Der Mathematische Monatskalender: Der mysteriöse Zahlenfreund Frénicle de Bessy
Der mathematische Monatskalender
Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Seine ersten »mathematischen Monatskalender« hatte Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, für seine Schülerinnen und Schüler geschrieben, ergänzt durch passende Briefmarken der vorgestellten Personen. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie hier.
Frénicle de Bessy korrespondierte mit den mathematischen Größen seiner Zeit: Pierre de Fermat, René Descartes, Christiaan Huygens, Marin Mersenne und John Wallis. Zudem gehörte er 1666 zu den Gründungsmitgliedern der Académie Royale des Sciences. Doch trotz dieser Kontakte weiß man nur sehr wenig über Frénicle de Bessy. Ob er tatsächlich 1604 geboren wurde (oder erst 1605), ist nicht bekannt; auch über seinen Todestag liegen keine Informationen vor.
Frénicle de Bessy stammte aus einem alten Adelsgeschlecht Frankreichs; sein Vater Bernard de Bessy war Conseiller à la Cour des Monnaies, also am obersten Gericht für Fragen des Münzwesens und der Staatsfinanzen tätig, verantwortlich unter anderem für die Verwaltung und Produktion der 30 Münzprägeanstalten Frankreichs – ein zeitaufwändiges Amt, das sein Sohn Frénicle nach erfolgreich absolviertem Jurastudium erbte.
Seine Freizeit widmete Frénicle vor allem dem Studium der Eigenschaften natürlicher Zahlen. Aus dem Nachlass der Briefe Mersennes weiß man, dass er sich ebenfalls mit physikalischen Problemen beschäftigte, unter anderem mit Galileo Galileis »Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme«. Wiederholt löste er – in Rekordzeit – Probleme, die Fermat als Herausforderungen seinen Briefpartnern gestellt hatte. 1693, also viele Jahre nach Frénicles Tod, veröffentlichte Philippe de la Hire im Auftrag der Académie vier seiner Abhandlungen (»Divers ouvrages de Mathématiques et de Physique«).
Heute erinnert noch ein Begriff aus dem Bereich der Unterhaltungsmathematik an den französischen Rechenkünstler: Unter den acht möglichen Formen eines magischen 3✕3-Quadrats wird untere Anordnung als Frénicle-Standard-Form bezeichnet (die übrigen Formen erhält man durch Drehung und Spiegelung aus dieser).
Zu den von Fermat gestellten Problemen gehörte die Aufgabe, Kubikzahlen zu finden, für die die Summe aller Teiler (einschließlich der Zahl selbst) eine Quadratzahl ist, sowie die Aufgabe, Quadratzahlen zu finden, für die die Summe aller Teiler eine Kubikzahl ist.
Frénicle ergänzte die Liste solcher Probleme um weitere Aufgaben, beispielsweise:
- Finde eine natürliche Zahl n, bei der die Summe der echten Teiler 5-mal so groß ist wie die Zahl selbst und auch die Summe der echten Teiler des 5-Fachen dieser Zahl 25-mal so groß ist wie 5n.
- Finde eine natürliche Zahl n, bei der die Summe der echten Teiler 7-mal so groß ist wie die Zahl selbst und auch die Summe der echten Teiler des 7-Fachen dieser Zahl 49-mal so groß ist wie 7n.
- Finde zwei aufeinander folgende Kubikzahlen, deren Differenz selbst eine Kubikzahl ist.
Außerdem stellte er einige Aufgaben, die mit Sechseckzahlen zusammenhängen. Dass 1729 die kleinste Kubikzahl ist, die sich auf zwei Arten als Summe von zwei Kubikzahlen darstellen lässt, findet man bereits bei Frénicle – und nicht erst (wie so oft berichtet wird) in Srinivasa Ramanujans »taxicab problem«.
Die erste der posthum veröffentlichten Abhandlungen Frénicles trägt den Titel »Méthode pour trouver la Solution des Problèmes par Exclusion«. In dieser 85-seitigen »Methode durch Ausschließung« ging es ihm insbesondere darum zu erläutern, wie man – ausgehend von einfachen Beispielen – durch systematisches Erfassen von Gemeinsamkeiten auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten schließen kann. Die meisten der dabei betrachteten Beispiele beschäftigen sich mit ganzzahligen rechtwinkligen Dreiecken.
