Lexikon der Neurowissenschaft: Glutamatrezeptoren
Glutamatrezeptoren, Abk. GluR, Eglutamate receptors, transmembranäre Glykoproteine, deren zelluläre Effekte von dem Aminosäure-NeurotransmitterGlutamat (Glutaminsäure) vermittelt werden. Nach ihrer Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Agonisten und nach unterschiedlichen Postrezeptormechanismen lassen sich Glutamatrezeptoren in vier Subtypen unterteilen: N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoren (NMDA-Rezeptoren), Kainatrezeptoren, α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpropionsäure-Rezeptoren (AMPA-Rezeptoren) und metabotrope Rezeptoren. NMDA-, Kainat- und AMPA-Rezeptoren sind Liganden-gesteuerte Ionenkanäle (ionotrope Rezeptoren). Die Bindungsstelle für Agonisten bzw. Transmitter und der Ionenkanal sind in einem Makromolekül zusammengefaßt. Aktivierung des Rezeptors führt mit kurzer zeitlicher Verzögerung (Latenz < 5 ms) zum Öffnen des Kanals. Diese Rezeptoren dienen also der schnellen synaptischen Übertragung. Man kennt heute verschiedene Subtypen der einzelnen Rezeptoren: NMDA-Rezeptoren werden in Subtyp 1 sowie Subtyp 2A, 2B, 2C und 2D unterteilt, AMPA-Rezeptoren in GluR1 bis GluR5 und Kainatrezeptoren in GluR6 und GluR7 sowie KA1 und KA2 unterteilt. – Der NMDA-Rezeptor ist aus verschiedenen Untereinheiten aufgebaut und besitzt eine spezifische Bindungsstelle für Glutamin- und Asparaginsäure (Antagonist ist z.B. D-AP5). Daneben trägt er eine Strychnin-insensitive Bindungsstelle für Glycin (Glycin führt zu einer Potenzierung der NMDA-Wirkung; spezifischer Antagonist ist 7-Cl-Kynurensäure), eine spannungsabhängige Bindungsstelle für Mg2+ am Ionenkanal und eine Polyamin-Bindungsstelle. Die Aktivierung durch Glutamat setzt Depolarisierung voraus, wodurch die Mg2+-Blockade des Kanals aufgehoben wird, und erfordert die Besetzung der Glycin-Bindungsstelle. Der geöffnete Ionenkanal kann durch CPP, Phencyclidin, Ketamin und MK 801 blockiert werden. Polyamine (Spermidin) können über eine vermutlich intrazelluläre allosterische Bindung die Aktivierung des NMDA-Rezeptors verstärken. – AMPA- und Kainatrezeptoren werden auch als Non-NMDA-Rezeptoren bezeichnet. Am AMPA-Rezeptor wirkende Agonisten sind, neben Glutamat und Aspartat, AMPA und Quisqualat (Quisqualinsäure). Der AMPA-Rezeptor vermittelt den Hauptanteil des Glutamat-induzierten erregenden postsynaptischen Potentials (EPSP). Der Kainatrezeptor ist möglicherweise auch (oder nur) präsynaptisch lokalisiert. Agonisten sind, neben Glutamat, Kainat (Kainsäure) und Domoat (Domoinsäure), Antagonisten sind CNQX und DNQX. – Die ionotropen Rezeptoren haben große transmembranäre Poren, permeabel für kleine Kationen, und sind somit also nicht-selektive kationische Kanäle, wie z.B. auch der nicotinische Acetylcholinrezeptor. Ihre Poren lassen Na+, K+, Ca2+ und Cs+ passieren. Für Anionen sind sie nicht durchlässig. Von den physiologisch relevanten Kationen strömen nach Öffnen der Kanäle Na+ und Ca2+ entlang ihrem elektrochemischen Gradienten in das Zellinnere ein, K+ verläßt es. Netto resultiert ein in das Zellinnere gerichteter Ionenstrom, die Zelle wird depolarisiert. NMDA-Rezeptoren unterscheiden sich von Non-NMDA-Rezeptoren in wesentlichen Punkten. Ihre Permeabilität für Ca2+ ist bedeutend größer als die der Non-NMDA-Rezeptoren (NMDA-Rezeptor-Poren sind fünf- bis zehnmal durchlässiger für Ca2+ als für Na+ und K+, Non-NMDA-Rezeptor-Kanäle dagegen vermitteln vor allem einen Na+-Einstrom in das Zellinnere). Weiterhin zeigt die Glutamatwirkung an NMDA-Rezeptoren eine auffällige Spannungssensitivität. Glutamat bewirkt an ruhenden Zellen (Membranpotential um -70 mV) keine meßbaren Effekte über NMDA-Kanäle. Sind die Zellen allerdings bereits durch andere Stimuli erregt (vordepolarisiert auf Werte positiver als -50 mV), resultiert ein vor allem durch Ca2+ getragener Kationen-Einstrom. NMDA-Rezeptoren generieren primär also nicht elektrische Signale (dies können die an den gleichen Zellen vorkommenden Non-NMDA-Rezeptoren übernehmen), sondern vermitteln, in Abhängigkeit vom aktuellen Membranpotential der Zelle, ein Ansteigen des freien intrazellulären Ca2+. Man nimmt an, daß NMDA-Rezeptoren durch die Eigenschaft der spannungssensitiven Glutamatwirkung an synaptischer Plastizität und an Lernvorgängen (Lernen, Langzeitpotenzierung) beteiligt