Lexikon der Biologie: Ökotoxikologie
Ökotoxikologiew [von ö *öko- , Toxikologie], ecotoxicology, multidisziplinäres Wissenschaftsgebiet von der Auswirkung von Chemikalien auf die belebte Umwelt. Eine ähnliche Bedeutung hat der Begriff Umwelttoxikologie (environmental toxicology), doch wird unter diesem Aspekt teilweise dezidiert Humanökotoxikologie (als Teil der Umweltmedizin; Umweltkrankheiten) verstanden. Historisch hat sich die Ökotoxikologie aus der Ökologie, Umweltchemie und Toxikologie entwickelt. Daneben hat sie heute aber auch Berührungspunkte zu Biochemie, Pharmakologie sowie mehreren anderen Disziplinen und stellt im umfassenden Sinne sogar ein über die Naturwissenschaften hinaus reichendes Tätigkeitsfeld dar. Bestimmte Bereiche der Ökotoxikologie untersuchen (bio-)technologische Komponenten der Umweltsanierung (Biotechnologie, Bioremediation, Biosanierung) oder der Emissionsvermeidung (Emissionen), wobei hier ein Übergangsbereich zur Umwelttechnik und zum Umweltrecht besteht. In einem noch weiteren gesellschaftlichen Kontext befaßt sich Ökotoxikologie auch mit ethischen (Bioethik), ökonomischen oder soziologischen Fragen. – Die Wirkung von Umweltchemikalien (die Toxikodynamik) ist grundsätzlich von der jeweiligen Konzentration im Umgebungskompartiment (z.B. Wasser oder Boden) bzw. von der über Nahrung (Nahrungsmittel) oder Trinkwasser aufgenommenen Dosis (Menge pro Zeiteinheit) abhängig. Innerhalb der Organismen hängt der spezifische Effekt vom Wirkungsort der Chemikalien ab, z.B., ob sie innerhalb des Bluts, des Gehirns oder in der Mutter-Milch ihre Wirkung entfalten. Demzufolge ist auch die Toxikokinetik, die Lehre von der Aufnahme, Verteilung und Elimination der Chemikalien (Biotransformation, Entgiftung), ein zentrales Forschungsfeld der Ökotoxikologie. Sie zeigt eine formale und inhaltliche Verwandtschaft zur Pharmakokinetik. – Als potentiell ökotoxikologisch wirksame chemische Agenzien gelten zum einen alle ursprünglich der Natur fremden Substanzen (z.B. viele Organochlorverbindungen; Chlorchemie), zum anderen verschiedene durchaus natürliche Substanzen, die aber heute in erhöhter Konzentration auftreten (viele Schwermetalle, teilweise auch Radionuklide). – Ökotoxikologische Wirkungen können bei einem Individuum entweder kurzzeitig (akut) manifest werden, oder aber erst längerfristig (chronisch) wirken. Die Beziehung zwischen der Dosis (bzw. der Konzentration) und der Wirkung wird in Form von Dosis-Wirkungs-Beziehungen beschrieben (und anschaulich in Form von Dosis-Wirkungs-Kurven dargestellt). Vielfach treten Effekte erst ab einer bestimmten Schwellenkonzentration auf; teilweise ist eine solche nicht feststellbar, d.h., jede noch so kleine Veränderung der Dosis verändert die Wirkung. Neben diesen direkten Wirkungen auf das Individuum resultieren auch indirekte Wirkungen, die von geänderten ökologischen Interaktionen herrühren (z.B. beeinträchtigt eine toxische Wirkung auf Pflanzen auch die Folgekonsumenten). – Auf biochemisch-molekularer Ebene beruht die toxische Wirkung auf der Wechselwirkung mit bestimmten biochemischen Strukturen (sog. Rezeptoren), so daß man von Wirkstoff-Rezeptor-Wechselwirkungen spricht. Entscheidend für die Stärke der toxischen Wirkung ist dabei die Konzentration direkt am Ort des Rezeptors. Als empfindliche Rezeptoren fungieren vielfach bestimmte Proteine mit spezifischen Funktionen, z.B. Ionentransportaufgaben (Ionenkanäle). Praxisorientierte ökotoxikologische Testverfahren werden je nach Fragestellung in vivo oder in vitro durchgeführt, wobei unterschiedliche Komplexitätsstufen untersucht werden: Testverfahren können auf subzellulärer Ebene ablaufen, auf zellulärer Ebene, auf der Ebene des Individuums, durch Einsatz von Mesokosmen (Ausschnitte ganzer Lebensgemeinschaften) oder als komplexe Freilandanalysen. ADI-Wert, Ames-Test, Arbeitsstoffe, Belastung, Cytotoxizitätstest, Daphnientest, Fischtest, Fischtoxizität, Fischwarntest, Gefahrstoff, Gefahrstoff-Verordnung, MAK-Wert, MIK-Wert, Pestizide, Radiotoxizität, TRK-Wert.
B.St.
Lit.:Fent, K.: Umwelt- und Ökotoxikologie. Stuttgart 1997. Henschler, D., Greim, H. (Hrsg.): MAK- und BAT-Wert-Liste 2001. Weinheim 2001. Oehlmann, J., Markert, B.: Ökotoxikologie – ökosystemare Ansätze und Methoden. Landsberg 1999. Streit, B.: Lexikon Ökotoxikologie. Weinheim. 21994.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.