Seit Euklid war bekannt, wie primitive pythagoreische Zahlentripel erzeugt werden können: Sind a, b zwei beliebige zueinander teilerfremde Zahlen, dann erfüllt das Tripel (a²–b²; 2ab; a²+b²) die gewünschte Bedingung. Das wendete Frénicle an.
- Gesucht sind zwei Quadratzahlen, deren Differenz eine bestimmte Quadratzahl ergibt.
Beispiel (gerade Quadratzahl): 144 = 12², teile die Zahl durch 4 und zerlege das Ergebnis in Faktoren: 36 = 1 ∙ 36 = 2 ∙ 18 = 3 ∙ 12 = 4 ∙ 9. Bilde dann für die Summe und die Differenz dieser Faktoren jeweils die Differenz der Quadrate: Aus den (erzeugenden) Faktoren 1, 36 ergeben sich die Zahlen 35, 37, und weiter: 37² – 35² = 144. Aus 2, 18 ergeben sich die Zahlen 16, 20, und weiter: 20² – 16² = 144. Aus 3, 12 ergeben sich die Zahlen 9, 15, und weiter: 15² – 9² = 144. Aus 4, 9 ergeben sich die Zahlen 5, 13, und weiter: 13² – 5² = 144.
Beispiel (ungerade Quadratzahl): 81 = 9² = 1 ∙ 81 = 3 ∙ 27. Aus den Faktoren 1, 81 erhält man die Zahlen 80, 82. Wenn man diese halbiert, findet man: 41² – 40² = 81; analog ergeben sich aus den Faktoren 3, 27 die Zahlen 24, 30, diese halbiert, ergibt: 15² – 12² = 81. - Gesucht sind ganzzahlige rechtwinklige Dreiecke, deren Kathetenlängen sich um einen bestimmten Betrag unterscheiden.
Beispiel: Die pythagoreischen Zahlentripel (5; 12; 13) und (15; 8; 17) gehören zu den ganzzahligen rechtwinkligen Dreiecken, deren Kathetenlängen sich um 7 unterscheiden. Weitere Beispiele lassen sich finden, indem man geeignete Zahlenfolgen für die erzeugenden Faktoren a, b findet:
Einige seiner Fragestellungen führen zu erstaunlich großen Zahlen …
In einer weiteren nachgelassenen Schrift, dem 79 Seiten umfassenden »Traité des Triangles rectangles en Nombres« (Abhandlung über ganzzahlige rechtwinklige Dreiecke) ging Frénicle zunächst systematisch auf Eigenschaften von Quadratzahlen ein:
- Quadratzahlen können nicht auf 2, 3, 7 oder 8 enden. Ist die letzte Ziffer 1, 4 oder 9, dann muss die vorletzte Ziffer gerade sein. Ist die letzte Ziffer eine 6, dann muss die vorletzte Ziffer ungerade sein.
- Quadratzahlen, die nicht durch 3 teilbar sind, lassen bei Division durch 3 den Rest 1.
- Ungerade Quadratzahlen lassen bei Division durch 8 den Rest 1; ungerade Quadratzahlen, die nicht durch 3 teilbar sind, lassen bei Division durch 24 den Rest 1.
- Quadratzahlen, die nicht durch 5 teilbar sind, lassen bei der Division durch 5 die Reste 1 oder -1.
