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Krebstherapie: Fünf Fakten über Immunonkologie

Die moderne Krebsforschung findet: Unser Körper hat hervorragende Waffen gegen Tumoren im eigenen Arsenal. Die Immunonkologie soll sie sinnvoll schärfen.
Immunzellen gegen Tumoren

CAR-T-Antikörper, Checkpoint-Inhibitoren, Tumorimpfung: Was ist Immunonkologie?

Ein starker Helfer ist schon da: Die körpereigene Immunabwehr. Sie kann Krebszellen erkennen und abtöten – tut dies allerdings nicht immer. Denn manchmal ist ein Tumor unsichtbar für die angriffslustigen Immunzellen oder hemmt sie. Manchmal weckt er auch die helfende, unterstützende Seite der Körperabwehr, wodurch das Tumorwachstum sogar gefördert wird. Solche Prozesse versucht die Immunonkologie zu verstehen – immer mit dem Ziel, das Immunsystem aktiv gegen den Tumor aufzubringen.

Das Schlagwort Immunonkologie taucht meist im Kontext der Pharmaindustrie auf. Dabei sind die Versuche, mit Hilfe von Immuntherapien Durchbrüche bei der Behandlung von Krebs zu erzielen, viel älter als die Bezeichnung. Und in den letzten Jahren wurden tatsächlich außerordentliche Fortschritte und beeindruckende Therapieerfolge erzielt, selbst in aussichtslosen Situationen. Aber: »Sie ist noch weit davon entfernt, eine Wunderwaffe zur Krebsbekämpfung zu werden. Schon einfach deswegen, weil sie weder bei allen Patienten noch bei allen Tumorarten wirksam ist«, erklärt der Krebsforscher Bruno Sainz von der medizinischen Fakultät der Universität Madrid.

Grob unterscheiden kann man passive und aktive Immuntherapien. Zur ersten Gruppe gehören beispielsweise Medikamente aus Antikörpern, die sich direkt gegen Merkmale auf Krebszellen richten. Dazu zählen auch die so genannten Checkpoint-Inhibitoren, die eine Gruppe von Immunzellen dazu bringen, Krebszellen anzugreifen. Die aktive Immuntherapie versucht dagegen, die Aufmerksamkeit der körpereigenen Immunzellen auf typische Tumormerkmale zu lenken, damit sie den Krebs erkennen und zerstören. Versuche mit Tumorimpfungen laufen, ebenso wird mit einem "adoptiven Zelltransfer" experimentiert, bei dem Immunzellen aus dem Körper gewonnen, genetisch verändert (und dabei auf den Tumor abgerichtet) und dem Patienten zurückgegeben werden.

Erste Erfolgserlebnisse mit dem adoptiven Zelltransfer erzielte man bereits vor knapp 30 Jahren. Eine Gruppe von Immunzellen, die T-Zellen, wurden dazu von US-amerikanischen Forschern aus dem Tumorgewebe isoliert, im Labor 1000-fach vermehrt und dem Patienten zurückgegeben. Bei einigen Schwerkranken bildete sich der metastasierende Hautkrebs zurück, Hoffnungen wurden geweckt. Doch die Besserungen waren meist kurzlebig, denn die im Labor vermehrten Immunzellen überlebten im Körper der Patienten nicht sehr lange. Seitdem hat sich allerdings viel getan, und eine Weiterentwicklung der Methode stand 2017 bei der amerikanischen Behörde FDA kurz vor der Zulassung. 2018 wurden zwei solche Therapien in den USA zugelassen.

»Sie ist noch weit davon entfernt, eine Wunderwaffe zur Krebsbekämpfung zu werden«
Bruno Sainz

