Lexikon der Biologie: Nest
Nest, Nidus, von Tieren erbaute Behausung (Tierbauten), vorwiegend zur Aufnahme und Aufzucht der Brut (Brutfürsorge, Brutpflege), auch Wohnstätte für erwachsene Tiere, die sie vor Feinden und Witterungseinflüssen schützt. – Einfache, mit Schleim verfestigte Wohnröhren graben im Wasser lebende Ringelwürmer, oder sie bauen freistehende Nester aus Körpersekreten und eingelagertem Kalk oder Steinchen. Die Spinnen bauen ihre Wohn- und Brutnester aus dem Sekret ihrer Spinndrüsen (Spinnapparat). Der Nestbau bei Insekten ist mannigfaltig: Borkenkäfer minieren in Rinde und Holz (Brutkammern, Minierer); Termiten mauern ihre Bauten aus Tonerde und Speichel; Baustoff der Wespen ( vgl. Abb. 1 ) ist das regenfeste "Papier", zerkaute, mit Speichel verkittete Holzfasern; Bienen (u.a. Honigbiene) fertigen Waben(Wabennester) aus körpereigenem Bienenwachs (staatenbildende Insekten); das Nest der Hummeln aus Wachs und Pollen ist zugleich Nahrung für die Larven; Ameisen bauen Nester mit Wohn-, Brut- und Vorratskammern in der Erde unter Steinen, Erdkuppeln oder Haufen aus Tannennadeln und Ästchen (Wärme- und Feuchteregulation!) oder Kartonnester aus Holzfasern, Erde und Speichel. In Felsspalten lebende Muscheln bauen flaschenförmige Nester aus Steinchen und Schalentrümmern. Der Steinseeigel höhlt sich durch abgesonderte Säure kugelige Wohnnester in das Kalkgestein. Fische haben einfache Laichgruben (Forellen, Lachse), Brutnester aus verrotteten, mit Nierensekret verkitteten Pflanzenteilen (Stichlinge; vgl. Abb. 10 ), Schlammhöhlen (Lungenfische) oder Schaumnester (Makropoden), Amphibien wühlen Wohnlöcher in feuchte Erde (haben zum Teil auch Schaumnester), Reptilien Erdlöcher zur Eiablage und Überwinterung. – Vögel bauen sich Brutnester, seltener auch Schlafnester. Das Nest dient neben dem Schutz vor Feinden der Temperaturregulation und kann Gonadenreifung und Entwicklung des Brutpflegeverhaltens synchronisieren. Es wird von Männchen und/oder Weibchen gebaut – in tage- bis wochenlanger Arbeit. Arten, bei denen beide Geschlechter sich am Nestbau beteiligen, haben durchschnittlich größere Nester im Verhältnis zu ihrer Körpergröße, wie eine Untersuchung an 76 europäischen Vogelarten ergab. Da in größeren Nestern auch größere Gelege (Eizelle [Tab.], Vogeleier I–II ) aufgezogen werden können, lassen sich aus der gebauten Nestgröße auch Rückschlüsse auf die Güte der körperlichen Verfassung ziehen. Das arttypische Nestbauverhalten ist angeboren, kann jedoch durch Lernen modifiziert werden. Die Nistplatzauswahl erfolgt meist durch das Weibchen (Nisthilfen), manchmal wählt dieses aus mehreren angebotenen Nestern aus (Zaunkönig, Beutelmeise, Webervögel). Standort, Nesttyp und Nistmaterial ergänzen sich. Großfußhühner schichten Haufen von Pflanzenteilen auf und lassen die darin vergrabenen Eier durch die Zersetzungswärme der Fäulnis ausbrüten. Viele Seevögel (Möwen, Regenpfeifer; vgl. Abb. 2 ), Hühnervögel und Ziegenmelker legen die Eier ohne Unterlage auf den Boden. Flamingos formen aus Schlamm und Pflanzenresten kegelstumpfförmige Nester. Höhlenbrüter nehmen natürliche oder künstliche Höhlen (Nisthöhle) an (Kleiber, Meisen, Stare), hacken sie in Baumstämme (Spechte) oder graben sie in lehmige Erde (Eisvogel, Bienenfresser, Ufer-Schwalbe; vgl. Abb. 8 ). Einfache flache Nester aus kreuz und quer liegenden Ästen bauen Tauben, Haubentaucher (Lappentaucher; vgl. Abb. 9 ) und andere, feste Reisig-HorsteStörche, Reiher, Greifvögel und Rabenvögel. Die Napfnester der Singvögel haben einen gröberen Außenbau aus Zweigen, Halmen oder Blättern und sind innen mit Tierhaaren (Grasmücken, Ammern), Wollfasern (Fliegenschnäpper), Federn (Laubsänger) oder Erde (Sing-Drossel) ausgekleidet. Die zierlichen Nester der Goldhähnchen sind dreischichtig und bestehen meist aus Moos, Flechten und Spinnstoffen (Kokons von Spinnen).Die Nester sind in Zweiggabeln von Sträuchern, Büschen oder Bäumen eingefügt, an Zweigen (Rohrstengeln) angeflochten (Pirol, Rohrsänger; vgl. Abb. 4 ) oder liegen unter Gras- und Seggenbüscheln am Boden (Pieper, Lerchen). Die Schneidervögel nähen Blattränder mit Pflanzenfasern zusammen und bauen in diese Taschen ihre Nester. Die zierlichen Nester von Kolibris bestehen aus Pflanzenwolle, Moos und Flechten. Kugelnester mit Schlupflöchern oder -röhren bauen Webervögel ( vgl. Abb. 5 ), Nektarvögel, Beutelmeise, Zaunkönig und andere. Die Töpfernester sind aus Lehm gemauert (Schwalben, Töpfervögel; vgl. Abb. 6 ), aus mit Speichel verkitteten Pflanzenteilen und Federn (Segler) oder bei den Salanganen nur aus erhärtetem Speichel geklebt. Laubenvögel bauen zur BalzSpielnester (Lauben), die sie mit bunten Federn, Steinchen und ähnlichem kunstvoll schmücken. Die Nester stehen einzeln (z.B. Laub- und Rohrsänger, Grasmücken) oder in Kolonien (z.B. Saatkrähe [ vgl. Abb. 7 ], Reiher, Lummen). Kleinvögel bauen für jede Brut in der Regel ein neues Nest, da das alte stark von Parasiten befallen ist. Größere Vögel (Störche, Reiher, Greifvögel) benutzen dasselbe Nest oft viele Jahre hintereinander, einige beziehen die verlassenen Nester anderer Arten, z.B. der Turmfalke alte Krähennester. – Einige Säugetiere bauen Brut-, Wohn- und Fluchtnester aus Reisern, Halmen und ähnlichem (Eichhörnchen, Bilche). Unterirdische Bauten aus Röhren und Kesseln haben Fuchs, Wildkaninchen, Mäuse, Biber, Murmeltier, Spitzmäuse, Maulwurf, Fischotter, Dachs. Einfache, mitunter ausgescharrte Wohn- und Brutlager benützen Hasen, Rehe und andere Tiere. Gorillas errichten jeden Abend ein Schlafnest auf einem anderen Baum in mehreren Metern Höhe. – Die Bewohner eines Nests, Baus oder Stocks zeichnen sich bei Arten mit ausgeprägtem olfaktorischem Sinn statt optischem Sinn im allgemeinen durch einen typischen Nestgeruch aus, der bei sozialen Kontakten als Erkennungszeichen dient (Eigengeruch, Gruppenduft, Verwandtenerkennung). Bei Insekten setzt sich der Nestgeruch zum Teil aus Kohlenwasserstoffen in der Cuticula und Faktoren aus der Umwelt zusammen, bei Termiten ist das Kohlenwasserstoffprofil so spezifisch, daß es zu taxonomischen Bestimmungen herangezogen wird. Nesthygiene ist bei den meisten nestnutzenden Arten stark ausgeprägt, um eine Parasitierung zu verhindern und Räubern keine Hinweise auf das Nest zu geben (Eierschalen, Urin- und Fäkalgeruch). Bei Sperlingsvögeln und Kuckuck übernimmt der Altvogel den Kot, der in einem dünnen Häutchen verpackt aus der Kloake des Kükens austritt, direkt nach der Fütterung und trägt ihn vom Nest weg. Bei anderen Arten verspritzen die Jungen den Kot über den Nestrand (Großvögel wie Störche, Kormorane, Greifvögel). Bei einigen Säugern nehmen die Elterntiere den Urin und Kot auf. Eine Form der Nesthygiene ist Nekrophorie. Zum Nestreinigungsverhalten der Honigbiene zeigte N. Rothenbuhler 1964, daß das Verhalten, kranke Larven aus der Wabe zu befördern, von nur einigen wenigen Genen bestimmt wird. Nestplatzzeigen oder Nestzeigen ist im Balzverhalten nestnutzender Tiere ein häufig vorkommendes Element (z.B. Albatros, Stichling). Brutparasitismus, Brutrevier, Erbkoordination, Kleptogamie, Koloniebrüter, Nidikole.
H.Kör./M.A./M.N./O.H.
Nest1
Umhülltes Wabennest: Faltenwespe; das diesjährige Nest ist an das letztjährige angeklebt.
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