Lexikon der Biologie: Regression
Regressionw [von latein. regressio = Zurückgehen; Adj. regressiv], allgemein: Zurückgehen, Zurückweichen. 1) Geologie: Meeresregression, das Zurückweichen des Meeres, wodurch früher wasserbedeckte Flächen dem Festland angegliedert werden; verursacht durch epirogenetische Hebung des Festlands oder Absinken des Meeresspiegels (eustatische Meeresspiegelschwankung). 2) Evolution: regressive Evolution. 3) Ökologie: Rückgang einer Massenvermehrung von Organismen (z.B. Schädlingen des Menschen) bis zum Normalbestand, meist auch mit Verkleinerung des besiedelten Areals verbunden. 4) Ethologie: Regressionsverhalten, regressives Verhalten, Entwicklungsrückschritte in vorangegangenes, nicht mehr aktuelles Verhalten. Regression entsteht unter Lebensbedingungen, welche die Verhaltensontogenese rückwärtsgehen lassen, so z.B. nachgewiesen bei sechsmonatigen Jungen von Rhesusaffen, die vorübergehend vom Muttertier getrennt worden waren. Beim Alleingelassenwerden in einer Entwicklungsphase, in der ein Jungtier noch auf den schützenden Mutterkontakt angewiesen ist (Mutter-Kind-Bindung), zeigt sich dieses regressive Verhalten in Form eines übersteigerten frühkindlichen und somit nicht altersgemäßen Kontaktverhaltens (Infantilismus). Die Deprivationsforschung (Deprivationssyndrom) hat dieses Phänomen vielfältig und artenübergreifend untersucht und immer wieder bestätigt gefunden. Regression, Retardation (Verlangsamung der Verhaltensentwicklung) und Stagnation (Stillstand der Verhaltensentwicklung) sind Beeinträchtigungen der Verhaltensentwicklung, die eine Abweichung vom normalen Fortschritt der Reifung bedeuten. Da die biologische Reifung ein von Umwelterfahrungen weitgehend unabhängiges, durch innere Programmschritte gesteuertes Geschehen ist, sind Einflüsse auf die Reifungsgeschwindigkeit und die Reihenfolge der Reifungsschritte nur in Ausnahmen möglich (Pubertas praecox; Virilismus). In vielen Fällen kann nicht entschieden werden, ob Umwelteinflüsse pathologische Konsequenzen auf normale Steuerungsprozesse haben oder aber intern pathologische Steuerungsvorgänge vorliegen. Das kindliche Einnässen ohne organische Ursachen (Enuresis nocturna und diurna) macht den Eindruck einer Regression auf frühere Entwicklungsstadien, in denen noch keine bewußte Blasenkontrolle erfolgte. Beim einnässenden Kind ist aufgrund eines besonderen unbeabsichtigten Lernprozesses das aktivierte Zuwendungsbedürfnis zum zentralnervösen Harnabgabesignal geworden. Speziell Biologen stellen sich die Fragen, ob sich diese neue pathologische Assoziation nicht vielleicht sogar alter Spuren bedienen kann, die den Ablauf dieses Lernprozesses erleichtern würden. Bei vielen Tierarten sind die Alttiere „programmiert“, die Exkremente der Jungtiere aus dem Nestbereich (Nest) zu entfernen. Diese Nesthygiene hat für Nesthocker einen Selektionsvorteil. Die Jungtiere machen zudem in der Nesthockerphase die Erfahrung, daß Harnen Zuwendung des Muttertiers oder der Elterntiere bedeutet. Für alle Säugetiere ist der Jungentypus des Nesthockers primär. Primaten gingen direkt zum Jungentypus Tragling über, ohne je ein Nestflüchterstadium (Nestflüchter) durchgemacht zu haben. Wird das Einnässen vor diesem biologischen Hintergrund gesehen, so würden die Erfahrungen des Kindes (Betreuung durch die Bezugsperson nach Harnabgabe) keine neue Verknüpfung entstehen lassen, sondern in Form einer Regression auf eine stammesgeschichtlich entstandene, homologe Verknüpfung, die normalerweise mit dem Ende der frühen Kindheit (kindliche Entwicklung) nicht mehr zur Geltung kommt, zurückgreifen. Noch nicht einmal ein Funktionswechsel (Funktionserweiterung) von Verhaltensweisen müßte geleistet werden. Ein Verhalten aus der eigenen Ontogenese würde im identischen Funktionskreis längere Zeit beibehalten oder zu einem späteren Zeitpunkt reaktiviert werden – eine mögliche Erklärung für die noch offene Entstehungsgeschichte der sekundären Enuresis, dem unkontrollierten Harnlassen nach Monaten oder Jahren bereits perfekter Blasenkontrolle. regressive Phasen. 5) Psychoanalyse: Rückzug auf Verhaltensweisen aus frühkindlichen Entwicklungsstadien (Infantilismus), wovon unbewußt eine Verbesserung der Lebenssituation zum Teil unbewußt angestrebt wird; innerpsychischer Mechanismus aus der Reihe der Abwehr- und Bewältigungsstrategien von Angst. 6) Statistik: der Sachverhalt, daß geschätzte bzw. vorhergesagte Standardwerte einer abhängigen Variablen näher dem Stichprobenmittelwert liegen als die der unabhängigen Variablen. Statistik.
G.H.-S./G.M.
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