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Anisées: Mathematiker entschlüsseln den Ouzo-Effekt

Mischt man anishaltige Spirituosen wie Ouzo, Pastis, Raki und Co. mit Wasser, werden sie trüb. Ein mathematisches Modell kann die dafür verantwortlichen mikroskopischen Vorgänge nun endlich erklären.
Zwei Gläser mit milchigem Ouzo am Strand
Viele verbinden die charakteristische Trübung mit Ouzo. Man findet sie aber auch bei Pastis, Absinth, Arak und Co.

Ein bisschen Ouzo, ein paar Eiswürfel und ein kleiner Schuss Wasser: Mischt man alles zusammen, wird die einst klare alkoholische Flüssigkeit milchig. Diesen Ouzo- oder Louche-Effekt findet man nicht nur beim griechischen Nationalgetränk. Auch mit anderen anishaltigen alkoholischen Getränken wie Raki, Absinth, Pastis, Sambuca oder Arak lässt sich dieses Phänomen beobachten. Obwohl solche Spirituosen seit mehreren Jahrtausenden verkostet werden, wirft der Ouzo-Effekt noch viele Fragen auf. Zum Beispiel war unklar, warum die milchige Phase des Gemischs so stabil ist, dass sich die dichteren Bestandteile teilweise erst nach Wochen oder Monaten absetzen.

Doch nun ist es einem Team um den Mathematiker Andrew Archer von der britischen Loughborough University gelungen, den Ouzo-Effekt durch ein mathematisches Modell zu beschreiben und damit Antworten auf die drängendsten Fragen zu liefern. »Was bis jetzt trüb war, ist nun klarer«, sagt Archer. Ihre Ergebnisse haben die Fachleute Ende August 2024 in der wissenschaftlichen Zeitschrift »Soft Matter« veröffentlicht.

Antike Schriften belegen, dass es anishaltige Getränke seit bereits mehr als 3000 Jahren gibt. Trotz der langen Geschichte wurden anishaltige Spirituosen 2003 erstmals von den zwei Chemikern Steven A. Vitale und Joseph L. Katz wissenschaftlich untersucht. So konnten die Forscher erklären, warum und unter welchen Umständen das Anisschnaps-Wasser-Gemisch milchig wird. Diese Arbeit prägte auch die Bezeichnung Ouzo-Effekt.

Wie entsteht der Ouzo-Effekt?

Die Hauptbestandteile von ouzoähnlichen Getränken sind Anisöl, Alkohol und Wasser. Das Öl ist in reinem Alkohol löslich, aber nicht in reinem Wasser. In einem Alkohol-Wasser-Gemisch löst es sich, so lange der Alkoholanteil hoch genug ist. In den Spirituosen ist das der Fall, daher ist die Mischung klar. Sobald man hingegen Wasser hinzugibt, wird die kritische Grenze unterschritten. Das Anisöl wird unlöslich, wodurch sich mikroskopisch kleine Öltröpfchen bilden. Weil diese das Licht streuen, bekommt das Gemisch seine charakteristische milchige Erscheinung. Chemiker sprechen von Emulsifikation.

Erstaunlich daran ist, dass dieser Effekt spontan eintritt und überaus stabil ist. Emulsionen gibt es auch bei anderen Lebensmitteln, etwa wenn man ein Salatdressing zubereitet. »Es erfordert kräftiges Umrühren, um eine glatte und stabile Mischung zu erhalten«, sagt Archer. Tatsächlich haben Fachleute 2008 berechnet, dass etwa ein Joule an Energie nötig ist, damit 100 Milliliter eines Gemischs emulgieren. Bei Anisschnaps geschieht die Emulsifikation hingegen spontan beim Zusammenschütten. »Erstaunlich ist auch, wie lange diese Tröpfchen und die daraus resultierende Trübung in der Mischung stabil bleiben, ohne sich zu trennen, insbesondere im Vergleich zu anderen Lebensmittelemulsionen«, sagt Archer.

»Zu verstehen, wie und warum das in Ouzo geschieht, könnte zur Entwicklung neuer Materialien führen«Andrew Archer, Mathematiker

Inzwischen ist diese Phasentrennung recht gut verstanden, aber warum die Tröpfchen so langlebig sind, blieb bisher rätselhaft. Dieser Prozess ähnelt jenem der Tröpfchenbildung in Wolken. Auch dort gibt es zwei verschiedene Phasen, Tröpfchen und das umgebende Fluid, die gleichzeitig existieren. In vielen anderen praktischen Anwendungen spielt eine solche Phasenseparation ebenfalls eine wichtige Rolle. »Zu verstehen, wie und warum das in Ouzo geschieht, könnte zur Entwicklung neuer Materialien führen, insbesondere in Bereichen wie Pharmazeutika, Kosmetika und Lebensmittel, in denen die Stabilität und Verteilung mikroskopisch kleiner Partikel entscheidend sind«, sagt Archer. Das motivierte ihn und sein Team, ein theoretisches Modell zu suchen, welches das Verhalten von Anisschnäpsen beschreibt.