sind ( siehe Zusatzinfo ). – Der metabotrope Glutamatrezeptor (mGluR) ist ein Rezeptor der langsamen synaptischen Übertragung mit einer Latenz von über 10 ms für das Binden des Transmitters Glutamat bis zum Eintritt des Effekts. Bei diesen Rezeptoren sind Bindungsstellen für den Neurotransmitter und zelluläre Effektoren getrennte Einheiten. Ebenso wie bei den ionotropen Rezeptoren existieren auch bei den metabotropen GluR verschiedene Subtypen (mGluR1-6). Dabei aktivieren mGluR1 und mGluR5 die Phospholipase C, die anderen mGluR inhibieren die Adenylatcyclase. Die Verbindung zwischen Rezeptor und cytoplasmatischen Effektoren stellen dabei GTP-bindende Proteine her (G-Proteine). Die Aktivierung der Phospholipase C führt zu erhöhten intrazellulären Spiegeln des sekundären Boten Inositol-1,4,5-triphosphat (IP3). IP3 bindet an IP3-Rezeptoren des endoplasmatischen Reticulums. Dadurch öffnen Ca2+-permeable Kanäle der Reticulum-Membran und Ca2+ kann aus jenen intrazellulären Speichern ins Cytosol gelangen. An mGluR sind Quisqualat, Ibotenat (Ibotensäure) und ACPD selektive Agonisten, L-AP3 ist ein selektiver Antagonist. Der mGluR4-Rezeptor wurde auch in den Geschmackssensoren auf der Zunge von Ratten gefunden (Geschmacksrezeptorproteine). – Sämtliche GluR sind excitatorisch. Glutamat ist der quantitativ am häufigsten vorkommende excitatorische Transmitter des Zentralnervensystems (liegt in ca. 1000fach höherer Konzentration als Acetylcholin vor). Wahrscheinlich erhalten alle zentralen Neuronen glutamaterge Synapsen. Zu exzessiven Glutamat-Freisetzungen im Gehirn kommt es z.B. im Rahmen einer Ischämie (Blutleere), wie z.B. nach Schlaganfall oder Trauma (Glutamatexcitotoxizität). Lokale Applikation hoher Konzentrationen von Glutamat auf das Gehirn von Versuchstieren führt zum Absterben von Neuronen im betroffenen Gebiet. Man nimmt an, daß eine Überladung der Zellen mit Ca2+, das über Glutamat-aktivierte NMDA-Kanäle einströmt, pathogenetisch verantwortlich ist. Appliziert man zusammen mit Glutamat NMDA-Rezeptor-Antagonisten (Ketamin, Phencyclidin), die als Kanalblocker die transmembranären Poren verstopfen, wird das Auftreten des Glutamat-induzierten Zelltodes verhindert. NMDA-Rezeptor-antagonistisch wirkende Substanzen könnten also ein neues therapeutisches Prinzip in der Bekämpfung der Folgeschäden eines Hirninfarkts darstellen. Glutamatrezeptor-Antagonisten.
W.N./S.Lz.
Die mRNA des AMPA-Glutamatrezeptors wird nach der Transkription durch einen aufwendigen Editierungsapparat verändert. Da es erst nach dieser mRNA-Editierung zur Proteinsynthese kommt, entspricht das so entstehende Protein nicht exakt seinem Ursprungsgen. Dieser Schritt der Editierung der AMPA-Rezeptor-mRNA scheint eine wichtige Rolle für die korrekte Funktion des Gehirns zu spielen: Experimentell erzeugte Mäuse, denen der Editierungsapparat für den AMPA-Rezeptor fehlt, entwickeln kurz nach der Geburt epileptische Symptome und sterben rasch. Verändert man in diesen Nullmutanten jedoch das ursprüngliche AMPA-Rezeptor-Gen derart, daß es auch ohne Editierung den "korrekten" Rezeptor bildet, so sind die Mäuse trotz fehlenden Editierungsapparats gesund. – Inzwischen sind 8 Subtypen des metabotropen Glutamatrezeptors kloniert worden. Aufgrund von Übereinstimmungen in ihrer Aminosäuresequenz, ihren pharmakologischen Eigenschaften und den von ihnen benutzten Signaltransduktionswegen (Post-Rezeptor-Mechanismen; Signaltransduktion) werden diese in 3 Untergruppen unterteilt. Die Angehörigen einer Untergruppe weisen eine ca. 70%ige Identität in ihrer Aminosäuresequenz auf, zwischen den Untergruppen besteht nur eine ca. 45%ige Identität. Zur Gruppe I gehören mGluR1 und mGluR5, zur Gruppe II mGluR2 sowie mGluR3 und zur Gruppe III mGluR4 sowie mGluR6-8.
Glutamatrezeptoren
Nach I.P. Pawlow entsteht Signal-Lernen (Konditionierung) durch die Kopplung eines unbedingten Reizes (der eine Verhaltensäußerung hervorruft) mit einem zeitgleich gegebenen, zunächst neutralen Stimulus. Durch wiederholte Verknüpfungen wird dann der neutrale zum bedingenden Reiz, der selber den Effekt auslösen kann. Das anatomische Korrelat dieser Konvergenz ist die Synapse, und NMDA-Rezeptoren könnten als Koinzidenz-Detektoren, die das Auftreten mehrerer, zeitgleich stattfindender Stimuli erkennen, dienen.
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