Weiter entdeckte Frénicle eine bemerkenswerte Eigenschaft:
Beispiel: x = 5, y = 12: (y – x)² = 49 ; x² + y² = 169 ; (x + y)² = 289
Bei den pythagoreischen Zahlentripeln spielen Primzahlen, die nach Division durch 4 den Rest 1 lassen (5, 13, 17, 29, 37, …), eine besondere Rolle. Frénicle stellte fest:
- Diese Primzahlen sind eindeutig als Summe von zwei Quadratzahlen darstellbar (5 = 1²+2², 13 = 2²+3², 17 = 1²+4², 29 = 2²+5², 37 = 1²+6², …); zugehörige primitive Tripel: (2²–1²; 2 ∙ 1 ∙ 2; 1²+2²) = (3; 4; 5), (3²–2²; 2 ∙ 2 ∙ 3; 2²+3²) = (5; 12; 13), (4²–1²; 2 ∙ 1 ∙ 4; 1²+4²) = (15; 8; 17), …
- Produkte von zwei verschiedenen Primzahlen dieses Typs sind auf zwei Arten darstellbar (65 = 5 ∙ 13 = 1²+8² = 4²+7², 85 = 5 ∙ 17 = 2²+9² = 6²+7², 13 ∙ 17 = 221 = 5²+14² = 10²+11², …); zugehörige primitive Tripel: (63; 16; 65), (33; 56; 65) beziehungsweise (77; 36; 85), (13; 84; 85) beziehungsweise (171; 140; 221), (21; 220; 221), …
- Produkte von drei verschiedenen Primzahlen sind auf vier Arten darstellbar, zum Beispiel 1105 = 5 ∙ 13 ∙ 17 = 4²+33² = 9²+32² = 12²+31² = 23²+24²), zugehörige Tripel: (264; 1073; 1105), (576; 943; 1105), (744; 817; 1105), (47; 1104; 1105), …
- Produkte von vier verschiedenen Primzahlen des Typs sind auf acht Arten darstellbar, Produkte von fünf verschiedenen Primzahlen des Typs sind auf 16 Arten darstellbar und so weiter.
- Zu diesen primitiven pythagoreischen Zahlentripeln findet man im Fall des Produkts von zwei verschiedenen Primzahlen zwei weitere Vielfachtripel, zum Beispiel 5∙(5; 12; 13) = (25; 60; 65) und 13∙(3; 4; 5) = (39; 52; 65), im Fall des Produkts von drei verschiedenen Primzahlen gibt es neun Vielfachtripel, von vier Primzahlen 32 Vielfachtripel und so weiter.
- Insgesamt gibt es für Produkte aus zwei verschiedenen Primzahlen dieses Typs 2+2 = 4 Tripel, aus drei verschiedenen Primzahlen 4+9 = 13 Tripel, aus vier verschiedenen Primzahlen 8+32 = 40 Tripel, aus fünf Primzahlen 16+105 = 121 Tripel, aus sechs verschiedenen Primzahlen 32+332 = 364 Tripel, …
Der Rechenkünstler Frénicle scheute sich nicht, im Fall von vier Primzahlen für ein Beispiel alle 40 Tripel zu bestimmen. Weiter untersuchte er die Anzahl der primitiven pythagoreischen Tripel für Potenzen sowie für Produkte von Potenzen von Primzahlen:
Weitere Sätze beschäftigen sich mit dem Zusammenhang zwischen den erzeugenden Zahlen und den Vielfachen der pythagoreischen Tripel:
Vervielfacht man die erzeugenden Zahlen eines primitiven pythagoreischen Tripels mit einer natürlichen Zahl, dann vervielfachen sich die Zahlen des Tripels mit dem Quadrat dieser Zahl und umgekehrt. Auch wenn man die Zahlen eines primitiven pythagoreischen Tripels mit dem Doppelten einer Quadratzahl vervielfacht, existiert ein Paar erzeugender Zahlen; bei anderen Vielfachen eines primitiven pythagoreischen Tripels existiert ein solches Paar allerdings nicht.
Frénicle bewies unter anderem noch die folgenden Eigenschaften:
- Die Differenz der Seitenlängen der Hypotenuse und der Kathete mit ungerader Seitenlänge in einem ganzzahligen primitiven rechtwinkligen Dreieck ist das Doppelte einer Quadratzahl, die Summe und die Differenz der Seitenlängen der Hypotenuse und der Kathete mit gerader Seitenlänge ist eine Quadratzahl.
- Die Länge der Hypotenuse eines ganzzahligen primitiven rechtwinkligen Dreiecks ist nicht durch 3 teilbar. Die Seitenlänge einer der Katheten eines ganzzahligen rechtwinkligen Dreiecks ist durch 3 teilbar. Die Seitenlänge einer der Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks ist durch 4 teilbar. Daher kann es kein ganzzahliges rechtwinkliges Dreieck geben, bei dem die Seitenlängen der beiden Katheten Primzahlen sind.
- Eine der Seitenlängen eines ganzzahligen rechtwinkligen Dreiecks ist durch 5 teilbar.
- In einem ganzzahligen primitiven rechtwinkligen Dreieck lässt sowohl die Summe als auch die Differenz der Seitenlängen der Katheten bei Division durch 8 den Rest -1 oder +1.
