Lexikon der Biologie: Anaerobiose
Anaerobiose w [von *anaero b], Anoxybiose, Anoxibiose, Leben ohne Sauerstoff bei Mikroorganismen und Tieren. Typische von Mikroorganismen besiedelte Biotope ohne Sauerstoff finden sich im Schlamm von Gewässern, in Seen in der Hypolimnion-Schicht (Hypolimnion) unterhalb der Sprungschicht, in Faultürmen von Kläranlagen, im Darm und Pansen von Tieren. Ferner entsteht örtliche Anaerobiose in Situationen, in denen der Sauerstoff durch mikroaerophile oder fakultativ anaerobe Mikroorganismen verbraucht wird. Mikroorganismen, besonders Bakterien, können unter Anaerobiose in einer Vielzahl unterschiedlicher Stoffwechselwege Energie gewinnen, wobei man im wesentlichen 3 Prozesse des Anaerobiosestoffwechsels unterscheidet: den Gärungsstoffwechsel (Gärung), die anaerobe Atmung und die anoxygene Photosynthese der phototrophen Bakterien. In der anaeroben Nahrungskette werden die organischen Substrate (z. B. Cellulose, Stärke) bis zu CO2 (Kohlendioxid) und Methan (methanbildende Bakterien) oder bei Vorliegen von Sulfat oder anderen oxidierten, anorganischen Schwefelverbindungen bis zu CO2 und H2S abgebaut (Sulfatreduzierer). Bei Tieren unterscheidet man 2 Formen der Anaerobiose, die biotopbedingte Anaerobiose und die funktionsbedingte Anaerobiose. Biotopbedingte Anaerobiose liegt dann vor, wenn Tiere in einem Biotop mit geringem oder fehlendem Sauerstoffangebot leben und diesen nicht verlassen können. Die biotopbedingte Anaerobiose betrifft viele im Wasser lebende Wirbellose (vgl. Abb.), da der Sauerstoffgehalt des Wassers auch bei Sättigung nur 5% des Luftsauerstoffs beträgt und darüber hinaus in Abhängigkeit von Temperatur, Umschichtung und Mikroorganismenfauna starken Schwankungen unterworfen ist. Die Perioden der Anaerobiose können Stunden, Tage oder Wochen anhalten. Eine andere biotopbedingte Anaerobiose liegt für die kiemenatmenden Bewohner des Wattenmeeres (Watt) vor, das in einem regelmäßigen 6-Stunden-Rhythmus trockenfällt und dessen Boden von sauerstoffzehrenden Mikroorganismen besiedelt ist. Neben dieser zeitweilig auftretenden biotopbedingten Anaerobiose sind einige Endoparasiten der Wirbeltiere einem ständigen, vollkommenen Sauerstoffmangel ausgesetzt. Die funktionsbedingte Anaerobiose tritt bei exzessiver Muskelaktivität (Muskelkontraktion) ein, wenn einzelne Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Sie ist charakteristisch für Organismen, die sich schnell fortbewegen können, und dauert, da sie die Folge einer besonderen individuellen Aktivität darstellt, nur kurze Zeit an. Die anaerobe Energiegewinnung in Form von ATP (Adenosintriphosphat) erfolgt bei Tieren, die einer biotopbedingten Anaerobiose ausgesetzt sind, unter Bildung von Succinat und den flüchtigen Fettsäuren Acetat und Propionat. Der Bildung von Lactat kommt unter diesen Bedingungen, im Gegensatz zur funktionsbedingten Anaerobiose, keine oder nur geringe Bedeutung zu. Bei der in der Regel nur kurzfristigen funktionsbedingten Anaerobiose kann ATP auf 3 verschiedenen Wegen bereitgestellt werden: durch Spaltung von energiereichen Phosphagenen (z. B. Argininphosphat, Kreatinphosphat), durch Umsetzung von 2 ADP (Adenosin-5´-diphosphat) zu ATP und AMP (Adenosinmonophosphat) oder durch den Abbau von Glykogen zu Lactat (Milchsäure). Letzteres ist charakteristisch für die Muskeln (Muskulatur) der Wirbeltiere oder auch für einige schnell bewegliche Krebstiere und Insekten. Eine Sonderform der anaeroben Energiegewinnung stellt in diesem Zusammenhang die Octopingärung einiger Tintenschnecken und Kammuscheln dar. Bei extremer Muskelarbeit kondensieren diese das bei hohem glykolytischem Durchsatz entstehende Pyruvat (Brenztraubensäure) mit dem bei der Spaltung von Argininphosphat gebildeten Arginin zu Octopin. Eine Ausnahme anaerober Energiegewinnung bei Tieren dürfte die alkoholische Gärung einiger Zuckmückenlarven (Zuckmücken) darstellen. Diese Form der Gärung kann auch im roten und weißen Muskelgewebe von Goldfischen unter extremen künstlichen Bedingungen ablaufen. anaerobe Nahrungskette, Pasteur (L.), Stoffwechsel (Farbtafel).
G.S./H.W.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.