Über zwei erstaunliche Therapieerfolge mit dieser CAR-T-Zell-Immuntherapie (CAR: chimärer Antigenrezeptor) wird in diesem Zusammenhang häufig berichtet. Einer davon rettet das Leben von Emily Whitehead: Sie erkrankte als Fünfjährige an einer besonders aggressiven Variante der akuten lymphatischen Leukämie (ALL). Trotz Chemotherapie kam der Krebs zweimal zurück. 2012 isolierten Ärzte des Children's Hospitals of Philadelphia Abwehrzellen aus ihrem Blut und statteten diese gentechnisch mit dem Erkennungsmolekül für das Protein CD19, aus, das Emilys Krebszellen auf der Oberfläche trugen. Die veränderten T-Zellen erledigten ihren Job – 2017 war Emily seit sechs Jahren tumorfrei. Auch William Ludwig aus New Jersey, ebenfalls schwer an Leukämie erkrankt, verdankt der Technik sein Leben. Im Jahr 2010, nach der dritten Infusion der auf seinen Krebs abgerichteten Immunzellen, erlitt Ludwig allerdings einen schweren Zusammenbruch und kämpfte auf der Intensivstation um sein Leben. Die Aktivität der Immunzellen hatte einen "Zytokinsturm" entfacht. Nach einem Monat war alles überstanden. Die veränderten T-Zellen hatten rund ein Kilogramm Tumormasse im Körper des 64-Jährigen vernichtet, im Blut und Knochenmark entdeckten die Ärzte keine Krebszellen mehr.

Doch Rückschläge gibt es auch. Die CAR-Therapie bewegt sich auf einem sehr schmalen Grat zwischen Wirsamkeit und Überreaktion – und die größte Herausforderung war und ist ihre Gefährlichkeit gesunden Zellen gegenüber. Die Frage ist immer: Kommt das Gegenüber der in die Immunzellen eingebauten Erkennungsstruktur wirklich nur auf Tumor- oder auch auf gesunden Körperzellen vor? Zwei Krebspatienten starben vor fünf Jahren beispielsweise bei einer mit insgesamt neun Teilnehmern durchgeführten Studie, weil die T-Zellen dieser beiden nicht nur das anvisierte, für die Metastasen typische Molekül MAGE-A3 erkannten, sondern auch mit dem strukturell ähnlichen MAGE-A12 reagierten. Dieses kommt im Hirngewebe vor. Die zur Bekämpfung des Tumors eingesetzten Immunzellen zerstörten auch Neurone, mit tödlichem Ausgang.

Was ist das Besondere der neuen Therapieansätze?

Einer der Väter der Checkpoint-Immuntherapie, der Immunologie James P. Allison von der University of Texas, brachte es anlässlich der Verleihung des Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis 2015 auf den Punkt: »Anstatt nach Zielmolekülen auf den Tumorzellen zu suchen, die wir angreifen können, blockieren wir die Brems- und Kontrollproteine auf den T-Zellen. Dadurch wird das Immunsystem entfesselt und kann erfolgreich gegen verschiedene Arten von Krebs vorgehen.«

Dieser Satz drückt das Spannungsfeld aus, in dem sich die Krebs-Immuntherapie seit ihrer Geburtsstunde vor mehr als 120 Jahren stets bewegt. Kann das Immunsystem überhaupt auf Krebs reagieren? Schließlich sind es ja – wenn auch veränderte, aber dennoch – körpereigene Zellen, die angegriffen werden sollen. Ihnen gegenüber verhält sich die Immunabwehr prinzipiell tolerant. Das ist notwendig und eine durch eine Fülle von Kontrollen, »Bremsen«, gesichert, weil die Immunabwehr autoimmun sonst permanent den eigenen Körper angreifen würde.

Dass das Immunsystem Tumorzellen zerstören kann, weiß man spätestens seit 1890. William Coley, ein junger Chirurg am New York Memorial Hospital, operierte damals einen Patienten zweimal an einem Sarkom an der linken Wange. Doch der Tumor, so groß wie ein Ei, erschien erneut, dieses Mal hinter dem Ohr. Dort konnte ihn Coley nur teilweise wegoperieren und zu allem Übel entzündete sich die Wunde. Bakterien breiteten sich aus, der Operierte bekam Fieber. Dann beobachtete der Arzt aber das Unglaubliche: Mit jedem Fieberschub schrumpfte der Tumor, schließlich war er ganz verschwunden.

Coley spürte das Potenzial seiner Entdeckung und behandelte im Zuge seiner Laufbahn insgesamt rund 1000 Patienten, die einen inoperablen Tumor trugen, mit einem Cocktail aus abgetöteten Bakterien. Bei jedem Zehnten von ihnen wurde die Krankheit dadurch deutlich zurückgedrängt. Was genau ablief, wusste Coley noch nicht. Doch seine Versuche zeigen deutlich: Unter gewissen Umständen kann das Immunsystem einen Tumor angreifen und sogar komplett ausradieren. Um die Sicherungs- und Kontrollmechanismen auszuhebeln, bedarf es jedoch eines massiven Anstoßes, den Coley in Form der Bakterien setzte. Und der heutzutage mit Hilfe von therapeutischen Antikörpern, Checkpoint-Hemmern, Zelltransfer und Tumorimpfung versucht wird.

