Numidien gegen Rom: Der Mann, der jahrelang die Römer narrte
Als im Jahr 21 Gesandte aus Afrika bei Tiberius vorsprachen, wollte der römische Kaiser kaum seinen Ohren trauen. Schon seit vier Jahren schlug sich eine ganze römische Legion in der Provinz Africa Proconsularis mit dem Aufstand des Rebellen Tacfarinas herum. Und jetzt erdreistete sich dieser Ex-Soldat, den Herrscher eines Weltreichs zu erpressen. Würden ihm die Römer Land überlassen, wäre er zu Frieden bereit. Lehnten sie ab, würde Tacfarinas den Krieg fortsetzen – und zwar »endlos«.
Tiberius tobte. »Bei keiner anderen Gelegenheit«, berichtet der römische Geschichtsschreiber Tacitus (um 58–120) in seinen »Annalen«, sei der Kaiser (42 v. Chr.–37 n. Chr.) »so empört gewesen«. Tacfarinas, dieser »Deserteur und Straßenräuber«, wollte auf Augenhöhe mit dem Kaiser und Repräsentanten des römischen Volkes verhandeln und zu allem Überfluss auch noch die Herrschaft über römische Landstriche übernehmen? Was glaubte er eigentlich, wer er war? Wütend schmetterte Tiberius das Angebot ab.
Obwohl Tacfarinas es an Glanz und Macht nicht mit dem römischen Herrscher aufnehmen konnte, war er auch nicht irgendwer. Bis zu seinem Tod drei Jahre später erwies er sich als listenreicher Gegner der Römer. Der deutsche Historiker Theodor Mommsen (1817–1903) bezeichnete ihn als einen »afrikanischen Arminius« – und spielte damit auf den Germanenfürsten an, der 9 n. Chr. drei Legionen in der Varusschlacht aufgerieben hatte. Damit hatte Arminius dem römischen Projekt einer Eroberung Germaniens jenseits des Rheins endgültig ein Ende gesetzt.
Vom Barbaren zum Legionär zum Rebellen
Tatsächlich verband Arminius und Tacfarinas mehr als nur die Zeit, in der sie zu den Waffen griffen. Wie der Germane war der Numider zunächst Soldat der römischen Armee gewesen. Beide hatten dabei die Effizienz dieses Militärs kennen gelernt. Und beide machten sich diese Kenntnisse zu Nutze, als sie desertierten und von Soldaten zu Rebellen mutierten. Tacfarinas organisierte die Truppen sogar nach römischem Vorbild.
Seinen Aufstand begann der Nordafrikaner mit Überfällen auf ungesicherte Gehöfte. Das versprach schnelle Beute. Anschließend gelang es ihm, eine römische Kohorte zu überraschen. In Panik flohen die Legionäre und ließen ihren Kommandanten zurück, der im Kampf fiel. Eine Schmach für die Römer, die Tacfarinas ersten Ruhm einbrachte. Mehr und mehr Männer baten ihn um Aufnahme in seine Rebellentruppe. Dennoch blieben Attacken dieser Art die Ausnahme. Tacfarinas war klar, dass seine Kämpfer den Legionären in offenen Schlachten meist unterlegen waren. Im Kleinkrieg hingegen konnten sie ihre Vorteile, vor allem ihre Schnelligkeit, besser ausspielen.
Anders als Tacfarinas und seinen Truppen gelangen den Römern im Kampf lange keine eindeutigen Erfolge – auch dann nicht, als Tiberius nach seinem Wutausbruch eine zweite Legion nach Afrika schickte. Zwar konnten die Legionäre Tacfarinas hin und wieder in Gefechte verwickeln. Doch stets konnte dieser ungeschoren entkommen. Das hielt die Römer nicht davon ab, dreimal vorzeitig mit einem pompösen Triumphzug den endgültigen Sieg über den scheinbar geschlagenen Tacfarinas zu feiern. Nur um dann zu erleben, wie dieser mit frischen Kämpfern erneut in die Offensive ging.
Tacitus war Historiker und Kritiker zugleich
Als Tiberius nach einem dieser Scheinerfolge die zweite Legion wieder abzog, bescherte er damit Tacfarinas sogar dessen größten Propagandaerfolg. Dieser verkündete nun, auch die letzten römischen Truppen könnten geschlagen werden, »wenn sich alle, denen die Freiheit lieber sei als die Knechtschaft« gegen die römische Macht vereinigten. So überliefert es Tacitus. Nun schloss sich sogar der König eines lokalen Volkes, der Garamanten, Tacfarinas an. Der Kampf war also noch lange nicht vorbei.
