Freistetters Formelwelt: Einfach ist Ansichtssache
Wer die Mathematik dank schlechtem Schulunterricht in ebenso schlechter Erinnerung hat, wird an all ihren Formeln, Zahlen und Symbolen vermutlich nichts Triviales erkennen. Wer sich dagegen beruflich mit der Mathematik beschäftigt, hat einen anderen Blick auf das Triviale. Trivial bedeutet hier etwas, was man direkt aus dem Kontext beziehungsweise dem unter Betrachtung stehenden mathematischen Objekt selbst erkennen kann. Man muss nicht groß weiter darüber nachdenken.
Hier ist ein Beispiel:
Das bedeutet: Jede natürliche Zahl ist immer durch 1 und durch sich selbst ohne Rest teilbar. Meist ist das nur ein Teil der Wahrheit. Hat man eine natürliche Zahl n gegeben, dann existieren für diese Zahl auch andere natürliche Zahlen, durch die n ohne Rest geteilt werden kann. Die Bestimmung dieser Teiler ist aus vielen Gründen in der Mathematik wichtig und kann durchaus eine schwer zu lösende Aufgabe sein. Moderne Verschlüsselungsalgorithmen etwa basieren darauf, dass es bei manchen Zahlen sehr schwer ist, bestimmte Teiler zu finden. Die in der Formel angegebene Menge an Teilern dagegen ist trivial. Darüber muss man nicht weiter nachdenken, und deswegen werden 1 und n in diesem Fall auch die »trivialen Teiler« genannt.
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Ein weiteres Beispiel für mathematische Trivialität findet man bei der Lösung von Gleichungen. Dazu können wir uns eine der bekanntesten Aussagen der Mathematik ansehen: den Großen fermatschen Satz. Dabei geht es um die Gleichung an + bn = cn. Gesucht sind ganze Zahlen a, b und c, die diese Beziehung für eine ganze Zahl n (größer als 2) erfüllen. Im 17. Jahrhundert behauptete Pierre de Fermat, dass es keine solchen Zahlen a, b und c gibt – der Beweis für diese Behauptung wurde aber erst 1994 erbracht.
Der Unterschied zwischen einfach und schwierig
Damit aber überhaupt ein mathematisch anspruchsvolles Problem entsteht, muss man bei der Formulierung des Satzes noch zusätzlich fordern, dass a, b und c positive Zahlen sind. Denn sonst könnte man sofort und ohne weiteres Nachdenken für jedes n eine Lösung angeben, etwa 0n + 0n = 0n. Diese Lösung ist allerdings vollkommen uninteressant; sie ist offensichtlich, und man kann aus ihr keine neuen Erkenntnisse gewinnen – sie ist trivial.
Was nun genau alles aus mathematischer Sicht trivial ist und was nicht, ist durchaus auch Ansichtssache. Nicht umsonst gibt es den alten Witz über eine Diskussion unter Mathematikern: Der eine merkt an, dass ein bestimmter Rechenschritt trivial sei, und auf die Nachfrage des Gegenübers erläutert er eine halbe Stunde lang die Details dieses Schritts – bis sich am Ende beide sicher sind: Ja, das ist tatsächlich trivial.
Das klingt vielleicht seltsam, doch hinter mathematischer Trivialität kann durchaus sehr viel Rechnerei stecken. Für die einen mag die Aussage, dass die Ableitung von x² gleich 2x ist, vollkommen trivial sein. Wer aber gerade erst lernt, wie Differenzialrechnung funktioniert, sieht die Sache womöglich anders.
Der berühmte Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman hat die Problematik etwas scherzhaft so zusammengefasst: Jedes Theorem ist trivial, sobald es einmal bewiesen wurde, unabhängig davon, wie kompliziert die Beweisführung war. Es gebe daher nur zwei Arten wahrer mathematischer Aussagen: die trivialen und die, die bis jetzt noch nicht bewiesen sind.
Die Mathematik ist immer auf der Suche nach dem, was nicht trivial ist. Nur dort findet man neue Erkenntnisse. Doch auch das Triviale lohnt ab und zu eine nähere Betrachtung. Schauen wir noch einmal auf die trivialen Teiler aus der Formel. Wenn wir es mit einer natürlichen Zahl zu tun haben, deren gesamte Teilermenge lediglich aus den trivialen Teilern besteht, dann hat man es nämlich mit nichts anderem zu tun als mit einer Primzahl. Und Primzahlen sind definitiv alles andere als trivial!
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