Ziellos in den Konflikt
»Es ist schließlich das Ergebnis einer nüchternen Betrachtung, dass die große Mehrheit der Kriege der letzten Jahre ohne erkennbare Strategie, orientierungslos und improvisierend geführt wurde. Solche Kriege abzulehnen erfordert nur Vernunft, keine pazifistische Überzeugung.« Bis Jochen Hippler in seinem Buch zu diesem Schluss kommt, hat er auf knapp 300 Seiten eine luzide Analyse zahlreicher Kriege vorgelegt und dabei mit großer Kenntnis von Geschichte, Politik und Militär überzeugt. Der Autor ist habilitierter Politikwissenschaftler und derzeitiger Länderdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Pakistan.
Dem eigentlichen Gegenstand des Buchs, nämlich dem Krieg im 21. Jahrhundert, gehen etwa 200 Seiten voran, auf denen Hippler die Geschichte des Kriegs vom Anfang der Menschheit bis heute im Schnellverfahren behandelt. Kompetent befasst er sich dabei mit Sozialgeschichte, Psychologie, Organisation, Militärorganisation und der Theorie verschiedener Formen bewaffneter Konflikte. Der Autor will »Leserinnen und Leser vor allem mit Material versorgen, selbst ihre politischen wie ethischen Schlussfolgerungen zu ziehen«.
Primat der Politik
Hipplers Ausgangsthese ist das allgemein bekannte Diktum des preußischen Militärs Carl von Clausewitz (1780-1831), wonach Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Clausewitz, heißt es in dem Buch, habe als Erster nachdrücklich den Primat der Politik festgeschrieben, der vorher so nicht gesehen worden sei. Er war »einer der wenigen Theoretiker, der den Krieg nicht auf seine technischen Aspekte reduzierte, sondern sich darum bemühte, ihn in seiner Komplexität zu analysieren«. Bereits er habe schon davon gesprochen, dass Krieg ein »Chamäleon« sei, der immer wieder sein Gesicht ändere.
Aus dieser Perspektive untersucht Hippler äußerst nüchtern etliche bisherige Kriege von der Antike bis zur Gegenwart. Er zeigt die sich ändernden Formen, die Entwicklung der Waffen und ihren Einfluss auf die Kriegführung. Zugleich macht er augenfällig, wie sich Kriege im Zuge der Staatenbildung von Kabinettskriegen absolutistischer Herrscher hin zu zwischenstaatlichen Konflikten entwickelten. Noch heute bestimme der Waffengang zwischen zwei Staaten vornehmlich unser Bild vom Krieg, obwohl diese Variante kaum je in Reinform existiert habe. Unter anderem nach der napoleonischen Staatenbildung hätten sich Kriege deutlich gewandelt: Waren Zivilisten vorher weitgehend unbeteiligt und in der Opferrolle, habe die Staatenbildung die Gesellschaften militarisiert – die Legitimation des Staats wurde nun zur Angelegenheit der ganzen Bevölkerung.
Über die Zeiten hinweg nahm die Reichweite der Waffen enorm zu, besonders stark ab dem 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung. Krieg verlor den Charakter eines Kampfes Mann gegen Mann, wurde zum Kampf gegen einen fernen, oft anonymen Feind. Zugleich erreichte im 20. Jahrhundert die Feuerkraft eine Stärke, die ganze Städte und Regionen, potenziell sogar die Menschheit auslöschen kann. Heutige Hightech-Waffen funktionieren zielgenau über unvorstellbare Entfernungen und entkoppeln so den Kombattanten vom Kampfgeschehen: »Vom Kommando des Abschusses einer Hellfire-Rakete dieser Drohnen in Nevada bis zum Einschlag [rund 12 000 Kilometer entfernt an der afghanisch-pakistanischen Grenze, d. Red.] dauerte es etwa 1,7 Sekunden.«
Kriege der Gegenwart finden nur noch selten direkt zwischen Staaten statt. Häufig sind es Maßnahmen gegen lokale Unruhen und Aufstände, in die sich ausländische Mächte interessengeleitet einmischen, häufig über Stellvertreter, vielfach als »humanitäre Interventionen« verschleiert oder, wie im Fall der deutschen Präsenz in Afghanistan, mit diffuser Öffentlichkeitsarbeit gerechtfertigt.
Hippler unterscheidet die unterschiedlichen Kriegstypen zwischenstaatlich–innerstaatlich; konventionell–unkonventionell; bilateral–multilateral; einfach, homogen–multipel, komposit; konstant staatlich–mutierend; subnational–national–international. Diese Kategorien treffen aber nur selten ausschließlich zu; gegenwärtige bewaffnete Konflikte sind immer hybride Mischformen. Es kommt laut Autor darauf an, jeden einzelnen Konflikt genauer zu analysieren, einschließlich der Vermischung von Kriegs- und Friedenszuständen.
Wie aus dem Buch hervorgeht, ist mittlerweile die paradoxe Situation eingetreten, dass Kriege nicht an mangelnder militärischer Schlagkraft scheitern, sondern an der Unfähigkeit der Politik, klare Kriegsziele zu definieren. Hippler zitiert den ehemaligen US-General Anthony Zinni: »das Militär (ist) verdammt gut darin, Menschen zu töten und Dinge kaputt zu machen«, aber »extrem schlecht darin, die strategischen Probleme zu lösen«. Weil die Politik dies versäume, so der Autor, schleppten sich Konflikte wie die in Afghanistan, Irak oder Lybien endlos dahin, ohne dass eine Staatenbildung oder ein anderes klar benennbares Ergebnis erreicht werde.
Aus Hipplers Buch lernen die Leser(innen) viel über Krieg und Politik. Es ist klar, kompakt und sehr verständlich geschrieben. Der Autor analysiert nicht nur die Vergangenheit und Gegenwart, sondern arbeitet auch die Prognose heraus, dass die gegenwärtigen Nationalisierungstendenzen zwischenstaatliche Kriege künftig wohl wieder wahrscheinlicher machen. Wenn überhaupt ein Manko an dem Werk erkennbar ist, so dieses, dass eine etwas weiter gehende Analyse der Kriege im Nahen Osten wünschenswert wäre. Aber im ausführlichen Literaturverzeichnis finden sich reichlich Verweise auf entsprechende Arbeiten.
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