Ein erfolgreicher Rebell, der für die Freiheit kämpft, und ein überforderter Kaiser – es ist eine Geschichte ganz nach dem Geschmack des Historikers Tacitus, der Tacfarinas' Aufstand in seinen »Annalen« entsprechend viel Platz einräumt. Sein mitreißender Bericht stellt heutige Leser allerdings vor Herausforderungen. »Wir dürfen die ›Annalen‹ nicht verwechseln mit einem wissenschaftlichen Werk moderner Art, das vor allem Fakten festhalten will«, warnt Verena Schulz, Professorin für Klassische Philologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Antike Autoren wie Tacitus nutzten die Geschichtsschreibung auch für Kritik an ihrer eigenen Zeit, erklärt die Expertin für römische Geschichtsschreibung. »Tacitus lobt, wenn handelnde Personen Eigenschaften haben, die er als im positiven Sinne römisch empfindet. Etwa wenn sie besonders tapfer kämpfen oder besonders gut organisiert sind«, so Schulz. »Andererseits konnte er die Römer kritisieren, indem er zeigte, dass die Feinde in einigen Punkten besser waren als sie selbst. Indem die Gegenfiguren positiv leuchteten, warf das ein negatives Licht auf die Römer.«
Unfähig, voreilig, wütend?
Auch Tacitus' Darstellung von Tacfarinas lässt sich so lesen. So verfügt der Rebell bei dem Historiker über Durchhaltevermögen und Intelligenz, während die Römer, allen voran Kaiser Tiberius, voreilig handeln, etwa wenn sie wiederholte Male einen Triumph feierten, obwohl der Sieg noch gar nicht errungen war. In Momenten wie diesen wirkt Tiberius, den Tacitus ohnehin gerne kritisierte, besonders unfähig.
Noch eine zweite Schwierigkeit besteht, will man Tacitus' Text interpretieren: Der Römer schrieb rund zwei Generationen nach den Ereignissen in Numidien. Für seine Darstellung stützte er sich wahrscheinlich auf mittlerweile verschollene Werke älterer Historiker sowie Unterlagen aus dem Senat, auf die er Zugriff hatte. Lücken in seinem Wissensstand füllte er mit Annahmen auf. Weil keine zweite Darstellung von Tacfarinas' Aufstand überliefert ist, können Historiker die Schilderung von Tacitus nicht mit der anderer antiker Autoren vergleichen. Dadurch entfällt eine Kontrollmöglichkeit. Gerade deshalb dürfe man Tacitus' Beschreibung nicht einfach für bare Münze nehmen, sagt Schulz. Ob Tiberius also tatsächlich einen Wutanfall hatte, als die Gesandten von Tacfarinas vor der Tür standen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Doch wenn Historiker die vermutlich korrekten grundlegenden Fakten aus Tacitus' Werk akzeptieren, erschließt sich ein interessantes Bild antiker Kriegsführung.
Zum Beispiel, wenn es um den Zeitpunkt des Aufstands geht. Wie Arminius in Germanien griff Tacfarinas im Lauf von ein oder zwei Generationen nach der Eroberung seiner Heimat zu den Waffen. Das sei typisch, sagt der Althistoriker Michael Sommer von der Universität Oldenburg. Als Rom die Region in Nordafrika eroberte, waren Gesellschaften wie die der Numider angesichts der hochgerüsteten Militärmaschine Roms oft nicht in der Lage, effektiv Widerstand zu leisten. Nach der Eroberung machten jedoch Einzelne Karriere in der römischen Armee – wie Tacfarinas. »Dort haben sie zum ersten Mal eine Vorstellung davon bekommen, wie ein durchorganisiertes Militär überhaupt funktioniert«, sagt Sommer. Dies machten sie sich später zu Nutze.
Der Ursprung des Aufstands
Gleichzeitig begannen die Römer, die eroberten Gebiete in ihren Herrschaftsbereich einzugliedern. Sie legten Straßen an, setzten Grenzsteine und zogen Steuern ein. In ehemals unabhängigen Gemeinschaften konnte dies zu Widerstand führen – gerade in Nordafrika, wo viele Menschen nomadisch oder halbnomadisch lebten und zwischen mehreren Weideplätzen hin und her zogen. Für sie stellten die neuen Grenzen eine besondere Provokation dar. »Diese Gesellschaften waren nicht mehr im selben Sinne frei wie zuvor. An das daraus hervorgehende Freiheitsbedürfnis konnte Tacfarinas appellieren«, erklärt Sommer.
