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Neues Bundeswaldgesetz: Legaler Kahlschlag für den deutschen Wald

Auf Betreiben von FDP und Forstlobby hat Agrarminister Cem Özdemir sein geplantes Waldgesetz stark entkernt. Experten fürchten: So wird Deutschland seine Klimaziele reißen.
Holzvollernter (Harvester) bei der Arbeit
Für die Arbeit mit den großen Maschinen werden beträchtliche Teile des Waldes geopfert. Deshalb sah das Waldgesetz ursprünglich vor, die für Schneisen verwendete Fläche auf zehn Prozent zu reduzieren.

Als der Wald in Deutschland erstmals ein eigenes Gesetz bekam, war Helmut Schmidt gerade Kanzler geworden, über die Gefahren des Klimawandels sprach praktisch niemand, und selbst das große Waldsterben durch sauren Regen stand noch bevor.

Das war 1975. Dem Zeitgeist entsprechend war das damals neu verabschiedete »Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft« genau das, was der Name versprach: eine Maßnahme im Sinne der Holzindustrie. Im Wald sah man vor allem: eine Produktionsstätte.

Den Herausforderungen der Gegenwart ist das 50 Jahre alte Gesetz nicht mehr gewachsen. »Wir stecken in einer tiefen Waldkrise, in der der Klimawandel auf ein durch jahrhundertelange Nutzung stark vorgeschädigtes Ökosystem trifft und es weiter belastet, teilweise überlastet«, sagt Pierre Ibisch, Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. »Der Wald braucht dringend eine Verschnaufpause.«

Zahlen untermauern das: Vier von fünf Bäumen der häufigsten Arten Fichte, Kiefer, Buche und Eiche sind krank, ergab der jüngste Waldzustandsbericht. Deutschland steht zudem die größte Wiederaufforstung seiner Geschichte bevor. Dürre, Borkenkäfer und Stürme haben viele Mittelgebirge in apokalyptisch anmutende Landschaften verwandelt. Mehr als 500 000 Hektar Wald wurden in den vergangenen Jahren zerstört.

Was es nun brauche, seien »artenreiche und klimaresiliente Wälder mit überwiegend standortheimischen Baumarten«. So formulierten es auch SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag. Ein zeitgemäßes Update des Waldgesetzes von 1975 sollte den Rahmen zum Erreichen dieses Ziels liefern.

Bereits vor Monaten hat der zuständige Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Aus dem »Gesetz zur Förderung der Forstwirtschaft« sollte ein »Gesetz zum Schutz und zur Erhaltung des Waldes, seiner Schutzgüter und Ökosystemleistungen« werden. Die Philosophie dahinter war neu: weg vom Wald als reinem Wirtschaftsstandort, hin zu einem Ökosystem unter nachhaltigerer Nutzung als bisher.

1500 Änderungswünsche aus der Lobby

Wie schon beim Heizungsgesetz seines Kollegen Robert Habeck wurde Özdemirs Entwurf vorzeitig durchgestochen. Noch bevor sich die Regierung damit befassen konnte, löste er eine heftige Protestwelle von Waldbesitzerverbänden, Holzwirtschaft und dem Koalitionspartner FDP aus. Dem Vernehmen nach forderten Lobbyverbände nicht weniger als 1500 Änderungen. Özdemir, von dem es heißt, dass er sich Hoffnung auf die Nachfolge von Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Waldland Baden-Württemberg macht, ging daraufhin mit dem Papier über Monate in Deckung. Dieser Tage brachte er eine komplett überarbeitete Fassung in die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung.

Von einem »Kahlschlag an den eigenen Ideen« sprechen Kritiker: Gegenüber der ursprünglichen Fassung sei der Gesetzesentwurf an vielen, auch entscheidenden Stellen bis zur Wirkungslosigkeit abgeschwächt worden.

»Wichtige Paragrafen sind so wachsweich formuliert, dass selbst die wenigen Bestimmungen zum Schutz des Ökosystems zu zahnlosen Tigern werden«, sagt der Waldökologe Ibisch. Im Ergebnis gebe es praktisch nichts, »womit Bürgerinnen oder Naturschutzverbände vor Gericht ziehen könnten, wenn jemand gegen das Gesetz verstößt«.

Immerhin, lobt er, sei der Entwurf fortschrittlicher als das geltende Waldgesetz von 1975. Der Wald werde nicht mehr ausschließlich als Holzproduzent gesehen, sondern auch in seiner Bedeutung für den Klimaschutz anerkannt. Ökologische Funktion und wirtschaftliche Nutzung stünden gleichberechtigt nebeneinander.

