Lexikon der Biologie: Lianen
Lianen, im Boden wurzelnde Kletterpflanzen mit speziellen Verankerungsstrukturen. Lianen treten in mindestens 133 Pflanzenfamilien der Einkeimblättrigen Pflanzen und Zweikeimblättrigen Pflanzen und sogar der Nacktsamer (Gnetaceae;Gnetatae) auf. Die Mehrzahl gehört jedoch zu relativ wenigen Familien, die aber nicht näher miteinander verwandt sind und aus ursprünglichen und aus abgeleiteten Verwandtschaftskreisen stammen (z.B. Osterluzeigewächse und Brechnußgewächse). Die hohe Anzahl von unabhängig entstandenen Entwicklungslinien mit Kletterpflanzen läßt auf einen starken, die Entwicklung des Kletterhabitus fördernden Selektionsdruck schließen. Nach Art der Verankerung an der Stützstruktur unterscheidet man 4 Typen: 1) Rankenpflanzen ( vgl. Abb. 1 ), bei denen entweder Seitenachsen, Blattstiele, Nebenblätter oder sogar Blütenstandsachsen zu Ranken umgebildet sind, die sich anbietende Stützen auf Berührungsreize hin umfassen, z.B. Wicke, Erbse, Weinrebe (Blatt, Haftorgane, Rankenbewegungen, Tropismus); 2) Wurzelkletterer, die sproßbürtige Haftwurzeln ausbilden, z.B. Efeu; 3) Windenpflanzen oder Schlingpflanzen ( vgl. Abb. 1 ), deren Sproßachsen die Trägerstrukturen mit kreisenden Wachstumsbewegungen (Nutationsbewegungen) umwinden. Häufig werden auch die Spreizklimmer zu den Kletterpflanzen gerechnet, die sich ohne spezielle Verankerungsstrukturen an ihre Trägerbäume „anlehnen" und mit rückwärtsgerichteten Seitentrieben, Haaren, Stacheln oder Dornen ein Zurückrutschen vermeiden, z.B. Brombeere (Rubus), Rose, Klebkraut (Labkraut), Rotang-Palmen. Über 90% der Lianenarten sind in den Tropen beheimatet ( vgl. Abb. 2 ), wo sie nicht selten Durchmesser von 15 cm und Längen von über 70 m erreichen und wo manchmal bis zur Hälfte aller dickeren Bäume Kletterpflanzen tragen. Sie werden in der Forstwirtschaft als schädlich angesehen, da sie besiedelte Baumkronen beschatten, blattfressenden Tieren den Zugang zu den Baumkronen erleichtern, die Anfälligkeit der Bäume für Windwurf erhöhen und mit ihren Achsen mehrere Baumkronen miteinander verbinden, so daß bei Sturz eines Baums benachbarte Bäume mitgerissen werden. Windende Lianen können außerdem den Assimilattransport der Trägerpflanze abschnüren. Als Faktoren, die bestimmte Baumarten vor Lianenbewuchs schützen können, werden glatte Rinde, regelmäßiges Abwerfen der Rinde und der Blätter und auch das Vorhandensein großer Brettwurzeln diskutiert. Allerdings spielen Kletterpflanzen durch ihre Beteiligung sowohl an der Entstehung von Lichtungen als auch an der Sukzession eine wichtige Rolle in der Dynamik der tropischen Regenwälder (Regenwald) und sind bedeutende Nahrungsquellen für viele Tierarten. Im Vergleich zu selbsttragenden Pflanzen sind Lianen (die ja nur wenig eigenes Festigungsgewebe produzieren müssen) durch einen sehr hohen Anteil der Blätter an der gesamten Biomasse einer Pflanze und durch besonders lange Internodien charakterisiert. Häufig treten Abweichungen vom normalen Dickenwachstum auf (wie z.B. Zerklüftung des Holzkörpers in mehrere getrennte Stränge, Bildung multipler Kambiumschichten und band- oder sternförmiger Querschnitte), die als Anpassungen an hohe Torsions- und Biegebeanspruchungen interpretiert werden können. Viele Lianenarten sind in juvenilen Stadien selbsttragend und entwickeln sich erst in späteren Stadien zu biege- und torsionsflexiblen Kletterpflanzen, die den Sturz großer tragender Äste oder des ganzen Trägerbaums, ohne fatale strukturelle Schäden zu erleiden, überleben können. Extrem weitlumige und im Querschnitt oft schon mit bloßem Auge erkennbare Gefäße sind ein weiteres Kennzeichen von Kletterpflanzen, die eine große Blattfläche durch einen vergleichsweise dünnen Stamm mit Wasser versorgen müssen. Afrika, Asien, Baumwürger, Biomechanik, Bionik, Darwin (C.R.), Lateralgeotropismus, Wassertransport, Winden.
F.G.
Lit.:Putz, F.E., Mooney H.A. (Hrsg.): The Biology of Vines. Cambridge 1991.
Lianen
Abb. 1:
Rankenpflanzen:1 Erbse, 2 Wilder Wein; Schlingpflanzen:3 Asarina (Maurandya),4 linkswindende Bohne, 5 rechtswindender Hopfen
Lianen
Abb. 2: Etwa 90% der Lianen wachsen in feuchten Tropenwäldern, die sie mit ihren verschlungenen Strängen undurchdringlich machen. 1 zeigt Lianen des tropischen Urwalds, 2 eine „Kettenliane“.
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