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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte vom Pemmikan, dem Kraftstoff der Pelzjäger

Um Pemmikan wurden einst sogar Schlachten geführt: Auf der Masse aus Fett und Fleisch ruht ein entscheidender Teil der Geschichte Kanadas, erzählen unsere Kolumnisten Richard Hemmer und Daniel Meßner.
Bisonjagd
Die Pelzhändler waren im waldreichen Norden unterwegs, das Fleisch für den Pemmikan stammte aus der weiter südlich gelegenen Prärie. Indigene und Métis jagten hier Bisons und verarbeiteten das komplette Tier zu ihrem wichtigsten Handelsgut. Kolorierte Lithographie nach einem Aquarell von K. Bodmer (1809-1893).
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Man nehme viel Bisonfleisch, in dünnen Scheiben über dem Feuer steinhart getrocknet und dann zu pulverartiger Konsistenz zerstoßen, genauso viel ausgelassenen Bisontalg und wenn es richtig gut werden soll getrocknete Beeren. Mischt man alles zusammen, erhält man ein Konzentrat, dessen Haltbarkeit sich in Jahren bemisst und dessen kalorische Wucht sogar einen Pelzjäger in Kanadas Norden warm und gesättigt hält: Pemmikan.

Die unansehnliche, in Lederbeutel eingenähte Masse – eine Erfindung der amerikanischen Ureinwohner – bietet zugegebenermaßen wenig Reiz für Feinschmecker. Aber sie war unzählige Generationen lang der Proviant schlechthin für all jene, denen Tage, Wochen oder gar Monate in den Weiten der nordamerikanischen Prärie bevorstanden, sei es auf Jagd- oder Kriegszügen, sei es auf Reisen zu befreundeten Stämmen.

Seine vorzügliche Eignung für diesen Zweck entging auch nicht den Europäern, die ab dem 18. Jahrhundert in die Wildnis des heutigen Kanada vordrangen. Pemmikan wurde unverzichtbar als Energielieferant für Pelzhändler und Entdecker, er war der fettreiche Treibstoff der Expansion europäischer Handelsunternehmen, und am Ende löste Pemmikan sogar einen Jahre dauernden blutigen Konflikt aus.

Seine Geschichte beginnt in der nordamerikanischen Prärie, einer weiten, fruchtbaren Landschaft, die sich über die heutigen Provinzen Manitoba, Saskatchewan und Alberta erstreckt und bis in die USA reicht. Hier lebten zahlreiche indigene Völker, darunter die Blackfoot, Cree und Assiniboine. Ihnen gemeinsam war die Lebensweise als Bisonjäger: Die in riesigen Herden ziehenden Tiere lieferten ihnen Nahrung. Und in Form von Pemmikan konnte das Fleisch dauerhaft haltbar gemacht werden.

In einem riesigen Gebiet floriert der Pelzhandel

Mit der Ankunft europäischer Händler, insbesondere jenen der Hudson’s Bay Company (HBC) und der North West Company (NWC), begann der Pelzhandel zu florieren. Die HBC, gegründet 1670 in London, erhielt durch eine königliche Charta exklusive Handelsrechte in einem riesigen Gebiet, das als Rupertsland bekannt wurde und das von den Rocky Mountains im Westen bis in den arktischen Norden des Kontinents reichte. Die NWC, gegründet 1779 in Montreal, entstand aus einer Koalition unabhängiger Händler und war ein harter Konkurrent der HBC.

Der Pelzhandel war keine einfache Arbeit. Die Pelzhändler benötigten immense Mengen an Nahrung, um die harschen Bedingungen auf den Flüssen, in den Wäldern und Prärien Kanadas zu überstehen. Gleichzeitig war der Transport europäischer Nahrungsmittel in die schwer erreichbare Wildnis Nordamerikas umständlich und teuer. Pemmikan erwies sich da als das ideale Nahrungsmittel, um die Händler, anfangs vor allem Briten und Franzosen – die so genannten Voyageurs – zu versorgen. Diese Männer, die oft monatelang auf Handelsrouten unterwegs waren, verbrannten nach Schätzungen, die der Historiker George Colpitts in seinem Buch »Pemmican Empire« nennt, bis zu 8000 Kalorien pro Tag. Pemmikan, mit seiner hohen Energiedichte, wurde schnell zum Hauptnahrungsmittel der Branche.

Abgeliefert bei der HBC | Das Foto vom Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt die immer noch mit traditionellen Methoden betriebene Pelzjagd in Kanadas Norden. Mit ihren Hundeschlitten sind die Jäger zum Lower Fort Garry gereist.

Eine besondere Rolle im Pelzhandel spielten die Métis, eine ethnische Gruppe, die aus der Vermischung europäischer Pelzhändler, hauptsächlich französischer und schottischer Herkunft, mit indigenen Frauen entstand. Die Métis entwickelten eine einzigartige Kultur und Sprache, die Elemente beider Welten vereinte. Sie waren hervorragende Vermittler zwischen den europäischen Unternehmen und den indigenen Völkern und produzierten auch große Mengen Pemmikan.

