Star-Bugs – die kleine-Tiere-Kolumne: Nicht jeder roten Wanze darf man trauen
Nach einem warmen Sommer ist der Herbst 2024 da. Nachts sind die Temperaturen im Münsterland einstellig, die Oktobersonne vertreibt die Nebelschwaden am Morgen nur mit Mühe. Auch wenn es nachmittags noch mal wärmer wird – hier sucht ein Kohlweißling die Herbstastern nach Nektar ab, dort nippen Schwebfliegen an den letzten zartrosa Wasserdostblüten –, die hohe Zeit der Insekten ist für dieses Jahr vorbei.
Einige Arten wie die rund einen Zentimeter langen Feuerwanzen sind dennoch weiterhin aktiv. Sie benötigen keine Blüten als Nahrungsquelle. Sobald die Temperaturen über zehn Grad Celsius klettern, sind sie aktiv. Dann verlassen sie vorübergehend ihr Winterversteck in feuchter Laubstreu, um sich zu sonnen.
Feuerwanzen sind in Gärten gute Bekannte, scheinen sie doch beinahe ganzjährig zwischen flechtenbewachsenen Steinen, am Fuße von Linden oder in den haarigen Blattachseln der Stockrosen herumzuwuseln. Jetzt im Oktober saugt Pyrrhocoris apterus gern an den kugeligen Samenkapseln des Garteneibischs, einer Hibiskusart, die in vielen Gärten als Zierpflanze steht.
»Viele Menschen nennen die Wanzen ›Feuerkäfer‹«, sagt Viktor Hartung. Der Biologe und Wanzenexperte betreut am Münsteraner LWL-Museum für Naturkunde die Sammlung wirbelloser Tiere, zu denen die Insekten zählen. Feuerkäfer gebe es zwar auch, mit den schwarz-roten Wanzen seien sie aber nicht verwandt.
Wanzenvielfalt in Rot und Schwarz
Feuerwanzen sind nur eine Art rot-schwarzer Wanzen, die aufmerksame Beobachter in Deutschland antreffen können. Die Streifenwanze (Graphosoma italicum) hebt sich durch ihre auffällige, namensgebende Streifenzeichnung von ihren Wanzenverwandten ab. Zudem ist sie deutlich breiter in ihrer Gestalt und das Scutellum, das Schildchen, überragt die Vorderflügel deutlich. Dagegen ist die Zimtwanze (Corizus hyoscyami) schmal und zierlich wie die Feuerwanze.
Wer die beiden Arten unterscheiden möchte, muss schon ganz genau hinschauen. Die schwarzen Augen der Zimtwanzen rahmen die rote Stirn ein. Bei Feuerwanzen hingegen ist es umgekehrt: Die Stirn ist schwarz, die Augen schimmern dunkelrot. Ein Blick auf die schwarz-rote Zeichnung auf der Wanzenoberseite bringt letzte Sicherheit: Dieses Muster ist bei jeder Art einzigartig.
Eine vierte rot-schwarze Wanze ist die Ritterwanze (Lygaeus equestris). Auffällig ist ein einzelner weißer Tupfen auf den sich überlappenden schwarzen Enden der Vorderflügel. Sonst ist die Oberseite der Wanze hellrot. Darauf prangen schwarze Flecken in der Form eines Ritterkreuzes, das der Wanze ihren Namen gab. Beide Merkmale ermöglichen es, diese Art sicher zu bestimmen.
Warnfarbe – aber nicht bei allen
Alle vier Arten saugen an Pflanzen, wobei jede unterschiedliche Favoriten hat. Streifenwanzen beispielsweise bevorzugen die noch grünen Samen von Doldenblütlern wie der Wilden Möhre, während Zimtwanzen an Samen und Früchten von Korbblütlern oder Königskerzen saugen. Spannend sind die Fraßpflanzen der Ritterwanze, denn sie erklären, warum zumindest diese Wanzenart rot-schwarz gefärbt ist. Die Kombination ist in der Tierwelt oft der wenig dezente Hinweis: »Vorsicht, ich bin giftig!« Ritterwanzen saugen an Pflanzen wie Schwalbenwurz und Adonisröschen, die reich an Glykosidgemischen sind. Die Insekten reichern diese teils giftigen Substanzen in ihrem Körper an und machen sich dadurch für Fressfeinde ungenießbar.