Waldbesitzerverbände lehnen das Gesetz weiterhin ab

Auch einige der Forstwirtschaft nahestehende Experten können dem Gesetzesentwurf positive Seiten abgewinnen. »Es ist gut, dass erstmals überhaupt Umweltaspekte Einzug in ein rein forstliches Gesetz halten«, sagt Alexander Ionis, Rechtsanwalt für Transformationsrecht in Berlin und früherer Justitiar eines einflussreichen Forstverbands. »Das Gesetz bietet die Chance, eine systematische Verbindung zwischen Ökologie und wirtschaftlichen Belangen herzustellen.« Damit spricht Ionis allerdings nicht für die großen Waldbesitzerverbände. Sie lehnen das Gesetz auch in der abgespeckten Variante ab, trotz Özdemirs weit reichendem Entgegenkommen.

Bei Naturschutzverbänden und bei Fachleuten im Bundesumweltministerium ist die Verärgerung über den Landwirtschaftsminister dagegen groß. Während er praktisch alle Änderungswünsche der Waldbesitzerlobby übernommen habe, »fielen Vorschläge der Umweltverbände, aber auch des Bundesumweltministeriums offenbar vollständig durch«, heißt es in einer internen Bewertung eines großen Umweltverbands. Dem Einfluss der Naturschutzverbände und des Umweltministeriums auf Özdemirs finalen Entwurf gibt man darin die Schulnote »5 minus«. Aus dem Umfeld des Grünenpolitikers waren zuvor einige zentrale Änderungen an die Verbände durchgegeben worden, mit dem Kommentar »damit Ihr nicht vom Hocker fallt, wenn Ihr den neuen Entwurf seht«.

Waldumbau | Wo Dürre und Borkenkäfer die Fichtenbestände vernichtet haben, steht die Forstwirtschaft vor einer Richtungsentscheidung: Sollen die Flächen abgeräumt und wieder bepflanzt werden, wie hier in einem Waldgebiet bei Soest? Oder überlässt man es dem Wald, sich selbst zu regenerieren?

Tatsächlich wurden konkrete Regelungen, die in der Erstfassung enthalten waren, fast völlig gestrichen. So gibt es keine Vorgaben mehr dazu, wie viele Schneisen zur maschinellen Bearbeitung mit den großen Holzerntemaschinen in den Wald geschlagen werden dürfen. Im ersten Entwurf war deren Fläche noch auf zehn Prozent des Waldes begrenzt worden. Auch Vorgaben zum Anteil von so genannten Habitatbäumen, die einer Vielzahl von Lebewesen ein Zuhause bieten, und von Totholz fehlen inzwischen, während nicht heimische Baumarten wie die Douglasie auch weiterhin auf fast der Hälfte der Flächen angepflanzt werden dürfen. »Der Patient Wald braucht dringend eine Kur – aber die wird ihm in diesem Gesetz verweigert«, kommentiert die Waldexpertin des Deutschen Naturschutzrings, Svenja Schünemann.

Kahlschläge bis ein Hektar ohne Genehmigung

Besonders umstritten sind die Regeln für Totalabholzungen, so genannte Kahlschläge. Sie sollen grundsätzlich weiterhin in beliebigem Ausmaß möglich sein, ab einem Hektar braucht es dazu lediglich das Einverständnis einer unteren Forstbehörde, bei weniger als einem Hektar nicht einmal das. Wer ohne Genehmigung vorgeht, musste in Özdemirs ursprünglichem Entwurf noch mit Haftstrafen von bis zu einem Jahr rechnen. Laut dem neuen Entwurf drohen hingegen maximal Bußgelder, und diese sind nicht einmal zwingend vorgeschrieben. »Kahlschlag ist kein Kavaliersdelikt«, sagt die WWF-Waldexpertin Susanne Winter dazu. »Das großflächige Abholzen eines alten Buchenwalds wie das Falschparken als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, schreckt nicht ab.«

Der Entwurf sei in diesem Punkt weit hinter dem zurückgeblieben, was ökologisch notwendig wäre, kritisiert auch Pierre Ibisch. »Kahlschläge halte ich für unverantwortlich, ja sogar für kriminell, weil dadurch die Leistungsfähigkeit des gesamten Ökosystems massiv beschädigt wird.« Die Radikal-Rodungen ausgedehnter Flächen würden unter anderem durch Humusabbau im großen Stil Treibhausgase freisetzen, die Böden dauerhaft schädigen und den Wasserhaushalt auf großer Fläche beeinträchtigten, argumentiert der Ökologe. »Wir zerstören damit nicht nur den Wald selbst, sondern auch seine wichtigen Funktionen für die Umwelt und den Menschen.« Auch das Bundesumweltministerium hatte sich vergeblich für schärfere Regeln beim Kahlschlag eingesetzt.

