Angemerkt!: Kahlschlag
Hurra, der Wald lebt und breitet sich wieder aus – zumindest mancherorts: So tönt es aus dem neuen Welt-Wald-Bericht der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO). Immerhin in 53 Ländern, darunter vielen europäischen sowie China, wächst die mit Bäumen bestückte Fläche – die Zunahme in Ostasien wird sogar als eines der größten gegenwärtigen Umweltschutzprogramme gerühmt. Und noch eine gute Nachricht hat die FAO parat: Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto besser geht es auch ihrem Wald – und widerlegt damit alte Befürchtungen, dass gerade die Industrialisierung ihm den Garaus bereiten könnte. Zudem, so die FAO, würden sich heute fast alle Staaten zum Erhalt ihrer Wälder bekennen.
All das ist zwar sehr erfreulich, doch damit hat es sich dann schon mit den positiven Meldungen. Denn in 83 Staaten schrumpft die Waldfläche immer noch – in Südostasien, Afrika und Lateinamerika inklusive der Karibik sogar in beschleunigtem Maße während des letzten Beobachtungszeitraums von 2000 bis 2005. In jedem dieser Jahre fielen global unter dem Strich 7,3 Millionen Hektar Wald Motorsäge und Feuer zum Opfer; das entspricht täglich 20 000 Hektar oder zweimal der Fläche von Paris respektive einmal eine kahlgeschlagene Bundesrepublik Deutschland alle fünf Jahre.
Besonders betroffen von der Entwaldungsmisere sind also die Tropenwälder rund um den Äquator, wo sich gleichzeitig ein Großteil der globalen Artenviefalt tummelt. Die Ursachen für den Kahlschlag finden sich aber nur teilweise vor Ort; vielmehr haben die Industriestaaten des Westens sowie China – wo just das Gros des festgestellten Waldflächenzuwachses auszumachen ist – ihre Rohstoffbeschaffung in den Süden verlegt: Vorwiegend deshalb werden afrikanische Regenwälder für wetterfeste Fensterrahmen ausgelichtet, weicht brasilianischer Urwald für proteinreiches Viehmastfutter und indonesischer, um Biodiesel für "saubere" Energie zu gewinnen.
Zu den viel zitierten Märchen unserer Tage zählt daher immer noch, dass Rodungen überwiegend von hungrigen Kleinbauern für das eigene kleine Feld durchgeführt werden. Mit Ausnahme von Teilen Afrikas liegt dies fernab der Realität. Tatsächlich stecken meist große, international operierende Agrarfirmen, Papiermühlen oder Holzunternehmen dahinter, die wiederum großen Handelshäusern, Lebensmittelkonzernen oder Energieerzeugern zuarbeiten – auch hier herrscht Globalisierung. Und nur so ist zu erklären, warum China zuhause aufforstet und gleichzeitig in großem Maßstab Holz aus Indonesien, Myanmar oder Papua-Neuguinea einführt, verarbeitet und teilweise wieder nach Europa, Japan oder die USA exportiert. Oder warum Deutschland strikte nationale Waldschutzgesetze erlässt, sich aber der strafrechtlichen Verfolgung illegal geschlagener Hölzer verweigert.
Die nackten Bestandszahlen der FAO sind noch aus einem anderen Grund trügerisch, denn sie unterscheiden nicht zwischen Wald und Forst: Während Ersterer ein funktionstüchtiges Ökosystem mit oft hoher Biodiversität ist, bildet Letzterer zumeist nur eine Ansammlung von Bäumen in Monokultur ohne höheren biologischen Wert. Forste sind oft krankheitsanfällig und schlecht gegen Stürme, Klimaveränderungen oder Insektenplagen gewappnet. Und diese Verschleierung erlaubt es beispielsweise Finnland als positives Beispiel mit einem Zuwachs an Waldfläche anzuführen, obwohl das Land gerade dabei ist, seine letzten ursprünglichen Urwälder der Papierindustrie zu opfern – deren Hauptabnehmer unter anderem Deutschland ist.
Bundespräsident Horst Köhler mahnte deshalb während seiner gerade beendeten Südamerika-Reise zu Recht an, dass nur eine Änderung des Lebensstils im Westen die Wälder des Südens wie auch unsere eigenen retten könnte: Der Preis billigen Fleisches oder billiger Möbel ist der Verlust ursprünglicher Wälder mit all seinen negativen Konsequenzen für Klima, Artenvielfalt und Kleinbauern oder Ureinwohner vor Ort, deren Menschenrechte während der vermeintlichen Urbarmachung des Landes häufig völlig missachtet werden. Ohne diesen Wandel und den daraus folgenden Schluss, die restlichen Urwälder strikt zu schützen, verbleiben alle Aufforstungen nur grüne Feigenblätter.
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