Menschliche Entwicklung: Wachs- und Gedeih-Planspiele
Wenn Ökonomen einen Grund zum Jammern suchen, werden sie meist besonders tüchtig: Junge Deutsche, so etwa ein beliebtes Lamento, sind schon viel zu alte Deutsche, wenn sie endlich von der Uni abgehen. Dabei übertreiben doch Langzeitstudenten eigentlich nur das, was die Evolution unseren Jäger- und Sammlerahnen an Strategie auf den Weg mitgegeben hat.
Gottlob, Kinderarbeit ist aus der Mode gekommen – zumindest in Gesellschaften, die sich ein Mindestmaß an moralischer Selbstbeschränkung leisten. Aber trotzdem, musste das allgemein akzeptierte Zeit-fürs-Erwachsen-werden-Alter wirklich gleich so dramatisch in die Höhe schnellen? Schön und gut mit 30 noch die Waschmaschine bei Muttern zu haben, mit 35 den ersten Job und mit 40 langsam mal einigermaßen ernsthafte Kinderwünsche – in freier Wildbahn vor ein paar Hunderttausend Jahren hätte uns das nie passieren können. Vor- und Frühmenschen waren mit 30 jedenfalls mindestens Greise, mit 40 meistens tot. Und wie lange blieben sie Kind?
Nun ja, sagen wir mal so: Mit dem Erwachsenwerden haben wir Menschen uns schon immer ein wenig mehr Zeit gelassen. Ganz generell sind wir Primaten von Gorilla über Orang-Utan zum Homo sapiens nicht die schnellsten zwischen Krippe und eigener Familiengründung: Affen und Menschen wachsen im Vergleich zu ähnlich großen Säugern langsam, pflanzen sich nur gemächlich fort, investieren dabei eher in Qualität als in Quantität und leben recht lange, sodass sich hohe Investition in den eher seltenen Nachwuchs auch rechnen kann.
Ein noch genauerer Blick auf die Kosten-Nutzen-Rechnung offenbart allerdings, wo die Kinderaufzucht-Strategien von Menschen und Schimpansen sich überhaupt nicht ähneln. Schimpansennachwuchs etwa legt recht bald einen gewaltigen Wachstumsschub ein, der aus einem Kind ein fast vollwertig produktives, ziemlich selbstständiges, wenn auch noch junges Gruppenmitglied macht, das sich nur noch nicht fortpflanzt. Im Gegensatz dazu verlegen Menschen diesen Schub weit nach hinten und sorgen so dafür, dass der Nachwuchs den Eltern sehr lange auf der Tasche liegt, von ihnen Fürsorge, Zuwendung und Ernährung verlangt und Mama und Papa Energie raubt, die denen dann zum Leben und weiteren Kinderkriegen fehlen sollte. Rechnet sich das überhaupt noch?
Michael Gurven von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara und Robert Walker von der Universität von Arizona wollten es herausfinden. Damit hatten sie zunächst einmal allerhand schon geäußertes Gedankenfutter zu durchdenken – Vorarbeiten zum Thema gab es schließlich längst massenhaft. Etwa die Großmutter aller bisherigen Hypothesen, passenderweise bekannt als "Großmutterhypothese": Omas, also ältere weibliche Mitglieder einer Sippe jenseits des eigenen Fortpflanzungsalters, nehmen den jüngeren reproduktiven Frauen die gröbste Kindergärtnerei ab. Etwas aufgebohrt wird diese Idee zur Vorstellung, die Menschen würden als "kooperative Aufzuchtgemeinschaft" Kinder durch den Input von Männern, gerade kinderfreien Frauen, Geschwistern und Älteren gemeinschaftlich den Nachwuchs durch die lange Unselbstständigkeit begleiten.