»Mit diesem Waldgesetz werden wir die Ziele des Klimaschutzgesetzes ziemlich sicher nicht erreichen können«Pierre Ibisch, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Klima- und Naturschutzziele auf der Kippe?

Am Wald hängt vieles, ganz besonders aber die Klimapolitik in Deutschland. Weil Wälder im Boden und im Stammholz große Mengen an Kohlenstoff binden, werden sie als so genannte natürliche Senken genutzt, um Emissionen zu kompensieren, die sich nicht vermeiden lassen. Im Klimaschutzgesetz ist dieser so genannte Senkenbeitrag des Landnutzungssektors fest eingepreist: 25 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente bis 2030 muss der Wald aufnehmen, andernfalls geht die Rechnung nicht auf, und Deutschland müsste an anderer Stelle noch mehr einsparen. »Das ist eine gewaltige Wette auf die Zukunft, die nur mit gesunden Wäldern und einer sehr viel behutsameren Bewirtschaftung der Wälder eingelöst werden kann«, sagt WWF-Expertin Winter.

Ein starkes Waldgesetz hätte der Bundesregierung geholfen, diese Ziele zu erreichen. Es sei illusorisch zu glauben, dass der Wald ein effektiver Klimaschützer sein könne, während er gleichzeitig intensiv weitergenutzt werde, findet auch Waldforscher Ibisch: »Das passt einfach nicht zusammen – mit diesem Waldgesetz werden wir die Ziele des Klimaschutzgesetzes ziemlich sicher nicht erreichen können.«

Auch bei der zweiten Naturkrise unserer Zeit, dem massiven Rückgang der Artenvielfalt, spielt der Wald eine Schlüsselrolle. Und hier bleibt das Gesetz ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. Deutschland hatte sich 2022 im Weltnaturabkommen von Montreal dazu verpflichtet, auf 30 Prozent der Landesfläche einen effektiven Biodiversitätsschutz zu garantieren. Das von der EU gerade erst verabschiedete Renaturierungsgesetz sieht sogar vor, dass jeder Mitgliedsstaat bis 2030 auf einem Fünftel seiner Fläche aktiv ein gesundes Ökosystem wiederherstellt. Das gilt auch für Deutschland.

»Trotzdem tut die Regierung so, als gebe es diese Verpflichtungen nicht«, sagt Sven Selbert, Experte vom Naturschutzbund (NABU). Der Umweltverband hatte zuvor ausgerechnet, dass Deutschland, will es die europäischen Vorgaben erreichen, rund 30 Prozent seiner heimischen Wälder nach naturschutzorientierten Kriterien bewirtschaften und 15 Prozent sogar ganz aus der wirtschaftlichen Nutzung nehmen müsste. Doch kein einziges der acht Kriterien, mit denen das auch von Deutschland unterstützte EU-Gesetz den naturnahen Zustand des Ökosystems Wald verbessern will, würden in Özdemirs Entwurf aufgegriffen, kritisiert der NABU-Experte.

Schutz und Nutzung »keine Gegensätze«

Auch andere Fachleute mahnen deutlich mehr Ehrgeiz bei der Ökowende an. Ohne wesentliche Fortschritte bei der Erhaltung des Ökosystems Wald könne Deutschland seine internationalen Verpflichtungen nicht einhalten, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle: »Biodiversitätsschutz im Wald ist ein Schlüsselelement.«

Dabei seien Naturschutz und Waldwirtschaft nicht zwingend Gegensätze. »Ein besserer Schutz auch größerer Flächen gelingt überraschend häufig mit einer nachhaltigeren Nutzung.«

Ob das Gesetz selbst in dieser abgespeckten Variante eine Chance hat, wie geplant im Herbst vom Kabinett verabschiedet und danach im Bundestag beraten und beschlossen zu werden, ist angesichts der Spannungen in der Regierungskoalition alles andere als gesichert. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen – beides waldreiche Länder – dürften Reformen nicht einfacher machen.

FDP-Chef Christian Lindner jedenfalls gab sich vor Kurzem bei einer Veranstaltung der Privatwaldbesitzer als Schutzpatron gegen das Gesetz: »Fürchtet euch nicht!«, rief er dem versammelten Wald-Adel entgegen. »Die Novelle des neuen Bundeswaldgesetzes steht nicht kurz bevor.« »Ein Ohrenschmaus«, schwärmte Verbandschef Max Freiherr von Elverfeldt danach.

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