»Ohne das Immunsystem haben wir keine Chance gegen den Tumor«
Falk Nimmerjahn

Die klassischen Behandlungsmethoden, Chemotherapie und Bestrahlung, zerstören Zellen, die sich rasch teilen: also vor allem die Krebs-, aber auch die Immunzellen. »Jede Art von Chemotherapie legt das Immunsystem lahm«, sagt Falk Nimmerjahn, Professor für Experimentelle Immunologie und Immuntherapie an der Universität Erlangen-Nürnberg . Wenn die klassische Therapie mit der Immuntherapie kombiniert werde, müsse man dies beachteten. »Therapeutische Antitumorantikörper machen unter maximal immunsupprimierenden Umständen keinen Sinn«, konstatiert Nimmerjahn.

Nach einer Operation und gegebenenfalls Chemotherapie müsse sich der Patient erst einmal erholen. Wenn er wieder einigermaßen fit sei, könne die Immuntherapie mit einbezogen werden. Das jedoch kann dann den entscheidenden Erfolg bringen. »Eine Krebszelle, die irgendwo im Körper wächst, kann nicht unbedingt durch die Chemotherapie oder Bestrahlung, wohl aber vom Immunsystem erwischt werden. Ohne das Immunsystem haben wir keine Chance gegen den Tumor«, erläutert Nimmerjahn.

Gibt es schon etablierte, praktische Anwendungen?

Ende der 1990er Jahre wurden die ersten monoklonalen Antikörper für die Krebstherapie zugelassen, zum Beispiel der Antikörper Trastuzumab bei metastasierendem Brustkrebs. »Heutzutage sind tumorspezifische Antikörper in der Therapie weit verbreitet«, betont Immunologie Nimmerjahn. Sein Team in Erlangen interessiert: Wie genau wirken die Antikörper eigentlich? Eine Tumorzelle stirbt nicht nur, weil Antikörper binden, für den therapeutischen Effekt werden andere Immunzellen gebraucht, etwa die Fresszellen (Makrophagen) und Killerzellen (NK-Zellen). Die Antikörper markieren den Tumor und bieten den Immunzellen Ankerplätze, von wo aus sie die Krebszellen zerstören. Die neuen Generationen an therapeutischen Antikörpern seien auf dieses Wechselspiel zwischen Antikörper und Fress- beziehungsweise Killerzellen hin optimiert, erklärt Nimmerjahn.

Seit Mitte des Jahres 2016 ist in Deutschland eine erste onkolytische Immuntherapie gegen den schwarzen Hautkrebs verfügbar. Veränderte Herpesviren werden dabei direkt in den Hauttumor gespritzt. Die Viren sind daraufhin zugeschnitten, die Tumorzellen zu befallen und abzutöten. Die bei der Zerstörung frei werdenden Tumormoleküle veranlassen das Immunsystem, ebenfalls aktiv zu werden. In klinischen Studien überlebten Patienten im frühen Stadium dank dieser Art der Immuntherapie im Durchschnitt 19,6 Monate länger.

Im Jahr 2010 wurde in den USA ein erster Tumorimpfstoff, Sipuleucel-T, für die Behandlung von Prostatakrebs zugelassen. Dabei werden dem Patienten Immunzellen entnommen, im Labor mit dem Krebsantigen (das Molekül prostataspezifische saure Phosphatase, PAP) und Verstärkerstoffen zusammengebracht und dem Erkrankten schließlich zurückgegeben. Nach zahlreichen enttäuschenden Versuchen, das Immunsystem mit einer Impfung auf den Tumor aufmerksam zu machen, war dieser Ansatz einigermaßen viel versprechend. In einer Studie verlängerte sich die Überlebenszeit von 21,7 auf 25,8 Monate. In Deutschland ist der Impfstoff nicht verfügbar, 2015 zog der Hersteller Dendreon aus zunächst unbekannten Gründen zurück. Auch das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) urteilte zunächst negativ über das Präparat: In Anbetracht der Studienlage schien es den Patienten keine Vorteile zu verschaffen. Nach der Einsicht weiterer eingereichter Unterlagen des Herstellers erkennt das Institut nun einen (allerdings nicht quantifizierbaren) Zusatznutzen – wobei ein längeres Überleben jedoch oft mit Nebenwirkungen wie Fieber, Kopfschmerzen und Schüttelfrost einhergeht.