Trotzdem: Energieaufwand bleibt Energieaufwand. Gurven und Walker fragten sich, warum sich dieser gerade bei Menschen zu lohnen scheint. Zu einer recht einleuchtenden Antwort verhalf ihnen nun ein Vergleich der Jugendentwicklung von Schimpansen und der von zwei urtümlichen menschliche Jäger- und Sammlervölkern – den Ache aus Paraguay und den Ju/'hoansi aus Botswana und Namibia. Zunächst einmal bestätigten die statistischen Untersuchungen den auffällig unterschiedlichen Zeitpunkt des prominenten, plötzlich einsetzenden Wachstumsschubs beider Primaten: Bei Schimpansen erfolgte der lange, bei Menschen erst kurz vor der Pubertät. Menschenkinder von Jägervölkern sind daher lange sehr klein und bedürftig – brauchen aber dann auch weniger Nahrung.
Je komplizierter die Art des Nahrungserwerbs, so spekulierten die Forscher, desto mehr sollte sich eben eine lange Jugendphase lohnen: Wenn Kinder ohnehin etwa auf komplexe Jagd- und Sammelstrategien vorbereitet werden müssen, dann brauchen sie viel Zeit und gehörige Gehirnkapazität, bevor sie selbst zum Nahrungserwerb übergehen können. Bis sie so weit sind, können sie eher klein und damit genügsam bleiben. Anders beim Leben von Pflanzen, die einem idealerweise in den Mund wachsen, ohne allzu viel dafür tun zu müssen oder die schlimmstenfalls ausdauernd gesucht werden müssen: Da gibt es nicht viel zu verstehen und schnelles, Eltern entlastendes Wachstum scheint umso erstrebenswerter.
Letztlich also nichts Neues aus den modernen Studien urzeitlicher Lebensweisen: Je wichtiger Gehirn, desto länger darf es reifen. Die Zeit dafür könnten sich Menschen gerade in der komplizierten ökologischen Nische des Jägers und Sammlers erkauft haben, indem sie näher zusammenrückten und sich gegenseitig besser unterstützen – Oma, aber nicht nur sie, hilft eben aus. Und natürlich, indem sie einfach das relativ genügsame, körperlich kleine, aber geistig ungemein leistungsfähige Langzeitstadium Kind als Vorzeige-Entdeckung patentiert haben.
Das gelang übrigens erst, als aus Homo erectus schon Homo sapiens geworden war, wie die Untersuchungen uralter Fossilien nahe legen. Und es gelingt vielleicht bald immer seltener in modernen Industriegesellschaften mit ihrem Übermaß an Nährstoffen: Während etwa die Kinder der mangelhaft ernährten und mit alltäglicher Arbeit reichlich eingedeckten Volksgruppen wie der südamerikanischen Quechua lange klein bleiben, verlagert sich der kindliche Wachstumsschub im Speckgürtel der Erde immer weiter nach vorne. Bleibt zu hoffen, dass sich dessen ungeachtet die Eltern beiden Gruppen gleich liebevoll um ihren Nachwuchs kümmern.
Nun ja, sagen wir mal so: Mit dem Erwachsenwerden haben wir Menschen uns schon immer ein wenig mehr Zeit gelassen. Ganz generell sind wir Primaten von Gorilla über Orang-Utan zum Homo sapiens nicht die schnellsten zwischen Krippe und eigener Familiengründung: Affen und Menschen wachsen im Vergleich zu ähnlich großen Säugern langsam, pflanzen sich nur gemächlich fort, investieren dabei eher in Qualität als in Quantität und leben recht lange, sodass sich hohe Investition in den eher seltenen Nachwuchs auch rechnen kann.
Ein noch genauerer Blick auf die Kosten-Nutzen-Rechnung offenbart allerdings, wo die Kinderaufzucht-Strategien von Menschen und Schimpansen sich überhaupt nicht ähneln. Schimpansennachwuchs etwa legt recht bald einen gewaltigen Wachstumsschub ein, der aus einem Kind ein fast vollwertig produktives, ziemlich selbstständiges, wenn auch noch junges Gruppenmitglied macht, das sich nur noch nicht fortpflanzt. Im Gegensatz dazu verlegen Menschen diesen Schub weit nach hinten und sorgen so dafür, dass der Nachwuchs den Eltern sehr lange auf der Tasche liegt, von ihnen Fürsorge, Zuwendung und Ernährung verlangt und Mama und Papa Energie raubt, die denen dann zum Leben und weiteren Kinderkriegen fehlen sollte. Rechnet sich das überhaupt noch?
