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Evolution: Wie ein Uhren-Gen zwei Schmetterlingsarten voneinander trennte

Manchmal bringt die Natur wirklich Erstaunliches hervor. Diese possierlichen Schmetterlinge haben sich nicht wegen einer geografischen Barriere von ihren Artgenossen wegentwickelt, sondern wegen ihres Tag-Nacht-Rhythmus.
Ein Falter der Gattung Dryocampa

Schmetterling mit Flauschfaktor

Damit aus einer Art zwei werden, braucht es eine unüberwindbare Barriere. In den meisten Fällen ist dies ein geografisches Hindernis wie etwa eine Gebirgskette oder ein Ozean. Im Fall von eng miteinander verwandten Arten aus der Familie der Pfauenspinner im Südosten der USA hat sich jetzt herausgestellt: Das unüberwindbare Hindernis ist die Zeit. Während die Tiere der Art Dryocampa rubicunda bevorzugt nachts fliegen, sind insbesondere die Männchen der Art Anisota pellucida tagaktiv. Trotz sich überschneidender Verbreitungsgebiete begegnen sie einander praktisch nicht – und können sich entsprechend auch nicht miteinander fortpflanzen.

Wer die possierlichen Tierchen das erste Mal sieht, wird unweigerlich denken: Awwww, sind die flauschig! Die zur Gattung Dryocampa gehörenden Falter haben an Kopf und Rücken ein dichtes gelbes Schuppenfell, Bauchseite und Gliedmaßen sind rosafarben und die Flügel rosa-gelb gezeichnet. Exemplare der Gattung Anisota wirken etwas weniger grell, ihre Färbung geht eher in Richtung ocker und orange. Doch ihre Körper scheinen ebenso flauschig. Beide Arten sind vor etwa 3,8 Millionen Jahren aus einer einzigen Art hervorgegangen und wurden auch lange gemeinsam zur Gattung Anisota gezählt.

Verändert eine Art ihr Aktivitätsmuster von Tag zu Nacht oder umgekehrt, sind mit großer Wahrscheinlichkeit so genannte Uhren-Gene beteiligt. Diese steuern zahlreiche physiologische Prozesse wie beispielsweise Stoffwechsel und Zellwachstum, Blutdruck und Körpertemperatur. Vor allem aber bestimmen sie über den Schlaf-wach-Rhythmus von Pflanzen und Tieren.

Wie das US-amerikanische Team um den Erstautor der Studie, Yash Sondhi von der Florida International University, in der Zeitschrift »Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences« schreibt, hatte es ursprünglich nach Unterschieden im Farbsehen der Falter gesucht. Die Gruppe stellte fest, dass die nachtaktiven Dryocampa-Falter mehr Energie in ihren Geruchssinn investieren, während die tagfliegenden Anisota-Falter mehr Gene aktivieren, die mit dem Sehvermögen in Verbindung stehen. Die Forscher konnten keine Unterschiede bei den Genen feststellen, die die Fähigkeit zum Farbsehen vermitteln.

Zu ihrer eigenen Überraschung entdeckten sie aber ein anderes auffälliges Gen: das Disconnect-Gen. Dieses wurde bei beiden Arten tagsüber und nachts in unterschiedlichem Maß abgelesen. Zudem fanden die Fachleute insgesamt 23 Mutationen auf diesem Gen, in denen sich die Vertreter der beiden Gattungen voneinander unterscheiden – einige davon in aktiven Abschnitten. »Sollte sich dies auch funktionell bestätigen, ist es ein außerordentlich konkretes Beispiel dafür, dass eine Artbildung auf molekularer Ebene stattgefunden hat«, erklärt Yash Sondhi. »Das ist selten zu finden.« Die Studie sei daher auch ein wichtiger Impuls dafür, die verschiedenen Wege, auf denen sich das Leben erhält, fortpflanzt und entwickelt, besser zu verstehen.

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