Mit Dichtefunktionaltheorie zum stabilsten Ouzo

Die Forschenden wollten herausfinden, welche Eigenschaften ein Ouzo-Wasser-Gemisch bei unterschiedlichen Konzentrationen hat. Vor allem wollten sie dadurch ermitteln, wie stabil die jeweiligen Phasen sind – und wieso. Dafür muss man das Verhalten der einzelnen mikroskopischen Bestandteile des Gemisches untersuchen. Das Team um Archer nutzte die klassische Dichtefunktionaltheorie, die auf der Idee basiert, aus der Dichteverteilung der Bestandteile (also wenn man weiß, wo sich die Partikel im Durchschnitt befinden), das Verhalten eines Gemischs vorherzusagen. Damit spart man sich den Aufwand, jedes Teilchen einzeln zu verfolgen.

Ouzo-Effekt
Gießt man Wasser zu Ouzo, wird das Gemisch trüb.

Um das mathematische Modell auf Ouzo-Wasser-Gemische anzuwenden, haben die Forschenden zunächst experimentelle Daten gesammelt. Dafür kauften sie keine Ouzo-Flaschen, die immer die gleichen oder zumindest ähnliche Zusammensetzungen haben, sondern griffen auf die einzelnen Bestandteile Wasser, Ethanol und Anethol (zu denen auch Anisöl gehört) zurück. Diese konnten sie dann in Laborversuchen in verschiedenen Verhältnissen miteinander mischen und die Merkmale der Flüssigkeiten vergleichen. Sie bestimmten die Dichte der jeweiligen Proben (sowohl an der Oberfläche als auch ganz unten im Behältnis) und die Oberflächenspannung. Mit diesen Messungen konnten sie ihr mathematisches Modell anpassen.

Damit konnten die Forscher ein vollständiges Phasendiagramm für Ouzo-Wasser-Mischungen erstellen, das den Zustand der Flüssigkeit in Abhängigkeit von den Konzentrationen der drei Hauptbestandteile beschreibt. Unter anderem lässt sich daran ablesen, wann reine Phasen vorherrschen, bei denen das Gemisch klar ist, und wann es Mischphasen mit einer Trübung gibt.

»Wie so oft kann Grundlagenforschung etwas über Erfahrungen aus dem alltäglichen Leben aussagen, wie das Servieren und Trinken von Ouzo«Andrew Archer, Mathematiker

Zudem konnten die Fachleute mit Hilfe des Modells untersuchen, wie stabil die Emulsion ist. Wenn man Wasser zu einem Anisschnaps gibt, dann bewegt man sich im Phasendiagramm von einem Punkt, bei dem Wasser, Ethanol und Öl ein Verhältnis von etwa 60 : 40 : 0,05 haben, zu einem Punkt mit dem Verhältnis 92 : 8 : 0,01. In letzterem sind die Öltröpfchen durchschnittlich weit voneinander entfernt, ihr Abstand ist im Mittel viel größer als ihr Durchmesser, was Zusammenstöße unwahrscheinlich macht. Zudem bewegen sich die Bläschen im alkoholischen Gemisch recht langsam, was die wochen- oder monatelange Stabilität dieser Phase erklären könnte. Die Forscher vermuten außerdem, dass der Alkohol im Gemisch wie ein Tensid wirkt, das die Grenzfläche zwischen Öltropfen und der umgebenden Flüssigkeit verstärkt.

Damit konnte das Team um Archer die Eigenschaften von anishaltigen alkoholischen Getränken erstmals im Detail erklären. »Es ist lustig, dass einfache Modelle wie dieses eine Menge vorhersagen können«, sagt Archer. »Wie so oft kann Grundlagenforschung etwas über Erfahrungen aus dem alltäglichen Leben aussagen, wie das Servieren und Trinken von Ouzo.«

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  • Quellen
Archer, A. J. et al.: Experimental and theoretical bulk phase diagram and interfacial tension of ouzo. Soft Matter 30, 2024

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