Das Spitzenprodukt der Krebsimmuntherapie und wohl der Grund für die aktuelle Euphorie sind die Checkpoint-Inhibitoren. »Das Aufregendste an der Checkpoint-Therapie ist die auffällig lange Antwort einiger Patienten auf die Behandlung«, sagt Philippe Amanda vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston. Bei rund jedem Fünften mit einem malignen Melanom ist das der Fall, bei einigen Teilnehmern der ersten Studien befindet sich der Hautkrebs nun schon seit seit 13 Jahren auf dem Rückzug.

Die ersten Checkpoint-Inhibitoren wurden 2011 zur Therapie des fortgeschrittenen schwarzen Hautkrebses zugelassen. Der therapeutische Antikörper Ipilimumab beispielsweise blockiert ein wichtiges Bremsprotein auf T-Zellen (das CTLA-4), das die Antitumorwirkung normalerweise hemmt. Inzwischen gibt es weitere Ansatzpunkte und neue Antikörper, die versuchen, die Sicherungs- und Kontrollpunkte der Immunabwehr außer Kraft zu setzen, um die Immunantwort gegen verschiedene Krebsarten zu steigern.

Ein großer Haken bei der Sache ist, dass die Mehrheit der Patienten auf die bisher verfügbaren Inhibitoren nicht anspricht. »Beim Melanom reagieren nur 30 bis 40 Prozent, beim Bronchialkarzinom 20 bis 30 Prozent der Betroffenen«, gibt Alfred Zippelius, Leiter des Labors für Tumorimmunologie am Universitätsspital Basel, zu bedenken. Man solle unbedingt mehr Zeit und Geld in die Diagnostik stecken, um herauszubekommen, bei wem eine solche Therapie überhaupt Sinn mache, fordert Falk Nimmerjahn.

Patienten, bei denen sich im Tumorgewebe viele T-Zellen fänden, sprächen besonders gut auf Checkpoint-Inhibitoren an. »Wenn keine Abwehrzellen da sind, ist der Tumor für das Immunsystem unsichtbar. Ich kann eine Immunantwort auf den Tumor nur verstärken, wenn sie in Ansätzen bereits vorhanden ist«, weiß Nimmerjahn. Eine vorzeitige Prüfung, welcher Patient geeignet sei, erspare zudem unnötiges Leid. Denn die Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibitoren seien, so Nimmerjahn, zum Teil drastisch.

Ob sich ein Patient für eine Immuntherapie eignet, könnte sich zukünftig auch über die Erstellung einer Art »Landkarte der Immunzellen« rund um den Tumor feststellen lassen. Aktivität und Anwesenheit bestimmter Abwehrzellen ließen Rückschlüsse auf die Eignung einer Immuntherapie zu – beachtet werden muss bei allem aber auch, dass der Tumor offenbar recht früh im Krankheitsgeschehen Einfluss auf die Immunzellen nimmt und sie für seine eigenen Ziele gewinnen kann. Miriam Merad von der School of Medicine at Mount Sinai kommt daher zum Schluss, dass Therapien, die das Immunsystem mit einbeziehen, früh angewendet werden sollten: Möglichst dann, wenn sich die Abwehr noch gegen den Tumor aufbringen lässt.

Welche Risiken lauern?

Bei der Immuntherapie liegen Wirkung und Nebenwirkung extrem dicht beieinander. »Ich kann herausragende, positive Effekte auslösen, Patienten können aber auch sterben«, berichtet Immunologe Nimmerjahn. Denn die zum Schutz vor dem Selbstangriff errichteten Barrieren werden gelockert, was das Immunsystem in Richtung Autoimmunität drängt. Zeigen sich die Anzeichen einer autoimmunologischen Reaktion während der Therapie, muss sofort mit Medikamenten wie Kortison gegengesteuert werden.