- Der Flächeninhalt eines ganzzahligen rechtwinkligen Dreiecks ist stets durch 6 teilbar.
- Es gibt kein ganzzahliges rechtwinkliges Dreieck mit quadratischem oder mit doppelt quadratischem Flächeninhalt.
Schließlich gab Frénicle eine allgemeine Methode für das Problem an, zu einem ganzzahligen rechtwinkligen Dreieck ein rechtwinkliges Dreieck mit gleichem Flächeninhalt zu finden. Er ging dabei so vor, wie in der Tabelle ablesbar.
Das Zahlenbeispiel in der nächsten Tabelle führt von einem rechtwinkligen Dreieck mit den Kathetenlängen 3 und 4 zu einem Dreieck mit den Kathetenlängen 7⁄10 und 120⁄7 – beide mit Flächeninhalt 6.
Mit Hilfe dieses allgemeinen Ansatzes entdeckte er beispielsweise: (20; 21; 29) und (12; 35; 37) haben beide den ganzzahligen Flächeninhalt 210; die Dreiecke (48; 55; 73) und (22; 120; 122) den Flächeninhalt 1320, die Dreiecke (27; 364; 365) und (39; 252; 255) den Flächeninhalt 4914.
Frénicle fand sogar Beispiele, bei denen drei ganzzahlige Dreiecke gleichen Flächeninhalt haben, unter anderem (56; 390; 394), (105; 208; 233) und (120; 182; 218) mit Flächeninhalt 10 920. In einem Beispiel mit sechs gleich großen ganzzahligen rechtwinkligen Dreiecken ergibt sich für den Flächeninhalt eine Zahl mit 32 Stellen.
In einer weiteren Schrift, der 39-seitigen Abhandlung »Abregé des Combinaisons«, erläuterte Frénicle anhand zahlreicher Beispiele die wichtigsten Regeln der Kombinatorik; er ging dabei nicht über die bis dahin bekannten Fragestellungen hinaus.
Die letzte der vier Schriften trägt den Titel »Des Quarréz ou Tables Magique« und umfasst 146 Seiten. Ohne Hinweise auf eventuell benutzte Quellen beschrieb Frénicle verschiedene Verfahren, mit deren Hilfe magische Quadrate erzeugt werden können.
Nach der Erläuterung der Grundregeln stellte er zunächst eine Methode vor, die bei magischen Quadraten mit ungerader Ordnung (Seitenlänge) anwendbar ist: Die außerhalb des eingerahmten Quadrats stehenden Zahlen werden in die jeweils waagerecht beziehungsweise senkrecht am weitesten entfernten Zellen verschoben. Durch symmetrisches Vertauschen von Zeilen und Spalten lassen sich hieraus weitere Varianten entwickeln.
Für 4✕4-Quadrate erläuterte Frénicle eine Methode, bei der die Diagonalelemente des Startquadrats (schwarz) stehen bleiben, die übrigen Elemente werden gespiegelt – die magische Summe des Quadrats beträgt 34.
Ein 4✕4-Quadrat lässt sich dann gemäß der so genannten Rahmenmethode auf ein 6✕6-Quadrat erweitern (magische Zahl: 111), indem man beispielsweise zunächst die Zahlen von 1 bis 8 und von 29 bis 36 berücksichtigt (magische Zahl: 74) und dann im Rahmen die übrigen Zahlen so ergänzt, dass einander gegenüberliegende Zahlen jeweils die fehlende Summe 37 ergeben.
Auf den folgenden Seiten erläuterte Frénicle dann die nächsten Konstruktionsschritte – bis hin zu einem magischen 14✕14-Quadrat.
Die Rahmenmethode lässt sich ebenso auf magische Quadrate mit ungerader Ordnung anwenden. Da es verschiedene Möglichkeiten gibt, die Zahlen für das innere Quadrat auszuwählen, können entsprechend unterschiedliche erweiterte Quadrate erzeugt werden, wie Frénicle ausführlich darlegte.
Den Abschluss seines Beitrags bildet eine Liste aller 880 magischen Quadrate vierter Ordnung. Da jedes dieser Quadrate durch Drehungen und Spiegelungen auf acht verschiedene Arten dargestellt werden kann, gibt es insgesamt 8∙880 = 7040 magische Quadrate vierter Ordnung.
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