Entwicklungsstörungen: Zuviel der Mutterhilfe
Krankheiten sind unvermeidbar, wenn das eigene Immunsystem versagt oder überwältigt wird - und manchmal, wenn es noch gar nicht selbst agieren kann wie im wachsenden Embryo. Versagt dann auch der Schutzschild der Mutter, resultieren fatale Entwicklungsstörungen des Gehirns. Entsteht so auch Autismus?
Wer den Begriff "Autismus" neu und eindeutig definieren möchte, darf vor allem eines erwarten: Widerspruch. Die Kontakt- und Entwicklungsstörung entzieht sich schon deshalb einer allgemein akzeptierten Eingrenzung, weil die Betroffenen unterschiedlicher kaum erscheinen könnten: "Autisten" finden sich unter Menschen, die gerade einmal als leicht verschrobene, unauffällig schüchterne und zurückgezogene Tüftlertypen auffallen – ebenso werden als "Autisten" aber auch schwer behinderte Menschen bezeichnet, die lebenslang vollständig auf die Pflege durch Andere angewiesen sind und kaum mit ihrer Umwelt zu kommunizieren scheinen.
Relative Einigkeit herrschte bislang höchstens darüber, dass zwei Autismus-Varianten gut zu unterscheiden sind: das Asperger- und das Kanner-Syndrom, benannt nach zwei Forschern, die in den 1940er Jahren die Krankheit beschrieben hatten. Letztere, die eigentliche "autistische Störung" oder der so genannte frühkindliche Autismus, macht sich schon in den ersten drei Lebensjahren schwerwiegend in deutlich gestörtem Sozial- und Kontaktverhalten und stereotypischem Handeln bemerkbar. Asperger-Autisten werden dagegen erst deutlich später und weniger charakteristisch auffällig. Häufig lernen sie durchschnittlich schnell und gut, sich auszudrücken und komplexe Inhalte zu verstehen, zeigen dann aber unübersehbare Schwächen im sozialen Umgang oder der psychomotorischen Entwicklung.
Zwei Formen der Selbstbezogenheit?
Bei allen Unterschieden zwischen frühkindlichem Kanner- und spät einsetzendem Asperger-Autismus: Noch immer ist umstritten, ob beide wirklich eigenständige Erscheinungsformen mit verschiedenen Ursachen sind, oder nicht doch bloße Randextreme auf einem breiten Spektrum von Ausprägungen eines vielfältigen autistischen Syndroms. Dies wäre wohl nur dann zu klären, wenn tatsächlich deutlich fassbare Unterschiede der beiden Entwicklungsstörungen entdeckt würden. Genau solchen scheint nun eine Arbeitsgruppe der Universität von Kalifornien in Davis auf der Spur zu sein. Die Forscher um Judy van de Water glauben zudem, eine weitere mögliche Ursache für Asperger-Autismus festnageln zu können.
Wie andere Arbeitsgruppen vermuteten die Forscher, dass Autismus bei Kindern zwar genetische Ursachen hat, zudem aber schon während der Schwangerschaft durch Prozesse im Körper der Mutter verschlimmert wird. Hier diskutierten Mediziner bislang äußere Faktoren wie Umweltgifte, Infektionen oder Alkohol- und Drogenkonsum, die ein womöglich genetisch vorbelastetes Ungeborenes schädigen. Van de Waters Team suchte dagegen nach möglichen Folgen, die eine negative erbliche Veranlagung der Mutter selbst haben könnte – eine Veranlagung, die zum Beispiel subtile Defekte im mütterlichen Immunsystem verursacht und dabei Antikörper entstehen lässt, die über die Gebärmutter auf den Fötus übertragen werden und ihn nachhaltig beeinträchtigen.
Mutters Einfluss
Die Forscher überprüften diese Hypothese mit Blutproben von 123 Schwangeren, von denen die Hälfte bereits Kinder mit autistischer Veranlagung geboren hatten. Aus dem Blut isolierten sie dann IgG-Antikörper – ein Abwehrproteintyp, der die Gebärmutterbarriere leicht überwinden kann – und prüften, ob diese Antikörper sich negativ auf die Hirnentwicklung von Ungeborenen auswirken könnten. Dazu analysierten van de Waters und Kollegen mit Hilfe eines Western-Blots, ob die IgGs irgendetwas im Gewebe des sich entwickelnden embryonalen Gehirns überhaupt angreifen.
Wie sich zeigte, attackierten die Abwehrmoleküle aller Testkandidaten kaum je eines der ungezählten Proteine aus fötalem Hirngewebe – mit wenigen, allerdings sehr aufschlussreichen Ausnahmen: Zwei der untersuchten Hirneiweiße wurden tatsächlich wiederholt zur Zielscheibe der Antikörper. Diese stammten zudem sämtlich von Müttern mit autistischen Kindern und zwar ausschließlich von solchen, bei denen die späte Form des Asperger-Autismus diagnostiziert worden war.
Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Scheinbar sorgen veränderte Gene für IgG-Antikörper, die bei einer Schwangerschaft in die Hirnentwicklung des Fötus eingreifen und Schäden verursachen, die später zur Asperger-Entwicklungsstörung führen. Biochemische Indizien, die noch dazu bei durchaus nicht allen Frauen mit autistischem Nachwuchs nachgewiesen werden konnte, reichen als Beweis dieser Vermutung allerdings kaum aus, geben die Wissenschaftler selbst zu bedenken. Sie fordern weitere Untersuchungen und begannen bereits selbst mit einigen Kontrollexperimenten.
So testeten sie die möglicherweise schädliche Wirkung von Antikörpern im Tierversuch. Dazu spritzten die Wissenschaftler schwangeren Rhesusaffen IgGs von menschlichen Müttern mit und ohne eigenen autistischen Nachwuchs und beobachteten, ob die verdächtigen Antikörper sich negativ auf das ungeborene Affenbaby auswirkten.
Auch im Verwandten?
Und tatsächlich sind sich Affe und Mensch offenbar ähnlich genug, berichten die Forscher vorsichtig, nachdem sie anschließend den glücklich geborenen Nachwuchs der Affen über einen längeren Zeitraum beobachtet hatten: Ausschließlich jene Äffchen, die im Mutterleib mit den IgG menschlicher Autistenmütter in Kontakt gekommen waren, begannen in der Jugend auffällige Verhaltensänderungen zu zeigen. So engagierten sie sich unter anderem in stereotyp wiederholten Aktionen wie dem auch für menschliche Autisten typischen Hin- und Herwiegen des Körpers und ähnlichen Bewegungsmustern. Nur die IgGs von Müttern mit Asperger-Syndrom-Kindern, nicht aber solcher Mütter mit gesunden Kindern haben diese Art des Rhesusaffen-Autismus bewirken können.
Was die Autismusforschung mit den vorläufigen Erkenntnissen anfängt, bleibt noch völlig offen. Vielleicht wäre es einmal denkbar, Mütter mit dem Risiko, autistische Kinder zu gebären, an einer typischen Antikörper-Ausstattung zu erkennen – womit aber auch nur ein weiterer, diesmal nur eben nicht rein genetischer Risikofaktor von einigen schon bekannten identifiziert wäre. Vielleicht wäre es in Zukunft aber auch irgendwann einmal möglich, die fraglichen Antikörper während einer Schwangerschaft daran zu hindern, die Hirnentwicklung zu stören, um eine der möglichen Ursachen auszuschalten, die zum Asperger-Syndrom beitragen? Gut denkbar, dass der Kampf gegen das vielfältige Entwicklungstörungs-Syndrom an dieser Front einmal bekämpft werden kann. Die einzige Option sollte sie nicht bleiben.
Relative Einigkeit herrschte bislang höchstens darüber, dass zwei Autismus-Varianten gut zu unterscheiden sind: das Asperger- und das Kanner-Syndrom, benannt nach zwei Forschern, die in den 1940er Jahren die Krankheit beschrieben hatten. Letztere, die eigentliche "autistische Störung" oder der so genannte frühkindliche Autismus, macht sich schon in den ersten drei Lebensjahren schwerwiegend in deutlich gestörtem Sozial- und Kontaktverhalten und stereotypischem Handeln bemerkbar. Asperger-Autisten werden dagegen erst deutlich später und weniger charakteristisch auffällig. Häufig lernen sie durchschnittlich schnell und gut, sich auszudrücken und komplexe Inhalte zu verstehen, zeigen dann aber unübersehbare Schwächen im sozialen Umgang oder der psychomotorischen Entwicklung.
Zwei Formen der Selbstbezogenheit?
Bei allen Unterschieden zwischen frühkindlichem Kanner- und spät einsetzendem Asperger-Autismus: Noch immer ist umstritten, ob beide wirklich eigenständige Erscheinungsformen mit verschiedenen Ursachen sind, oder nicht doch bloße Randextreme auf einem breiten Spektrum von Ausprägungen eines vielfältigen autistischen Syndroms. Dies wäre wohl nur dann zu klären, wenn tatsächlich deutlich fassbare Unterschiede der beiden Entwicklungsstörungen entdeckt würden. Genau solchen scheint nun eine Arbeitsgruppe der Universität von Kalifornien in Davis auf der Spur zu sein. Die Forscher um Judy van de Water glauben zudem, eine weitere mögliche Ursache für Asperger-Autismus festnageln zu können.