Victor Kölzer, Pathologe am Kantonsspital Baselland, berichtet über eine junge Patientin, die – obwohl mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt – verstorben war. Wie sich herausstellte, waren die Metastasen, die von ihrem schwarzen Hautkrebs ausgegangen waren, die Todesursache. Die Autopsie brachte noch anderes ans Licht: Als Auswirkung der Checkpoint-Therapie hatten die enthemmten Immunzellen an verschiedenen Orten im Körper eigenes Gewebe angegriffen und Schäden an Herz, Gehirn, Leber und Knochenmark verursacht. Selbst nach einer erfolgreichen Krebstherapie hätte die Frau also mit schweren Langzeitfolgen zu kämpfen gehabt. Bemerkt hatten die Mediziner trotz modernster diagnostischer Überwachung bis zum tragischen Ausgang nur eine Lungenentzündung.

Was sind die Hürden, die Herausforderungen der Immuntherapie bei Krebs?

Es geht um dramatische Einzelschicksale, viel Leid, das ist keine Frage. Es geht aber auch um viel Geld – um einen weltweit jährlichen Markt von schätzungsweise 50 Milliarden Dollar, sollten die Immunonkologika ihr volles Potenzial entfalten. Geld und Umsatz sind keine guten Ratgeber, ein zu schnelles Vorgehen kann angesichts der komplexen Vorgänge ziemlich verheerende Auswirkungen haben. Als fataler Irrweg stellte sich etwa heraus, mit Hilfe eines therapeutischen Antikörpers die Vermehrung von Fresszellen, den Makrophagen, und deren Vorläufer, den Monozyten, im Körper von Krebspatienten hemmen zu wollen: Wie sich zeigte, können Fresszellen unter gewissen Umständen das Tumorwachstum sogar fördern. Falsch wäre nun aber auch der Gegenschluss, erläutert Immunologie Nimmerjahn: »Fresszellen generell als tumorfördernd zu bezeichnen, ist falsch.« Das Immunsystem braucht die Fresszellen sogar, um den Tumor zu bekämpfen, und Immuntherapeutika brauchen Fresszellen ebenfalls, um etwas zu bewirken.

Das Immunsystem ist eben ein hochgradig vernetztes, kompliziertes System, das empfindlich auf jegliches Eingreifen reagiert. »Um wirksame Therapien zu entwickeln, muss man erst einmal verstehen, was da im Einzelnen abläuft«, sagt Nimmerjahn. Jede Immunzelle hat zwei Gesichter. Wird sie in einer klassischen Abwehrreaktion zum Beispiel aktiviert, weil sich Viren im Körper vermehren, tut sie alles, um die Eindringlinge wieder hinauszubefördern.

Immunzellen sind aber auch bei Prozessen der Wundheilung vor Ort; auf Reparatursignale reagieren sie dann anders, schütten etwa Botenstoffe aus, die zur Regeneration des Gewebes beitragen. Der Tumor als »Wunde, die niemals heilt« versteht es, die Immunzellen durch Reparatursignale für eigene Zwecke einzuspannen. Immunzellen schütten dann Substanzen aus, die beispielsweise das Wachstum von Blutgefäßen fördern. Bei der Heilung einer Wunde ist das ein hilfreicher Schritt, für den Tumor ebenfalls, denn die über die Blutgefäße herbeigeschafften Nährstoffe und Sauerstoff lassen das Geschwür weiter wachsen.

Man könnte sich die Immuntherapie als Auto mit angezogener Handbremse vorstellen, schreiben der Krebsforscher Bruno Mainz und seine Kollegen von der Universität Madrid. Steht das Fahrzeug (bei manchen Tumoren, unter bestimmten Umständen) bergab, rollt es rasch den Hügel hinunter, wenn die Bremse gelöst wird. Steht das Auto dagegen auf einer ebenen Fläche oder gar vor einer Steigung, bringt auch das Lockern der Bremse nichts. Das Auto wird sich keine Stück vorwärtsbewegen. Einziger Ausweg ist dann, Benzin nachzufüllen und das Gaspedal zu drücken. Wo das Gaspedal ist, wisse man erst dann, wenn die Faktoren und Vorgänge ausreichend verstanden seien, die die Immunabwehr auf Angriff stellen, so die spanischen Forscher. Die Immuntherapie ist ein Auto mit viel PS, nur eine vorsichtige Lenkung verhindert, dass es gegen die Wand fährt.

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