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Deutungen der Quantenmechanik: Unser Universum könnte Teil eines Quanten-Multiversums sein

Die Quantentheorie lässt viele verschiedene Deutungen zu. Nun haben Computersimulationen gezeigt, dass die Viele-Welten-Interpretation mit unserem Universum vereinbar ist.
Multiversum?
Nicht nur Philosophen fragen sich, ob es mehr als eine Realität gibt.

Obwohl sie seit rund 100 Jahren besteht, birgt die Quantenphysik noch immer Rätsel. Die Theorie ist zwar überaus erfolgreich: Sie erklärt das Verhalten von Quarks, Atomen, Molekülen und sogar komplexeren Systemen – und wurde darüber hinaus bei zahlreichen Experimenten bestätigt. Trotzdem fehlen bis heute Erklärungen dafür, warum sich die Quantenwelt so anders verhält als das, was wir auf makroskopischer Ebene erleben.

Die geläufigste Deutung der Quantentheorie, die so genannte Kopenhagener Deutung, lautet vereinfacht gesagt: »Halt die Klappe und rechne!« Sprich: Die Theorie müsse sich darauf beschränken, überprüfbare Vorhersagen zu machen; es habe keinen Sinn, zu fragen, weshalb sie funktioniert und was dahintersteckt. Nicht alle Fachleute akzeptieren diese Sichtweise. Darum sind den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche alternative Deutungen entstanden.

Eine davon ist die Viele-Welten-Interpretation. Ihr zufolge erzeugt jede Messung eines physikalischen Systems so viele Paralleluniversen, wie es mögliche Messergebnisse gibt. Nun hat eine Forschungsgruppe unter der Leitung des Physikers Philipp Strasberg von der Autonomen Universität Barcelona Computersimulationen durchgeführt, um zu untersuchen, ob diese hypothetischen vielen Welten mit der Existenz eines klassischen, stabilen Universums wie dem unseren vereinbar sind. Ihre Arbeit hat sie Ende Oktober 2024 in der Fachzeitschrift »Physical Review X« veröffentlicht.

Hier und dort; tot und lebendig

Das Problem mit der Quantenmechanik entspringt dem Kern der Theorie. Sie besagt, dass physikalische Systeme durch eine Wellenfunktion beschrieben werden. Damit folgen sie dem für Wellen typischen Überlagerungsprinzip. Daraus ergeben sich bizarre Konsequenzen. Zum Beispiel kann ein Lichtteilchen, ein Photon, an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig sein – oder eine Katze kann sich in Erwin Schrödingers berühmten Gedankenexperiment in einer Schachtel in einer Kombination aus den Zuständen »lebendig« und »tot« befinden. Nur eine Messung des physikalischen Systems (das Öffnen der Schachtel) legt den Zustand des Systems eindeutig fest.

Die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik erklärt nicht, was vor der Messung des Quantensystems geschieht. Damit bleibt die wahre Bedeutung überlagerter Zustände unklar. Für viele Fachleute ist das irrelevant, da das Problem keine praktischen Konsequenzen hat. Andere halten es im Gegenteil für eine entscheidende Frage, da es hierbei um die Natur unserer Realität geht.

Eine der Alternativen zur Kopenhagener Deutung ist zum Beispiel die Dynamische-Kollaps-Theorie der Wellenfunktion. Sie identifiziert eine präzise Ursache, um zu erklären, was mit einem physikalischen System vor der Messung geschieht. Ein anderer verbreiteter Ansatz ist die Viele-Welten-Interpretation, die der US-amerikanische Physiker Hugh Everett im Jahr 1957 vorschlug.

Jede Messung erzeugt ein neues Universum

Diese Deutung besagt, dass jedes mögliche Messergebnis eines physikalischen Quantensystems tatsächlich realisiert wird – allerdings in verschiedenen Universen. Im Beispiel von Schrödingers Katze gäbe es also nach dem Öffnen der Schachtel ein Universum, in dem die Katze lebendig ist, und ein anderes, in dem sie tot ist. Eine solche Interpretation setzt die Existenz einer schier unendlichen Anzahl verzweigter Universen voraus, einschließlich desjenigen, in dem wir leben.

Auch wenn die Hypothese einleuchtend klingt, hat sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Zum einen lässt sie sich bloß sehr schwer experimentell überprüfen. Vor diesem Problem stehen fast alle alternativen Interpretationen der Quantenmechanik. Zum anderen müsste ein solches Quanten-Multiversum mit den Eigenschaften unseres Universums vereinbar sein, das stabil ist und den Gesetzen der klassischen Physik folgt. Einige Kritiker hatten angemerkt, das Viele-Welten-Modell könne Universen mit seltsamen physikalischen Eigenschaften hervorbringen, die wenig mit dem zu tun haben, was wir beobachten.

Diesen Aspekt hat Strasberg mit seiner Kollegin Teresa Reinhard sowie seinem Kollegen Joseph Schindler untersucht. Mit Hilfe von Supercomputern simulierten sie die vielen verschiedenen möglichen Entwicklungen eines Quantensystems, das zahlreiche Energieniveaus besitzt. Sie fanden heraus: Eine Vergrößerung des Systems führt – unabhängig von der Wahl der Anfangsbedingungen – zu einer annähernd gleichen und stabilen makroskopischen Struktur. Das untermauert die Hypothese, unsere klassische Realität könnte aus einem reinen Quantensubstrat entstehen.

»Wenn wir das Verhalten einzelner Elektronen, Atome oder Photonen betrachten, widerspricht die Quantenphysik unserer Alltagserfahrung«, erläutert Strasberg. »Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass die bizarren Quanteneffekte verschwinden, wenn wir makroskopische Größen betrachten, wie die Temperatur einer Tasse Kaffee oder die Position eines Steins.« Weiter zeige die Forschung des Teams »insbesondere, dass dieser Effekt extrem schnell eintritt, so dass sich auch eine Ansammlung von wenigen Atomen oder Photonen klassisch verhalten kann«.

»Klassische Universen, die sich durch Ordnung, Struktur und einen Zeitpfeil auszeichnen, können in einzelnen Zweigen eines Quanten-Multiversums entstehen«Philipp Strasberg, Physiker

Das Ergebnis ist besonders interessant im Zusammenhang mit dem Multiversum, das in der Viele-Welten-Interpretation vermutet wird. Möglicherweise erklärt es in einigen Fällen sogar die Existenz der einseitigen Richtung der Zeit. Strasberg zufolge können »klassische Universen, die sich durch Ordnung, Struktur und einen Zeitpfeil auszeichnen, in einzelnen Zweigen eines Quanten-Multiversums entstehen, obwohl Letzteres im Großen und Ganzen chaotisch und strukturlos ist und ohne eine ausgezeichnete Zeitrichtung zu existieren scheint.«

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  • Quellen
Strasberg, P. et al.: First principles numerical demonstration of emergent decoherent histories. Physical Review X 14, 2024

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