Wie andere Arbeitsgruppen vermuteten die Forscher, dass Autismus bei Kindern zwar genetische Ursachen hat, zudem aber schon während der Schwangerschaft durch Prozesse im Körper der Mutter verschlimmert wird. Hier diskutierten Mediziner bislang äußere Faktoren wie Umweltgifte, Infektionen oder Alkohol- und Drogenkonsum, die ein womöglich genetisch vorbelastetes Ungeborenes schädigen. Van de Waters Team suchte dagegen nach möglichen Folgen, die eine negative erbliche Veranlagung der Mutter selbst haben könnte – eine Veranlagung, die zum Beispiel subtile Defekte im mütterlichen Immunsystem verursacht und dabei Antikörper entstehen lässt, die über die Gebärmutter auf den Fötus übertragen werden und ihn nachhaltig beeinträchtigen.
Mutters Einfluss
Die Forscher überprüften diese Hypothese mit Blutproben von 123 Schwangeren, von denen die Hälfte bereits Kinder mit autistischer Veranlagung geboren hatten. Aus dem Blut isolierten sie dann IgG-Antikörper – ein Abwehrproteintyp, der die Gebärmutterbarriere leicht überwinden kann – und prüften, ob diese Antikörper sich negativ auf die Hirnentwicklung von Ungeborenen auswirken könnten. Dazu analysierten van de Waters und Kollegen mit Hilfe eines Western-Blots, ob die IgGs irgendetwas im Gewebe des sich entwickelnden embryonalen Gehirns überhaupt angreifen.
Wie sich zeigte, attackierten die Abwehrmoleküle aller Testkandidaten kaum je eines der ungezählten Proteine aus fötalem Hirngewebe – mit wenigen, allerdings sehr aufschlussreichen Ausnahmen: Zwei der untersuchten Hirneiweiße wurden tatsächlich wiederholt zur Zielscheibe der Antikörper. Diese stammten zudem sämtlich von Müttern mit autistischen Kindern und zwar ausschließlich von solchen, bei denen die späte Form des Asperger-Autismus diagnostiziert worden war.
Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Scheinbar sorgen veränderte Gene für IgG-Antikörper, die bei einer Schwangerschaft in die Hirnentwicklung des Fötus eingreifen und Schäden verursachen, die später zur Asperger-Entwicklungsstörung führen. Biochemische Indizien, die noch dazu bei durchaus nicht allen Frauen mit autistischem Nachwuchs nachgewiesen werden konnte, reichen als Beweis dieser Vermutung allerdings kaum aus, geben die Wissenschaftler selbst zu bedenken. Sie fordern weitere Untersuchungen und begannen bereits selbst mit einigen Kontrollexperimenten.
So testeten sie die möglicherweise schädliche Wirkung von Antikörpern im Tierversuch. Dazu spritzten die Wissenschaftler schwangeren Rhesusaffen IgGs von menschlichen Müttern mit und ohne eigenen autistischen Nachwuchs und beobachteten, ob die verdächtigen Antikörper sich negativ auf das ungeborene Affenbaby auswirkten.
Auch im Verwandten?
Und tatsächlich sind sich Affe und Mensch offenbar ähnlich genug, berichten die Forscher vorsichtig, nachdem sie anschließend den glücklich geborenen Nachwuchs der Affen über einen längeren Zeitraum beobachtet hatten: Ausschließlich jene Äffchen, die im Mutterleib mit den IgG menschlicher Autistenmütter in Kontakt gekommen waren, begannen in der Jugend auffällige Verhaltensänderungen zu zeigen. So engagierten sie sich unter anderem in stereotyp wiederholten Aktionen wie dem auch für menschliche Autisten typischen Hin- und Herwiegen des Körpers und ähnlichen Bewegungsmustern. Nur die IgGs von Müttern mit Asperger-Syndrom-Kindern, nicht aber solcher Mütter mit gesunden Kindern haben diese Art des Rhesusaffen-Autismus bewirken können.
Was die Autismusforschung mit den vorläufigen Erkenntnissen anfängt, bleibt noch völlig offen. Vielleicht wäre es einmal denkbar, Mütter mit dem Risiko, autistische Kinder zu gebären, an einer typischen Antikörper-Ausstattung zu erkennen – womit aber auch nur ein weiterer, diesmal nur eben nicht rein genetischer Risikofaktor von einigen schon bekannten identifiziert wäre. Vielleicht wäre es in Zukunft aber auch irgendwann einmal möglich, die fraglichen Antikörper während einer Schwangerschaft daran zu hindern, die Hirnentwicklung zu stören, um eine der möglichen Ursachen auszuschalten, die zum Asperger-Syndrom beitragen? Gut denkbar, dass der Kampf gegen das vielfältige Entwicklungstörungs-Syndrom an dieser Front einmal bekämpft werden kann. Die einzige Option sollte sie nicht bleiben.
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