Viktor Hartung erinnert sich an die Erzählung eines Kollegen. Der hatte auf einer Expedition Ritterwanzen gesammelt, pflückte sie mit bloßen Händen Stück für Stück von den Pflanzen. Zur Mittagszeit habe er dann ein Brötchen gegessen und plötzlich Herzrasen bekommen. Offenbar hatten die Ritterwanzen an Pflanzen gefressen, die Herzglykoside bilden, wie sie der Rote Fingerhut oder Maiglöckchen herstellen. Beim Sammeln hatten die Insekten diese Wehrstoffe abgegeben und die Hände des Biologen benetzt. Von dort gelangten sie wiederum über das Brötchen in dessen Körper.
In Fall der Ritterwanze warnt die rot-schwarze Färbung also zurecht. »Aber von Feuerwanzen ist mir das nicht bekannt«, sagt Hartung. Sie saugen in diesen Breiten hauptsächlich an Malvengewächsen wie Stockrosen, Eibisch und Linden. Und für Insektenfresser wie Igel und Vögel, aber auch Raubwanzen und Spinnen sind Feuerwanzen eine beliebte Beute. Gegen Räuber wehren sich Feuerwanzen wie die meisten ihrer Verwandten zwar auch mit einem stinkenden Sekret, ihre rot-schwarze Warntracht scheint jedoch nur wenig abzuschrecken.
Verwirren durch pure Masse
Vielleicht nutzen sie deshalb eine weitere Strategie. Häufig versammeln sich Feuerwanzen in so genannten Aggregationen. Zu Dutzenden oder sogar zu Hunderten hocken dann ausgewachsene Tiere und Nymphen verschiedener Entwicklungsstadien beisammen. Dass sich die Tiere treffen, ist kein Zufall. Über Duftstoffe, die Aggregationspheromone, rufen sich die Wanzen gegenseitig zu den Treffpunkten. Solche Pheromone sind im Insektenreich verbreitet.
»Eine Theorie ist, dass die Feuerwanzen das zum Schutz vor Räubern machen«, sagt Hartung. In einer großen Menge haben die Tiere eine größere Chance, einem Angriff zu entkommen, als wenn sie einzeln hier und dort herumsitzen. Das liegt auch daran, dass sich Räuber bei dem Gewusel schwieriger auf ein bestimmtes Insekt fokussieren können – ähnlich funktionieren Fischschwärme. »Es wird immer eine geben, die näher am Angreifer sitzt«, formuliert es Hartung.
Für uns Menschen sind große Ansammlungen jedenfalls kein Grund zur Sorge. Feuerwanzen saugen zwar Pflanzensäfte, richten in Gärten und Parks aber nur selten gravierende Schäden an – wie übrigens auch ihre anderen rot-schwarzen Wanzenverwandten.
Insekten mit politischer Botschaft
Eine solche Farbkombination gibt es auch in der Politik. »Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die ›Insekten des Jahres‹ von 2005 bis 2009 alle rot-schwarz waren?«, fragt der Biologe. Tatsächlich: Im Jahr 2005 wählte das verantwortliche Konsortium um das Senckenberg Deutsche Entomologische Institut die Steinhummel (Bombus lapidarius) zum Insekt des Jahres, eine schwarze Hummel mit rot behaartem Hinterleib. Im selben Jahr schlossen sich im Deutschen Bundestag CDU und SPD nach fast 40 Jahren wieder zu einer Großen Koalition zusammen: erst zum zweiten Mal überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik und mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin.
Danach folgten 2006 der Siebenpunkt-Marienkäfer (Coccinella septempunctata), die Ritterwanze (2007) und 2008 das Esparsetten-Widderchen (Zygaena carniolica), ein Schmetterling mit auffällig rot-schwarz gezeichneten Flügeln. Die Gemeine Blutzikade (Cercopis vulnerata) schloss die rot-schwarze Insektenreihe im Jahr 2009 ab. Im selben Jahr beendete die CDU die schwarz-rote Koalition und machte mit der FDP als Regierungspartner weiter.
Hartung erinnert sich schmunzelnd an diese Zeit zurück: »Das war vermutlich keine Absicht, aber unter Insektenforschern hat man schon herumgewitzelt.« Schließlich seien Insekten mit politischer Botschaft schon etwas Außergewöhnliches.
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