Lexikon der Biologie: Bedecktsamer
Bedecktsamer, Bedecktsamige, Decksamer, Angiospermen, Angiospermae, Magnoliophytina, höchstentwickelte Unterabteilung der Samenpflanzen mit ca. 250 000–350 000 rezenten Arten, die in über 400 Familien und 10 000 Gattungen eingeteilt werden. Damit stellen die Bedecktsamer ca. 2/3 aller heute existierenden Pflanzenarten (Pflanzen), und die meisten terrestrischen Lebensräume werden von ihnen dominiert. Die Bedecktsamer werden nach der alten Systematik (nach A.L. de Jussieu, 1748–1836) in 2 Klassen unterteilt, in die Einkeimblättrigen Pflanzen(Monokotylen, Monokotyledonen, Monocotyledoneae, Liliatae) und Zweikeimblättrigen Pflanzen (Dikotylen, Dikotyledonen, Dicotyledoneae, Magnoliatae) –Bedecktsamer II . Die beiden Bezeichnungen gelten als veraltet: nach neueren Erkenntnissen, insbesondere aufgrund von vergleichenden DNA-Sequenzanalysen, werden die Bedecktsamer auch in 3 Klassen eingeteilt, statt wie bisher nach der Zahl der Keimblätter in 2. Dabei stehen die mit zahlreichen plesiomorphen Merkmalen ausgestatteten "Niederen" Dicotyledoneae, die Magnoliopsida, an der Basis der Bedecktsamer (Paleoherbs). Aus ihren Vorläufern entstand einerseits die monophyletische Gruppe der Liliopsida (Monocotyledoneae), andererseits die mit vielen apomorphen Merkmalen ausgestattete Gruppe der "Höheren" Dicotyledoneae, die Rosopsida ("Eudicots"). – Die genaue Abstammung der Bedecktsamer ist bis heute ungeklärt. Im allgemeinen ist man sich darüber einig, daß die Bedecktsamer von gemeinsamen Farnsamervorfahren (Farnsamer) aus eine Parallelentwicklung zu den Cycadatae (Cycadales), Bennettitatae (Bennettitales) und Gnetatae darstellen. Sie stammen also nicht direkt von den heute bekannten blütenbildenden Nacktsamern ab. Erste sichere Fossilfunde von Bedecktsamern liegen seit 1998 aus dem Jura vor, als in der etwas mehr als 140 Millionen Jahre alten Yixian-Formation im Nordosten Chinas mit Archaefructus liaoningensis die bisher älteste bedecktsamige Pflanze der Erde gefunden wurde ( vgl. Abb. ). Schon vorher gab es Indizien für die Entstehung der Bedecktsamer im Jura: im selben Gebiet fanden sich fossile Insekten, deren rüsselförmige Mundwerkzeuge offenkundig Anpassungen an eine nektarsaugende Ernährung darstellten, wie sie nur an Bedecktsamern möglich ist. Ebenfalls durch Fossilfunde läßt sich eine starke Ausbreitung der Bedecktsamer in der mittleren Kreide (90 Millionen Jahre) und ein gleichzeitiges Zurücktreten von Cycadeen und Ginkgogewächsen (Ginkgoartige) und Aussterben von Bennettiteen belegen. – Eine wichtige Eigenschaft der Bedecktsamer im vegetativen Bereich ist die höhere Gewebedifferenzierung: das Leitungssystem (Leitungsgewebe, Leitbündel) für Wasser und Nährstoffe (Assimilattransport) wurde mit der Ausbildung von Tracheen (bereits bei wenigen Farnen und Nacktsamern zu finden) und Siebröhren vervollkommnet. Die Eigenschaften der Bedecktsamer im generativen Bereich wurden wohl in Anpassung an die Bestäubung durch Tiere (Zoogamie) entwickelt ( vgl. Abb. ): Die Samenanlage ist fest in den Fruchtknoten eingeschlossen; so können Tiere als Bestäuber dienen, ohne daß die