Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte vom Central Park, der aus reinem Neid entstand
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Inmitten der vielen Wolkenkratzer Manhattans erstreckt sich eine grüne Oase, ein Ort der Ruhe und Erholung in einer der geschäftigsten Städte der Welt: der Central Park. Doch hinter seiner idyllischen Fassade verbirgt sich eine kaum bekannte Geschichte. Das grüne Herz von New York City schlägt, weil die Elite der Stadt etwas haben wollte, mit dem die europäischen Großstädte längst glänzten. Eine gigantische Parkanlage, um New York City auf eine Stufe mit den Metropolen Europas zu heben. Energisch verfolgte die Stadtelite ihr Ziel und knöpfte dafür kurzerhand Menschen das Eigentum ab. Der Central Park ist daher mehr als nur ein Park – er ist das Monument einer Gesellschaft, die sich ein neues Image verpassen wollte.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich New York City an einem Wendepunkt. Die Stadt, die sich zu einem der wichtigsten Handelszentren der Welt entwickelt hatte, wurde unübersehbar von einer wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit geprägt. Während einige wenige ein gewaltiges Vermögen angehäuft hatten, kämpften die Massen ums Überleben. In jener Zeit entwickelte die Elite einen ausgeprägten Großstadtneid; oder anders formuliert, ein großkopfertes Minderwertigkeitsgefühl. Die Oberschicht wollte einen großen öffentlichen Park haben, als Symbol für den eigenen Wohlstand. Denn die New Yorker Unternehmer und die Wohlhabenden von Manhattan waren beeindruckt von den prächtigen Parks und Gärten in Städten wie London, Paris und Wien. Sie fanden, dass New York zwar wirtschaftlich mächtig war, kulturell jedoch hinter den europäischen Metropolen zurückstand. Ein Park von der Größe und Pracht eines Central Park sollte dieses Defizit ausgleichen und die Stadt auch kulturell auf die internationale Bühne heben.
Außerdem hielten die reformierenden Kräfte einen Park für ein probates Mittel, um soziale Probleme zu beseitigen. Die grünen Flächen sollten den neu zugewanderten Massen einen Zufluchtsort bieten, jenseits der Trinkhallen und Lustspielhäuser.
Die Enteignung von Seneca Village
Das Gebiet, auf dem der Central Park entstehen sollte, war in dieser Zeit alles andere als unberührt. Vor den Toren Manhattans, das sich damals hauptsächlich über den südlichen Teil der Insel erstreckte, lag eine ländliche Gegend, in der etwa 1600 Menschen wohnten. Es gab dort kleine Gärten, Obstbäume und eine Siedlung namens Seneca Village. Wie die beiden Historiker Roy Rosenzweig (1950–2007) und Elizabeth Blackmar in ihrem Buch »The Park and the People« beschreiben, hatte sich diese Gemeinschaft, die überwiegend aus freien Schwarzen und irischen Einwanderern bestand, seit den 1820er Jahren etabliert. Sie lebten nicht nur vom Land, sondern hatten auch ein lebendiges Sozialgefüge mit Kirchen und Schulen aufgebaut. Abseits der großen Stadt wuchs in Seneca Village eine kleine wohlhabende, vor allem afroamerikanische Gemeinde heran.
In New York City schmeckte das wohl nicht jedem. Die Stadt beschloss ein Gesetz, mit dem sie die Bewohnerinnen und Bewohner von Seneca Village und der umliegenden Gebiete enteignete, das Land beschlagnahmte und so Platz für den neuen Park schuf. Trotz zahlreicher Beschwerden und Versuche, höhere Entschädigungen zu erhalten, mussten alle Einwohner bis zum Herbst 1858 ihre Häuser verlassen. Seneca Village und andere Siedlungen wurden dem Erdboden gleichgemacht. Mit ihnen verschwand ein bedeutendes Stück afroamerikanischer Geschichte aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt.
Noch während das Gebiet geräumt wurde, schrieb die Parkkommission im Oktober 1857 einen Wettbewerb zur Gestaltung der neuen Anlage aus. Unter den 33 eingereichten Entwürfen befanden sich viele kreative Ideen, aber auch der ungewöhnliche Vorschlag einer gigantischen Pyramide – der Plan war wahrscheinlich als Protest gegen politische Intrigen gedacht, die das Projekt begleiteten.
