Zoologische Entdeckungen: Verborgene Exemplare
Ob in freier Wildbahn oder im Museumskeller – Millionen von Tierarten warten noch auf ihre Entdeckung. Nur, wie wird man fündig? Im Interview mit "spektrumdirekt" erzählt der Zoologe Wolfgang Böhme vom erfolgreichen Suchen.
spektrumdirekt: Herr Böhme, Sie werden bisweilen als Kryptozoologe bezeichnet. Was versteht man denn darunter?
Wolfgang Böhme: In meinem Fall bezeichnet es das Aufspüren von Tieren, die der Wissenschaft bis dahin verborgen geblieben sind.
Was hat Sie zur Kryptozoologie gebracht?
Ein Waran, der eine etwas merkwürdige Entdeckungsgeschichte hat. Ich habe ihn zuerst in einer Fernsehdokumentation gesehen. Nichts ahnend verfolgte ich 1985 eine ZDF-Sendung über Land und Leute des Jemen, und plötzlich stiefelte ein Waran durch das Bild. Das war extrem ungewöhnlich, denn niemand hatte bis dahin Warane beschrieben, die in diesem Land leben. Er sah auch nicht aus wie ein Wüstenwaran, der im benachbarten Saudi-Arabien vorkommt, und so war ich mir schnell sicher, dass er zu einer unbeschriebenen Art gehörte.
Wie haben Sie das Tier schließlich ausfindig gemacht?
Der Filmemacher verriet mir und meinem Team die Stelle, wo er die Aufnahme gedreht hatte. Dort wurden dann beim zweiten Anlauf tatsächlich auch Exemplare entdeckt, und es gelang der Beweis, dass es sich um eine neue Art handelte: den Jemen-Waran. Im Nachhinein meldeten sich viele, die ebenfalls Vertreter dieser Art im Jemen und in Saudi-Arabien gefunden hatten. Der Präsident der deutsch-jemenitischen Gesellschaft schickte mir sogar Fotos von totgefahrenen Exemplaren.
Wenn die Art so häufig vorkommt, dass tote Exemplare auf der Straße liegen, wieso haben Biologen den Jemen-Waran nicht schon viel früher entdeckt?
Das hängt mit der Jahreszeit und dem Lebenszyklus der Tiere zusammen. Der Jemen-Waran hat sich dem tropischen Rhythmus von Regen- und Trockenzeit angepasst. Meine Studenten lauerten ihm drei Monate lang, von Januar bis März, immer wieder vergeblich an der beschriebenen Stelle auf. Genau in dieser Zeit hält der Jemen-Waran jedoch Trockenruhe, das heißt, er ist kaum aktiv und verlässt seinen Bau nicht. Ein Schweizer Kollege ist noch einmal im Oktober dorthin gereist und wurde fündig.
Behielten Sie nach dieser Erfolgsgeschichte einfach den Kurs bei und sind weiter auf die Suche nach unbekannten Tierarten gegangen?
Nein, Sie dürfen sich das nicht so einfach vorstellen. Solange man nicht unbegrenzt Zeit und Geldmittel besitzt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, bei einer Suche nach neuen Arten spontan erfolgreich zu sein. Deswegen haben wir meist von hier aus geforscht. Tatsächlich machten wir aber im Jahr 1999 eine weitere Entdeckung.
Verraten Sie uns, welche?
Reliktkrokodile, die in der Sahara leben und bereits 1864 beschrieben worden sind. Relikte deshalb, weil die Sahara vor 10 000 Jahren eine fruchtbare, grüne Savanne war und erst nach und nach immer stärker ausgetrocknet ist. Die Krokodile folgten der sich zurückziehenden Vegetation zu der Wasserstelle, waren dann in den verbliebenden Oasen gefangen und mussten sich schließlich anpassen. Als wir uns in Mauretanien auf die Suche nach den Tieren machten, galten sie bereits seit 70 Jahren als ausgestorben. Dennoch erzählten uns die Menschen vor Ort, dass sie Krokodile beobachtet hätten, und führten uns dorthin, wo uns der sensationelle Fund gelang. Das ist übrigens eine klassische kryptozoologische Vorgehensweise, eine unbeschriebene Art mit Hilfe von Augenzeugenberichten aufzuspüren.
Kann man heute noch eine neue Tierart entdecken, ohne dafür in die Wildnis zu ziehen?