Samenanlage gleichzeitig stark fraßgefährdet ist. Die sich aus dem Fruchtknoten und eventuell anderen Blütenteilen entwickelnde Frucht umschließt schützend den Samen bis zur Reife und hat gewöhnlich ausbreitungsfördernde Eigenschaften (Ausbreitung). Blütenhüllblätter schützen im geschlossenen Zustand die Fruchtknoten und üben, voll entfaltet, Schau- und Anlockungsfunktion (Schauapparat) für potentielle Bestäuber aus. Die ursprüngliche Bedecktsamerblüte (Blüte) ist monoklin, da zunächst das Angebot der Blüten an die Bestäuber als Nahrung dienender Pollen war (es mußte also jede einzelne Blüte Pollen produzieren). Die Blütenbildung ist zwar ein wichtiges Merkmal der Bedecktsamer, Blüten wurden jedoch auch schon vorher in anderen Gruppen entwickelt (z. B. bei den Nacktsamern): das Wort "Blütenpflanze" ist deshalb nicht als Synonym für "Bedecktsamer" zu verwenden. – Bei den Bedecktsamern ist eine weitere Reduktion der Gametophytengeneration (Gametophyt, Generationswechsel) gegenüber den Nacktsamern festzustellen ( Bedecktsamer I ): Männlicher Gametophyt: starke Reduktion der Zellzahl; es fehlen Prothallium- und Stielzelle. Bewegliche Spermatozoide (Gameten) kommen nicht mehr vor. Die Pollenzelle (Mikrosporen) teilt sich in eine vegetative (Pollenschlauch-)Zelle und eine generative (Antheridium-)Zelle (Antheridium). Aus letzterer gehen bei der 2. Pollenmitose 2 Spermazellen hervor. Die Spermazellen werden durch Auswachsen des Pollenschlauchs auf der Narbe der Eizelle zugeführt. Weiblicher Gametophyt: besteht normalerweise nur noch aus 8 Zellen bzw. Zellkernen im Embryosack (Megasporen). 3 nebeneinanderliegende am oberen Pol werden als Eiapparat bezeichnet, davon wird die größte, mittlere zur Eizelle, die beiden anderen werden zu Hilfszellen (Synergiden; Filiformapparat). 3 Zellen am Gegenpol werden Antipoden genannt. 2 in der Mitte liegende, nicht als Zellen abgegrenzte Kerne verschmelzen zum sekundären Embryosackkern (diploid!). – Befruchtung: Bei den Bedecktsamern findet eine doppelte Befruchtung statt. Der Pollenschlauch gibt die beiden Spermazellen nicht direkt an die Eizelle ab, sondern entleert sich normalerweise in eine der beiden Synergiden. Daraufhin dringt eine der beiden Spermazellen in die Eizelle ein – es entsteht ein diploider Zygotenkern (Zygote), die andere vereinigt sich mit dem sekundären Embryosackkern zum triploiden Endospermkern. Aus diesem, mitsamt dem umgebenden Plasma, entwickelt sich das Nährgewebe (Befruchtung). Die Palette der heute existierenden Bedecktsamerarten enthält sowohl primitive Gruppen, die viele der ursprünglichen Bedecktsamermerkmale repräsentieren, als auch hochentwickelte Formen mit stark abgeleiteten Merkmalen. Bei der ursprünglichen Bedecktsamerblüte sind an langgestreckter Blütenachse viele Blütenhüllblätter, Fruchtblätter und Staubblätter in nicht festgelegter Zahl schraubig angeordnet (Magnoliengewächse). Wichtige Entwicklungstendenzen bei den Bedecktsamern sind die Verkürzung der Blütenachse und die Reduktion und Fixierung der Zahl der Blütenorgane: Frucht-, Staub- und Blütenhüllblätter – und die Verwachsung besonders der Frucht-, aber auch