Lexikon der Biologie: Telomtheorie
Telomtheoriew [von *telo- ], Bezeichnung für die von W. Zimmermann zu einer gewissen Geschlossenheit ausgebaute phylogenetische Theorie, welche die Phylogenie des in die 3 Grundorgansysteme Wurzel, Sproßachse und Blatt gegliederten Vegetationskörpers (Kormus) der Höheren Landpflanzen (Kormophyten, Pflanzen) aus noch sehr einfach organisierten und dem Landleben noch nicht gut angepaßten Vorformen beschreibt. Diese Vorformen wurden zunächst noch recht spekulativ postuliert, später aber fossil in den Formen der Urlandpflanzen bzw. Urfarne aufgefunden. Diese Urlandpflanzen bestehen in ihrer Organisation aus gabelig (= dichotom, dichotome Verzweigung) in alle Raumrichtungen verzweigten Telomständen (Telomsysteme; Telome, Verzweigung). Die Telomtheorie deckt viele vergleichende Beobachtungen, ontogenetische Vorgänge und viele paläontologische Befunde ab und wurde auch durch neue Fossilfunde besonders in Amerika gestützt (Paläobotanik). In vielen Einzelfragen bestehen aber noch Unklarheiten. Wie jede stammesgeschichtliche Überlegung hat auch die Telomtheorie notwendigerweise großenteils hypothetischen (Hypothese) Charakter. Die Telomtheorie beschreibt mit relativ wenigen, aber überall sich zeigenden und unabhängig voneinander auftretenden Differenzierungsprozessen, den sog. Elementarprozessen, die Entwicklung von Sproßachse, Blatt und Fortpflanzungsorganen bei den sich in der Erdgeschichte parallel entwickelnden Pflanzengruppen der Bärlappe, Schachtelhalme, Farne und der Samenpflanzen. Weniger gut gelingt zur Zeit noch die Ableitung der Wurzel. Die Telomtheorie wird heute durch eine Reihe von sie unterstützenden Beobachtungen gesichert. So nimmt z.B. die Häufigkeit der nach dieser Theorie ursprünglichen Telomsysteme im Verlauf der Erdgeschichte ab (Unter-Perm: ca. 80% ursprüngliche Systeme, Ober-Karbon ca. 30%, heute ca. 1%). Ferner zeigen viele devonischen Pflanzen (Devon) eine Organisationsstufe ihres Vegetationskörpers, bei der die Elementarprozesse nur unvollständig oder nur teilweise durchgeführt sind. Sie sind gleichsam Momentaufnahmen von Einzelstadien der nach der Telomtheorie zu fordernden Entwicklungsabläufe. Solche Zwischenformen kennt man zu jeder der oben genannten Pflanzengruppen: bei den Bärlappen sind es die Protolepidodendrales, bei den Schachtelhalmen möglicherweise die Hyeniales, bei den Farnen die Primofilices und bei den Samenpflanzen die Progymnospermen, die sich schon bald in die Entwicklungslinien zu den nadelholzartigen Gymnospermen (Coniferophytina) und über die Lyginopteridales zu den palmfarnartigen Gymnospermen (Cycadophytina;Nacktsamer) und den daraus sich entwickelnden Bedecktsamern aufspalteten. Die Telomtheorie übergreift auch die Stelärtheorie und erklärt den Fossilfunden entsprechend etwas abgewandelt die Entwicklung der verschiedenen Stelen-Typen aus der Urstele (= Protostele) der Urlandpflanzen (Stele). – Die 5 wichtigsten Elementarprozesse, die zur parallelen Entwicklung des in den oben genannten Pflanzengruppen verschieden organisierten Kormus geführt haben, sind ( vgl. Abb. ): 1) Übergipfelung, 2) Planation, 3) kongenitale Verwachsung, 4) Reduktion, 5) Einkrümmung (Inkurvation). Bei der Übergipfelung erhält im dichotomen System die eine der beiden ursprünglich durchweg gleichwertigen (gleich langen, gleich dicken) Achsen einen größeren Wachstumsimpuls, so daß sie die Führung übernimmt, zur Hauptachse wird und die Schwesterachse übergipfelt. Die übergipfelte Achse wird zu einem seitlich gestellten Anhang. Dieser Vorgang der Übergipfelung kann sich nun auch auf der Ebene von Strukturen abspielen, die aus den Telomständen durch die Elementarprozesse entstanden sind. Beispiele für den Elementarprozeß der Übergipfelung geben die Leitbündelanordnung im Wedelblatt (= Megaphyll; Makrophyll, Wedel) und die Differenzierung der Telomstände in ein tragendes Achsensystem und in seitlich mehr der Assimilation dienende Seitensysteme, die erst später zu Blättern (Blatt) werden. Bei der Planation rücken die ursprünglich in alle Raumrichtungen gestellten Telome in eine Ebene, das Telomsystem wird zweidimensional. Das gilt nicht nur für die Blattentwicklung, sondern auch für die Zylinderebene vieler späteren Sproßachsen (Stelen). Der Prozeß der kongenitalen Verwachsung verbindet die Telomsysteme mit parenchymatischem Gewebe (Grundgewebe). Diese kongenitale Verwachsung kann sowohl zwischen den durch Planation zweidimensional angeordneten wie auch zwischen den in der Zylinderebene oder sonst dreidimensional angeordneten Telomsystemen erfolgen. Es entstehen die flächigen Blätter oder dreidimensionale Sproßachsenformen. Der Prozeß der Reduktion spielt vor allem für die Vorstellung der Nadelblattentstehung eine Rolle. Durch Reduktion gabeliger Seitentelome (nach Übergipfelung) auf Resttelome kann die Entstehung der zwei- bzw. einnervigen Mikrophylle erklärt werden. Aber auch für die Ausbildung der achselständigen Sporangienanordnung bei den Bärlappen ist die Reduktion wichtig. Der Vorgang der Einkrümmung (Inkurvation) erklärt im Zusammenspiel mit anderen Elementarprozessen die Entstehung vieler Sporophylle mit randständiger oder unter- und flächenständiger Sporangienanordnung; so z.B. die Sporophylle der Schachtelhalme und Farne, das Fruchtblatt der Bedecktsamer. Alle genannten Elementarprozesse vollzogen sich nach der Telomtheorie im Verlauf der Stammesgeschichte mehrfach und unabhängig voneinander und in wechselnder Kombination miteinander und bauten in den verschiedenen Stammeslinien der verschiedenen pflanzlichen Großgruppen unterschiedliche Kormussysteme auf. Farnpflanzen IIIFarnpflanzen IV .
H.L.
Lit.:Sitte, P. u.a.: Strasburger, Lehrbuch der Botanik. Heidelberg 352002.
Telomtheorie
1 Schema des Urtelomstands, der aus Telomen und Mesomen besteht. Die obersten, unverzweigten Sproßstücke werden als Telome bezeichnet. Sie reichen vom Organscheitel bis zur Vereinigung mit anderen Telomen. Sproßteile, die zwischen solchen Telomen liegen, werden Mesome genannt. Das Schema des Urtelomstands entspricht etwa dem Wuchsschema von Rhynia, einem Nacktfarn. Die Telome können steril sein und werden dann auch als Phylloide bezeichnet. Stehen sie bzw. Teile von ihnen im Dienste der Fortpflanzung (fertile Telome), werden sie zu Sporangien. 2 Die 5 Elementarprozesse der Telomtheorie (schematische Darstellung), die zur Bildung des Kormus geführt haben. Einzelbeispiele: Farnpflanzen IIIFarnpflanzen IV .
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