Olmsteds und Vaux‘ revolutionäre Vision
Den Wettbewerb gewann schließlich ein Duo aus zwei Männern, deren Namen bis heute untrennbar mit dem Central Park verbunden sind: Frederick Law Olmsted (1822–1903) und Calvert Vaux (1824–1895). Sie entwarfen den Greensward-Plan, benannt nach dem alten Begriff für einen Rasen. Ihre Idee war revolutionär. Sie schufen eine Landschaft, die eine Mischung aus offenen Rasenflächen, dichten Wäldern und geschwungenen Wegen bot. Die Parkbesucher sollten immer wieder neue Ausblicke genießen können.
Ein zentrales Element war das ausgeklügelte Wegesystem, das den unterschiedlichen Bedürfnissen der Parkbesucher gerecht werden sollte. Es gab separate Pfade und Straßen für jene zu Fuß, zu Pferd und in den Kutschen. Der Plan sollte für Verkehrssicherheit sorgen, berücksichtigte aber vor allem die gesellschaftliche Situation. Es war eine Hierarchie der Bewegungsformen: Wer zu Fuß ging – und damit kaum zur Elite der Stadt gehören konnte –, dem waren die schönsten Aussichten vorbehalten, während die Reichen und Mächtigen mit ihren Kutschen den Park auf anderen Wegen durchqueren sollten. Dahinter steckte eine Vision der beiden Landschaftsarchitekten: All jene, die auf schönen Wegen wandeln wollten, mussten zu Fuß laufen – egal, ob reich oder arm.
Im Jahr 1858 begannen die Bauarbeiten, und bald hatte sich die Landschaft drastisch verändert. Felsvorsprünge wurden gesprengt, Hügel abgetragen und Senken aufgefüllt, um Platz für Seen und Teiche zu schaffen. Insbesondere die Infrastruktur stellte eine große Herausforderung dar: Brücken und Unterführungen wurden errichtet, um die verschiedenen Verkehrsströme zu trennen, und ein komplexes Ent- und Bewässerungssystem sorgte dafür, dass der Park zu jeder Jahreszeit in voller Pflanzenpracht erstrahlte.
Am 19. Dezember 1858 wurde der Central Park schließlich eröffnet – inoffiziell. Denn es war erst ein kleiner Teil fertig gestellt. Trotzdem lockte der Park umgehend die New Yorker. Der zugefrorene Lake, eine künstliche Wasserfläche, die als Eisbahn diente, wurde schnell zum beliebten Treffpunkt. Während am Eröffnungstag nur ungefähr 300 Menschen übers Eis flitzten, kamen am Weihnachtstag im Jahr darauf schon 8000. Von Anfang an spielte der Park eine wichtige Rolle im Leben der Stadt. Später dann umso mehr.
Blütezeit, Verfall und Wiederaufstieg des Central Park
Die folgenden Jahre waren geprägt von politischen Intrigen und wechselnden Machtverhältnissen, die den Weiterbau des Parks immer wieder verzögerten. Olmsted und Vaux wurden mehrfach entlassen und wieder eingestellt. Zwischen 1861 und 1865 ließ der Sezessionskrieg die Arbeiten stocken. Doch trotz aller Widrigkeiten wurde der Park fertig gestellt. In den 1870er Jahren kamen der Bethesda Fountain und das Belvedere Castle hinzu, die bis heute zu seinen bekanntesten Wahrzeichen gehören.
Im 20. Jahrhundert passte man den Central Park an die veränderten Bedürfnisse der Menschen an. Spiel- und Sportplätze wurden errichtet, ebenso eine künstliche Eisbahn. Außerdem konnte der Park nun mit Auto und Motorrad befahren werden. Doch diese Veränderungen brachten einen zunehmenden Verfall mit sich. In den 1960er Jahren war der Central Park ein Schatten seiner selbst, geprägt von Kriminalität und Verwahrlosung.
Erst in den späten 1970er Jahren, als die ökologische Bewegung Fahrt aufnahm, wurde der Park wiederbelebt. Die Gründung der Central Park Conservancy im Jahr 1980 markierte den Beginn einer umfassenden Restaurierung, die die 3,4 Quadratkilometer inmitten Manhattans zu dem Juwel machte, das es heute ist. Doch der Central Park ist weit mehr als nur ein Erholungsgebiet. Er ist ein Spiegelbild der New Yorker Gesellschaft. Entstanden aus dem Ehrgeiz einer Elite, die sich Europa ebenbürtig fühlen wollte, ist er inzwischen ein Symbol für das Streben nach kultureller Identität und verbindet Menschen sogar über Generationen hinweg miteinander.
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