Freiheit vor Unterdrückung war die eine Motivation, die Aussicht auf Beute eine andere. Das war typisch für diese Zeit, wie der britische Militärhistoriker Adrian Goldsworthy in seinem Buch »Pax Romana« analysiert: »Überfälle waren die am meisten verbreitete Form der Kriegsführung in der antiken Welt und selbst einige Großinvasionen waren Überfälle in großem Maßstab. Dabei ging es nicht um dauerhafte Eroberung oder Besatzung, sondern die Angreifer wollten plündern und Gefangene nehmen.« Ähnlich wie bei modernen Warlords lassen sich die Interessen zwischen Freiheitskampf und der Aussicht auf Beute kaum auseinanderdröseln.
Die kleinen, oft nur leicht bewaffneten Überfallkommandos waren in den weitläufigen Landstrichen im Vorteil gegenüber der starken römischen Militärmacht, die häufig in Kastellen und Lagern konzentriert war. Hoch motiviert führten die numidischen Gruppen schnelle Überraschungsangriffe auf Gehöfte und Siedlungen aus. Bevor die schwerfällige römische Armee zur Verteidigung anrückte, waren sie längst auf und davon. »Das Überraschungsmoment war entscheidend«, schreibt Goldsworthy. Und fügt hinzu, dass meist nicht der Angriff, sondern der Rückzug riskant war. In diesem Moment vertauschten sich die Rollen von Angreifer und Verteidiger. Während die römische Armee zum Ort des Geschehens eilte, mussten die Numider ihre Beute fortschleppen und Vieh vor sich hertreiben. Das machte die Kämpfer langsam. Auch Tacfarinas erlitt eine seiner schwersten Niederlagen auf dem Rückzug von einem Angriff.
Das Ende des Aufrührers
Die Auseinandersetzung zwischen Tacfarinas und den Römern verrät noch etwas: wie beide Seiten voneinander lernten. Tacfarinas vermied nach ersten Scharmützeln, wenn möglich, die direkte Konfrontation mit den Legionen. Auch die Römer änderten im Lauf der Zeit ihre Kriegsführung. Statt eine ganze Legion marschieren zu lassen, begannen die Kommandanten, ihre Truppen aufzuteilen, um sie gezielter und schneller einsetzen zu können. Ihre Absicht: Tacfarinas und seine Anhänger von mehreren Seiten aus in die Enge zu treiben.
Dies gelang im Jahr 24, nach sieben Jahren Krieg. Tacfarinas hatte laut Tacitus in den Ruinen des Kastells Auzea ein Lager errichtet. Als die Römer davon erfuhren, marschierten sie im Höchsttempo dorthin. Dieses Mal war das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Sofort suchten sie den Kampf. »Die Feinde dagegen, völlig ahnungslos, hatten keine Waffen, keine Ordnung, keine Möglichkeit der Überlegung«, behauptete Tacitus. »Sie mussten sich vielmehr wie Vieh fortschleppen, abschlachten, einfangen lassen.« Im Kampf starb auch Tacfarinas, der sich in aussichtsloser Lage in den Geschosshagel der Römer warf und mit seinem Tod der Gefangennahme entging. Ein dramatisches Finale – das sich Tacitus wohl gut ausgedacht hat.
Mit Tacfarinas' Tod brach der Widerstand zusammen. Dass er nicht wieder aufflammte, dürfte allerdings nicht nur an der römischen Armee gelegen haben, sondern auch an der immer stärkeren Integration der Region ins Römische Reich, sagt Michael Sommer. Gerade die numidischen Eliten profitierten in der Folgezeit von der Nachfrage nach Keramik, Getreide und vor allem Olivenöl aus anderen Teilen des Reichs, betonte auch der französische Historiker Claude Lepelley (1934–2015) in seinem Band »Rom und das Reich«. Der Handel machte die Oberen reich. Aquädukte und Theater versprachen Teilhabe am römischen Lebensstil. Zudem lockte eine Karriere in Verwaltung und Militär. Statt die römischen Legionen zum Abzug zu zwingen, kämpften die Generationen nach Tacfarinas dafür, dass sie selbst Römer wurden und blieben.
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