Ja, in den Archiven und Sammlungen spüren wir immer wieder unbeschriebene Arten auf. Das ist Alltag für uns. Vor einer halben Stunde habe ich einem Kollegen ein Exemplar einer neuen Geckoart geschickt, das seit 1875 unbemerkt in unserem Keller lag. Wahrscheinlich warten in den meisten großen Museen noch unentdeckte Schätze. Diese Art der Forschungsarbeit ist aber nicht im engeren Sinn kryptozoologisch, denn uns hat niemand vorher zugeflüstert, dass dort etwas verborgen ist.
Warum wird Kryptozoologie an deutschen Universitäten nicht gelehrt?
Weil es keine harte Naturwissenschaft ist. Was für die Astronomie die fliegende Untertasse ...
... ist für die Biologie Nessie, Schneemensch oder Bigfoot?
Genau, das sind die abstrusen kryptozoologischen Beispiele, die die Medien immer wieder aufgreifen. Nicht jeder Mythos muss sich zwangsläufig in die reale Existenz einer biologischen Art auflösen, aber auch das gibt es.
Können Sie mir ein Beispiel dafür geben?
So war es im Fall des Riesenkalmars. Diese Wesen kannte man bereits aus mittelalterlichen Berichten von Riesenkraken, die angeblich Schiffe in die Meerestiefe gezogen haben. Mittlerweile ist ihre Existenz gesichert, doch bevor man erste handfeste Hinweise fand – Fangarme in Mägen von Pottwalen und Saugnapfspuren auf deren Haut –, betrachtete man diese Tiere als Fabelwesen. Es gibt übrigens eine Fachgesellschaft für Kryptozoologie in den USA, die eine Zeitschrift herausgibt und solche Beispiele thematisiert. Darin finden sich auch der Jemen-Waran und unsere Geschichte über die afrikanischen Zwergelefanten.
Aber die Existenz des afrikanischen Zwergelefanten ist doch bis heute umstritten. Oder?
Sie haben Recht, seine Existenz ist nie anerkannt worden. Kritiker behaupten, dabei handele es sich um Jungtiere der Waldelefanten. In Afrika gibt es zwei verschiedene Elefantenformen, den großen Savannenelefanten und den wesentlich kleineren Waldelefanten, der im Regenwald lebt. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts gibt es Hinweise darauf, dass neben dem Waldelefanten ein noch kleinerer so genannter Zwergelefant dort existieren soll. Zusammen mit meinem damaligen Professor, dem großen Afrikaforscher Martin Eisentraut, habe ich jedoch Indizien gefunden, die dafür sprechen, dass diese Art real ist.
Welche Hinweise waren das?
In Kamerun zeigten uns Pygmäen sehr kleine Stoß- und Backenzähne, die ihrem Zustand nach zu urteilen nicht von Jungtieren stammten. Wir untersuchten auch noch im Kongomuseum im belgischen Tervuren ungewöhnlich kleine Schädel unter den Exemplaren, die die Belgier während der Kolonialzeit im Kongobecken erlegt hatten. Unsere Ergebnisse haben wir in der Zeitschrift des Kölner Zoos veröffentlicht, woraufhin mir der damalige deutsche Botschafter aus Brazzaville im Kongo, Harald Nestroy, einen Brief schrieb. Er hätte den Zwergelefantenartikel interessiert gelesen, und es gäbe unter Einheimischen keinen Zweifel, dass zwei verschiedene Elefantenarten im Wald lebten. Ihm ist es später tatsächlich auch gelungen, eine kleine Herde dieser Minielefanten zu fotografieren. Damit konnte er überzeugend widerlegen, dass die Zwergelefanten die Jungtiere der Waldelefanten sind, denn auf dem Foto sieht man ihre eigenen Jungtiere – die es nicht über Hundegröße gebracht haben. Weil wir aber keinen genetischen Nachweis haben, liegt ihre Existenz im Grunde genommen jedoch immer noch im Dunkeln.
Warum fehlt der genetische Nachweis?
Selbst wenn man einmal annimmt, Sie hätten die nötige Zeit und das entsprechende Kleingeld, um auf Elefantenpirsch zu gehen. Allein damit, die Tiere aufzuspüren, ist es nicht getan. Sie müssen auch einen enormen Papierkrieg bewältigen, um auch nur eine Kotprobe legal aus- und einzuführen, die Sie für die Laboruntersuchung brauchen. Diese Geschichte weiterzuverfolgen, überlasse ich inzwischen gerne Jüngeren!
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