Unverzichtbare Mittelsmänner

Die Métis lebten hauptsächlich entlang der Handelsrouten und um die Handelsposten der HBC und NWC. Sie arbeiteten als Übersetzer, Führer, Händler und Trapper und spielten eine zentrale Rolle im Aufbau und Erhalt der Handelsnetzwerke. Ihre Kenntnisse der indigenen und europäischen Kulturen machten sie zu unverzichtbaren Partnern für die Pelzhändler – was schließlich ein Auslöser für Konflikte wurde.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts strebten sowohl die Pemmikanproduktion als auch die damit verbundenen Probleme ihrem Höhepunkt entgegen. Erbittert konkurrierten die Hudson’s Bay Company und die North West Company um die Kontrolle über die Handelsrouten und damit einhergehend um die Versorgung mit Pemmikan. Die Spannungen eskalierten, als Thomas Douglas, der 5. Earl von Selkirk, auf dem Gebiet der HBC und in Abstimmung mit dieser eine Kolonie für schottische Auswanderer gründete. Nicht ganz zufällig platzierte er sie am Red River. Genau dort, wo zahlreiche Métis-Communities lebten, die die Konkurrenz bei der NWC mit Pemmikan versorgten. Die North West Company wiederum sah das Unheil kommen und versuchte umgehend, die Neugründung zu hintertreiben und deren Scheitern herbeizuführen.

Der »Pemmikan-Krieg« beginnt

Als die Siedler selbst mit einer Nahrungsmittelknappheit zu kämpfen hatten, erließ der Gouverneur der Red-River-Kolonie Miles Macdonell im Januar 1814 die so genannte Pemmikan-Proklamation. Diese setzte jeglicher nicht genehmigten Ausfuhr von Pemmikan aus der Kolonie ein Ende, um die Versorgung der Siedler zu sichern. Die NWC sah sich dadurch jedoch massiv benachteiligt, den Métis war ihre wichtigste Einnahmequelle genommen. Am Ende griffen NWC und HBC zu den Waffen und schickten neben ihren eigenen Leuten auch angeheuerte Söldner in eine Serie von Scharmützeln. Zweimal brannten Forts der Siedler nieder. Die Auseinandersetzungen gipfelten im Juni 1816 in der Schlacht von Seven Oaks. Die Métis, angeführt von Cuthbert Grant, besiegten dabei die Männer der Kolonie. Doch die Niederlage der HBC setzte dem Streit mitnichten ein Ende, im Gegenteil, die Spannungen verschärften sich weiter.

Schließlich griff die britische Regierung ein. 1821 wurden HBC und NWC zur Hudson’s Bay Company fusioniert. Diese Fusion beendete die Rivalität zwischen den beiden Unternehmen und bescherte der Region relative Stabilität. Die vereinigte HBC kontrollierte nun den Großteil des Pelzhandels in Nordamerika und konzentrierte sich auf die Expansion und Verwaltung ihrer riesigen Gebiete. Die Red-River-Kolonie erholte sich wieder, Lord Selkirk gilt heute als Schlüsselfigur der frühen Geschichte Kanadas.

Für die Métis bedeutete die Schlacht von Seven Oaks jedoch mehr: die Stärkung ihres kollektiven Bewusstseins als eigenständiges Volk. Ihr Sieg über die HBC förderte ihr politisches Engagement und die Entwicklung eigener Führungsstrukturen. Die Schlacht wird heute – zumindest von manchen Fachleuten und Angehörigen der Métis – als die Geburtsstunde der »Métis nation« in Analogie zu den anderen indigenen »First Nations« Kanadas betrachtet.

Vom Pelzgeschäft zum Supermarkt

Mit der industriellen Revolution und der Ausweitung der Besiedlung änderten sich die wirtschaftlichen Bedingungen in Kanada. Der Pelzhandel verlor an Bedeutung, und die Hudson’s Bay Company diversifizierte ihre Geschäftstätigkeiten. Sie betätigte sich in der Landwirtschaft und später im Einzelhandel. Die HBC trat schließlich große Teile ihres Landes an die kanadische Regierung ab, was zur Gründung der Provinz Manitoba im Jahr 1870 führte.

Heute ist die Hudson’s Bay Company vor allem für ihre Kaufhäuser bekannt. Im Jahr 2015 übernahm sie zum Beispiel die deutsche Warenhauskette Galeria Kaufhof – verkaufte aber bald darauf ihre Anteile wieder mit großem Verlust.

Pemmikan, einst der Treibstoff für gute Geschäfte und Expansion, verlor mit dem Niedergang des Pelzhandels ebenfalls an Bedeutung, nicht zuletzt auf Grund der Überjagung der einst so riesigen Bisonherden. In abgewandelter Form – statt Bison wurde nun Wal verarbeitet – fand es aber weiterhin vor allem bei Expeditionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Verwendung. So hatte zum Beispiel die 1845 gestartete Expedition von John Franklin, auf der Suche nach der Nordwestpassage, über 400 Kilogramm Pemmikan mit an Bord.

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