»Stürzende Imperien«: Droht dem Westen das Schicksal Roms?
Vergleiche sind eine äußert praktische Angelegenheit, nicht nur bei Flugpreisen und Mobilfunktarifen. Auch in Politik und Geschichte können Vergleiche helfen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ereignissen herauszustellen. Im besten Falle führt das zu überraschenden Einsichten – und zu besseren Entscheidungen, wenn es darum geht, wie auf Herausforderungen zu reagieren ist.
In »Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens« wagen der Historiker Peter Heather und der Ökonom John Rapley den ganz großen Vergleich: Sie setzen den Untergang des Römischen Reichs in Beziehung zur oft diagnostizierten Krise des »Westens« in der Gegenwart. Die Annahme der Autoren: »Aus dem Untergang Roms (lassen sich) immer noch wichtige Lehren für die Gegenwart ziehen.« Tatsächlich führt die Lektüre zu einem Erkenntnisgewinn – wenn auch auf andere Art, als sich dies die Autoren erhoffen.
In ihrem rund 250 Seiten starken, durchweg sehr gut lesbar geschriebenen Buch konzentrieren sich die Autoren auf die Wechselwirkungen von Politik und Wirtschaft. In der Antike reichte die Bedeutung des Römischen Reichs etwa durch Handelsbeziehungen oder das Anwerben von Soldaten weit über seine Grenzen aus. Oft konzentrierten sich die Gewinne aus solchen Geschäften in den Händen der Eliten, die so ihre Macht ausbauen konnten. Zugleich wuchs bei vielen der Wunsch, am Reichtum des Imperiums teilzuhaben – zur Not mit Gewalt.
Auch in politischer Hinsicht beeinflusste das Reich andere Länder und Gebiete. Um bei Beutezügen auf römischem Gebiet eine Chance zu haben oder sich gegen römische Expansionsversuche wehren zu können, schlossen sich kleine Stämme zu größeren Gemeinschaften zusammen. Spätestens in der Krisenzeit des 5. Jahrhunderts stellten sie für Rom eine tödliche Bedrohung dar: Im Laufe der Zeit und in einem komplexen Prozess konnten sie dem Reich immer größere Gebiete entreißen.
Blicken die beiden Autoren auf die Gegenwart, sehen sie auch den »Westen« am Beginn einer politisch-ökonomischen Entwicklung, welche die bisherige Ordnung bedroht. Das klingt nach einem zwar interessanten, aber auch beängstigenden Ansatz: Auf dem Titelbild ist ein zerstörtes Weißes Haus zu sehen, der Amtssitz des US-Präsidenten ist verwaist. Mit Blick auf die Berechtigung einer solchen Schreckensvision zeigen sich aber glücklicherweise rasch zwei grundlegende Probleme der Untersuchung.
Erstens bleibt im Buch unklar, wen oder was genau der »Westen« umfasst, der, so die Autoren, seit dem Jahr 1800 die Welt dominiere. Die USA? Die USA und Europa? Alle reichen Industriestaaten? Die Demokratien? Geklärt wird das nicht. Und selbst dann müsste noch diskutiert werden, ob beispielsweise die USA und das Römische Reich hinsichtlich ihrer jeweiligen Rolle in der Welt wirklich so einfach als analog betrachtet werden können.
Bemühte Analogien
Zweitens, und gravierender, vergleichen Heather und Rapley zwei nur auf den ersten Blick ähnliche Entwicklungen. Diskutieren sie den Zerfall des Römischen Reichs, handelt es sich um einen absoluten Niedergang, der zum Ende dieses Gemeinwesens führte. Dieser Auflösungsprozess ging einher mit Krieg und Gewalt, mit Mord, Entführungen und Vergewaltigungen. Wirtschaftlich bedeutete er einen massiven Wohlstandsverlust für die Bürger des Reichs. Man könne nur hoffen, etwas Ähnliches selbst nie erleben zu müssen, schrieb Heather in »Der Untergang des Römischen Weltreichs«, einem seiner anderen Bücher.
Diskutieren Heather und Rapley hingegen den Zustand des »Westens«, geht es um einen relativen Abstieg. Statt um den Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen, handelt der Text bald nur noch von einem »gewissen relativen Niedergang des imperialen Kerns«. Für einen solchen relativen Niedergang ist es allerdings überhaupt nicht nötig, etwa die Zerstörung des Weißen Hauses zu prognostizieren. Im Gegenteil könnte der Wohlstand im »Westen« durch die aktuellen Entwicklungen, absolut betrachtet, sogar weiter steigen. Denn ein relativer Niedergang setzt bereits ein, wenn andere Volkswirtschaften lediglich aufholen; wenn sie es also beispielsweise schaffen, ihre Bevölkerung aus der absoluten Armut zu befreien – so, wie es China in den letzten Jahren gelungen ist. Aber ist das wirklich ein Problem? Zählen solche Fortschritte doch sogar zu den Zielen der Entwicklungspolitik westlicher Staaten.
Angesichts dieses schiefen Vergleichs ist es leider keine Überraschung, dass auch die etwas banalen Ergebnisse der aufwendigen Arbeit enttäuschen. Um den Wandel gut zu managen, müsse der Staat sicherstellen, wesentliche Aufgaben zur Zufriedenheit der Bürger zu erledigen, heißt es etwa. Rom sei vor allem daran gescheitert, dass die Kaiser irgendwann die innere Sicherheit nicht mehr gewährleisten konnten. Dass sich die sehr konkreten Vorschläge der Autoren, die von einem allgemeinen Grundeinkommen bis hin zu mehr sozialem Wohnungsbau reichen, aber wirklich zwingend aus dem Untergang des Römischen Reiches ableiten lassen, scheint zumindest zweifelhaft.
Wohl ohne es zu wollen, machen Heather und Rapley mit ihrem Buch etwas ganz anderes deutlich: dass die Ereignisse und Entwicklungen, die in der Spätantike zum Untergang des Römischen Reichs führten, sich von heutigen Herausforderungen stark unterscheiden. Auch das ist eine interessante Erkenntnis. An einer Stelle machen die Autoren das explizit deutlich: Wenn sie argumentieren, dass die Migrationsbewegungen der Gegenwart nichts zu tun haben mit den Zügen »barbarischer« Gruppen in römischer Zeit. Solche Vergleiche haben indes bei Kulturpessimisten regelmäßig Konjunktur. Im Ergebnis haben Heather und Rapley wohl aus Versehen eine überzeugende Warnung vor vorschnellen Gleichsetzungen geschrieben.
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