Gute Nacht - die Kolumne für besseren Schlaf: Wann Mittagsschlaf schädlich ist

Siesta, Mittagsschlaf, Powernap – je nachdem, wie man es ausdrückt, klingt die kleine Schlafpause am Mittag nach Lifestyle, Kindergarten oder der Grundlage für Höchstleistungen im Job. Für einige Menschen ist er aber noch mehr: Er ist der rettende Hafen am Mittag, der sie nach einer schlechten Nacht den Rest des Tages überstehen lässt.
Wer müde ist, der profitiert von einer kurzen Schlafpause. Das klingt einleuchtend – es gilt jedoch nicht rund um die Uhr und nicht für jeden. Wissenschaftliche Studien stellen den Tagschlaf in der Regel positiv dar. Er erhält die Wachsamkeit und hilft, fokussiert zu bleiben. Die kognitiven Auswirkungen können helfen, Stress zu regulieren und gesund zu bleiben. In der Fachzeitschrift »Accident Analysis & Prevention« berichtet zum Beispiel die Luftfahrt-Psychologin Beth Hartzler von diesen Effekten bei Piloten.
Warum der Schlaf kurz sein muss
Die ideale Dauer wird manchmal mit 15 bis 30 Minuten beziffert, der Psychologe Leon Lack und die Schlafforscherin Nicole Lovato empfehlen in »Progress in Brain Research« nur 5 bis 15 Minuten. Die Powernapper trainieren, aufzuwachen, bevor sie vom Leicht- in den Tiefschlaf übergehen. Der positive Effekt auf die kognitiven Funktionen halte bis zu drei Stunden an, schreiben die Fachleute. Wer länger als 30 Minuten schläft, könnte mit einer gewissen Trägheit aufwachen, bleibe danach aber länger fit.
Ein solcher längerer Mittagsschlaf wirkt sich auf den Nachtschlaf aus. Das liegt an biochemischen Prozessen, die für den Schlaf wichtig sind. Der Körper hat am Abend möglicherweise nicht genügend Adenosin produziert, wenn er mittags schlafen darf. Dieses Molekül ist ein Abbauprodukt des Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP). Ist viel Adenosin im Blut unterwegs, wird dies im Tegmentum mesencephali im Gehirn registriert, einem Bereich am Übergang von Mittelhirn (Mesencephalon) und Brücke (Pons), daher der Name.
Adenosin hemmt cholinerge, glutamaterge und GABAerge Zellen. Das bedeutet: Zellen, die diese im Organismus sehr bedeutenden Botenstoffe nutzen, sind weniger aktiv. Die neuronale Aktivität sinkt, der Körper kommt zur Ruhe. Rutscht das Gehirn in den Tiefschlaf, dann verstoffwechselt der Körper Adenosin. Durch Aktivität entsteht tagsüber wieder neues.
Dieser Kreislauf wird als homöostatischer Prozess bezeichnet, weil er den Körper im Gleichgewicht hält. Entsprechend wichtig ist er. Ein kurzer Mittagsschlaf dient diesem Prozess, wenn er ein Ungleichgewicht ausbalanciert und akute Erschöpfung mildert. Das könnte zum Beispiel bei Studierenden in Lernphasen der Fall sein, bei Fluglotsinnen und Fluglotsen, Krankenhauspersonal im OP-Betrieb, Pflegekräften in emotional herausfordernden Berufen, Lehrkräften – generell Menschen, die sich am Vormittag kognitiv auspowern.
Der Nachtschlaf geht vor
Fachleute betrachten in ihren Studien zum Mittagsschlaf häufig Schlafgesunde, denn Menschen mit Schlafstörungen würden die Daten verzerren. Wissenschaftlich ist das ein sauberes Vorgehen. Nur wird dann eben nicht die ganze Geschichte erzählt. Schlafgestörte gibt es in Deutschland gar nicht so wenige. Mehr als sieben Prozent der Deutschen sind im Jahr 2022 wegen der Diagnose Schlafstörung behandelt worden, berichtet die Krankenkasse Barmer. Die Tendenz steigt und die Zahl lässt all jene außen vor, die zwar regelmäßig schlecht schlafen, bei denen jedoch nie eine Diagnose gestellt wurde.
Und bei jenen fällt der Rat für oder gegen ein Powernap nicht mehr so eindeutig aus. Wer müde ist, aber am späten Nachmittag noch Autofahren muss oder einen langen Abend mit der Familie vor sich hat, der wird von einem kurzen Powernap profitieren, genau wie oben beschrieben.
Wer abends häufig nicht einschlafen kann oder nach kurzer Zeit wieder aufwacht, der muss die Frage nach dem Mittagsschlaf differenzierter betrachten. Denn der Nachtschlaf geht vor. Folgende Fragen stelle ich Menschen in der Schlafberatung, wenn wir über das Für und Wider eines Mittagsschlafs sprechen:
- Wann würden Sie gern einschlafen, um sich am nächsten Morgen erholt zu fühlen?
- Sind Sie zu dieser Zeit müde?
- Empfinden Sie die Zeit zwischen Hinlegen und Einschlafen als angenehm? Oder eher nicht?
- Wenn Sie nachts aufwachen: Was passiert vorher und währenddessen in Ihren Gedanken?
Der Mittagsschlaf selbst steht dabei erst einmal nicht im Fokus, denn der Nachtschlaf ist wichtiger. Die Antworten auf diese Fragen könnten Hinweise darauf geben, ob Sie für eine Weile auf den Powernap verzichten sollten, weil Sie mit Ihrem Nachtschlaf nicht wirklich zufrieden sind.
Siesta oder nicht? Entscheiden Sie mit Ihrem Körper
Wer sich selbst darauf trainiert hat, tagsüber beim Wechsel zwischen Schlafstadien aufzuwachen, um den Powernap kurz zu halten, der muss sich nicht wundern, wenn das auch nachts passiert. Und wer abends auf dem Sofa müde ist, im Bett dann aber nicht mehr, der könnte davon profitieren, tagsüber wach zu bleiben und das Bett als einzigen und ausschließlichen Ort des Schlafes zu wählen.
Wer mit dem eigenen Nachtschlaf nicht zufrieden ist, der muss lernen, sehr genau auf den Körper zu hören. Ist das Mittagstief vielleicht das Bedürfnis nach frischer Luft und etwas Bewegung? Muss der Kopf einen intensiven Vormittag verarbeiten und bräuchte 15 Minuten Schlaf? Was tut jetzt gut – und wie wirkt es sich auf die Müdigkeit am Abend aus? Letztlich entscheidet Ihr Körper, was Sie brauchen. Betrachten Sie dessen Signale aber nicht situativ, sondern im Kontext eines ganzen Tages. Der Nachtschlaf geht vor.
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