Michael Gurven von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara und Robert Walker von der Universität von Arizona wollten es herausfinden. Damit hatten sie zunächst einmal allerhand schon geäußertes Gedankenfutter zu durchdenken – Vorarbeiten zum Thema gab es schließlich längst massenhaft. Etwa die Großmutter aller bisherigen Hypothesen, passenderweise bekannt als "Großmutterhypothese": Omas, also ältere weibliche Mitglieder einer Sippe jenseits des eigenen Fortpflanzungsalters, nehmen den jüngeren reproduktiven Frauen die gröbste Kindergärtnerei ab. Etwas aufgebohrt wird diese Idee zur Vorstellung, die Menschen würden als "kooperative Aufzuchtgemeinschaft" Kinder durch den Input von Männern, gerade kinderfreien Frauen, Geschwistern und Älteren gemeinschaftlich den Nachwuchs durch die lange Unselbstständigkeit begleiten.
Trotzdem: Energieaufwand bleibt Energieaufwand. Gurven und Walker fragten sich, warum sich dieser gerade bei Menschen zu lohnen scheint. Zu einer recht einleuchtenden Antwort verhalf ihnen nun ein Vergleich der Jugendentwicklung von Schimpansen und der von zwei urtümlichen menschliche Jäger- und Sammlervölkern – den Ache aus Paraguay und den Ju/'hoansi aus Botswana und Namibia. Zunächst einmal bestätigten die statistischen Untersuchungen den auffällig unterschiedlichen Zeitpunkt des prominenten, plötzlich einsetzenden Wachstumsschubs beider Primaten: Bei Schimpansen erfolgte der lange, bei Menschen erst kurz vor der Pubertät. Menschenkinder von Jägervölkern sind daher lange sehr klein und bedürftig – brauchen aber dann auch weniger Nahrung.
Je komplizierter die Art des Nahrungserwerbs, so spekulierten die Forscher, desto mehr sollte sich eben eine lange Jugendphase lohnen: Wenn Kinder ohnehin etwa auf komplexe Jagd- und Sammelstrategien vorbereitet werden müssen, dann brauchen sie viel Zeit und gehörige Gehirnkapazität, bevor sie selbst zum Nahrungserwerb übergehen können. Bis sie so weit sind, können sie eher klein und damit genügsam bleiben. Anders beim Leben von Pflanzen, die einem idealerweise in den Mund wachsen, ohne allzu viel dafür tun zu müssen oder die schlimmstenfalls ausdauernd gesucht werden müssen: Da gibt es nicht viel zu verstehen und schnelles, Eltern entlastendes Wachstum scheint umso erstrebenswerter.
Letztlich also nichts Neues aus den modernen Studien urzeitlicher Lebensweisen: Je wichtiger Gehirn, desto länger darf es reifen. Die Zeit dafür könnten sich Menschen gerade in der komplizierten ökologischen Nische des Jägers und Sammlers erkauft haben, indem sie näher zusammenrückten und sich gegenseitig besser unterstützen – Oma, aber nicht nur sie, hilft eben aus. Und natürlich, indem sie einfach das relativ genügsame, körperlich kleine, aber geistig ungemein leistungsfähige Langzeitstadium Kind als Vorzeige-Entdeckung patentiert haben.
Das gelang übrigens erst, als aus Homo erectus schon Homo sapiens geworden war, wie die Untersuchungen uralter Fossilien nahe legen. Und es gelingt vielleicht bald immer seltener in modernen Industriegesellschaften mit ihrem Übermaß an Nährstoffen: Während etwa die Kinder der mangelhaft ernährten und mit alltäglicher Arbeit reichlich eingedeckten Volksgruppen wie der südamerikanischen Quechua lange klein bleiben, verlagert sich der kindliche Wachstumsschub im Speckgürtel der Erde immer weiter nach vorne. Bleibt zu hoffen, dass sich dessen ungeachtet die Eltern beiden Gruppen gleich liebevoll um ihren Nachwuchs kümmern.
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