artikel wurde um eine Stellungnahme des Bundesumweltministeriums ergänzt.
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