der Blütenhüllblätter untereinander. Die acyclische, schraubige Anordnung der Blütenorgane geht in eine cyclische über; daraus ergibt sich zunächst eine radiäre Symmetrie (aktinomorph), die aber oft zugunsten eines bilateralen (bilateral) bzw. zygomorphen Blütenbaus (dorsiventrale Blüte) aufgegeben wird. Einzelblüten werden oft zu Blütenständen (Blütenstand) zusammengefaßt (z. B. Korbblütler, Doldenblütler) und bilden so eine funktionelle Bestäubungseinheit. Häufig tritt eine Differenzierung der Blütenhüllblätter in schützende Kelchblätter und der Anlockung dienende Kronblätter auf. Von der ursprünglichen Zoogamie (Tierbestäubung) erfolgt oft ein Übergang zur Anemogamie (Windbestäubung). Kronblätter und Duftstoffe (Blütenduft), die der Anlockung von Bestäubern dienen, werden reduziert, dafür werden jedoch Griffel und Staubfäden (Staubblatt) zur besseren Windexposition verlängert. Im Zusammenhang mit der Windbestäubung werden häufig nur noch dikline Blüten gebildet. Tierbestäubte Blüten bieten oft nicht mehr Pollen an, um für Bestäuber attraktiv zu sein, sondern als Ersatz Nektar genannte, zuckerhaltige Säfte. Die Früchte sind ursprünglich Öffnungsfrüchte, die nach Reifung den Samen freigeben: Ausbreitungseinheit ist der Samen (Samenausbreitung). Eine Weiterentwicklung stellen die Schließfrüchte (Früchte, Fruchtformen) dar: die ganze Frucht dient als Ausbreitungseinheit. Sie kann mit bestimmten Eigenschaften, z. B. saftigem Fruchtfleisch bei Vogelbeeren (Sorbus), Pappus bei Korbblütlern, die Ausbreitung fördern. Schließlich können Einzelfrüchte – die Erdbeere ist ein bekanntes Beispiel – auch zu Sammelfrüchten verwachsen. – Die wirtschaftliche Bedeutung der Bedecktsamer für den Menschen ist kaum hoch genug einzuschätzen. Die meisten Kulturpflanzen gehören zu den Bedecktsamern; durch Züchtung (Pflanzenzüchtung, transgene Pflanzen) wurden erwünschte Merkmale verstärkt, unerwünschte zurückgedrängt. In unserer Ernährung sind wir direkt (Obst, Gemüse, Getreide usw.) und indirekt (pflanzliche Nahrung von Tieren) auf Bedecktsamer angewiesen. Auch als Lieferant von Rohstoffen (nachwachsende Rohstoffe, Pflanzenfarbstoffe, Pflanzenfasern), aus denen Arzneien, Papier, Textilien usw. hergestellt werden können, sind die Bedecktsamer unentbehrlich. Brown (R.), Gärtner (J.), Hofmeister (W.F.B.), Landpflanzen, Proangiospermen; Bedecktsamer I
Bedecktsamer II
Pflanzen (Stammbaum).
A.G./A.Se./T.Sp.
Lit.:Eames, A.J.: Morphology of the angiosperms. New York – Toronto – London 1961. Engler, A.: A. Engler's Syllabus der Pflanzenfamilien. Bd. 2: Angiospermen. Stuttgart 1976. Friis, E.M., Chaloner, W.G., Crane, P.R.: The origins of angiosperms and their biological consequences. Cambridge 1987. Hughes, N.F.: The enigma of angiosperm origins. Cambridge 1994. Johri, B.M., Ambegaokar, K.B., Srivastava, P.S.: Comparative embryology of angiosperms. Berlin 1992. Jurzitza, G.: Anatomie der Samenpflanzen. Stuttgart 1987. Rohweder, O., Endress, P.K.: Samenpflanzen. Stuttgart 1983. Rutishauser, A.C.: Embryologie und Fortpflanzungsbiologie der Angiospermen. Berlin 1969.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.