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Lexikon der Chemie: Anilin

Anilin, Aminobenzol, Phenylamin, C6H5-NH2, das einfachste aromatische primäre Amin. A. ist eine farblose, unangenehm riechende, ölige Flüssigkeit, die sich an der Luft schnell braun färbt; F. -6,3 °C, Kp. 184 °C, nD20 1,5863. A. ist in Wasser sehr schwer, in den meisten organischen Lösungsmitteln gut löslich. A. ist wasserdampfflüchtig. Es kann qualitativ durch die Rungesche Chlorkalkprobe nachgewiesen werden, wobei aus A. durch Oxidation ein charakteristisch rotvioletter, chinoider Farbstoff entsteht. Das freie Elektronenpaar am N-Atom bedingt die Basizität des A. Mit starken Säuren entstehen stabile Salze, z. B. mit Salzsäure das Anilinhydrochlorid. Bei der Acylierung von A. werden Anilide gebildet. Eine weitere wichtige Umsetzung von A. ist die Kondensationsreaktion mit Aldehyden und Ketonen, bei der Schiffsche Basen entstehen. Große technische Bedeutung für die Farbstoffindustrie hat die Reaktion von A. mit salpetriger Säure (Diazotierung). Unter geeigneten Oxidationsbedingungen kann A. definiert in Phenylhydroxylamin, Nitrosobenzol und Nitrobenzol umgewandelt werden. Von Bedeutung ist die Oxidation von A. zu p-Benzochinon. Für die Herstellung von symmetrischen oder unsymmetrischen Azobenzolderivaten ist die Kondensationsreaktion von A. mit Nitrosobenzolen von Interesse. Mit Chloroform unter stark basischen Bedingungen bildet A. das unangenehm riechende Benzoisonitril (Isonitrilreaktion).

Anilin ist ein starkes Blut- und Nervengift. Es kann durch Einatmen der Dämpfe oder direkt durch die Haut vom Körper aufgenommen werden. Bei leichten Vergiftungen kommt es zur Blaufärbung der Lippen, Nase, Ohren und Fingernägel (Cyanose) sowie zu Schwindelgefühl und Erregungszuständen. Bei oraler Aufnahme kommt es zu Erbrechen, Leibschmerzen und Diarrhöe. In schweren Vergiftungsfällen erzeugt Anilin Kopfschmerz, Apathie, Schwindel, Bewußtseinstrübung, Blasenreizung und Atemnot. Durch Atemlähmung kann es zum Tode führen. Chronische Vergiftungserscheinungen sind Schwächegefühl, Appetitlosigkeit, neurasthenische Symptome, Hautausschläge und Blasengeschwülste, die in Carcinome übergehen können. Im Blut kommt es zur Bildung von Methämoglobin und damit zur Behinderung des Sauerstofftransports.

Erste Hilfe bei Anilinvergiftungen: Vergiftete an die frische Luft bringen; mit Anilin getränkte Kleidungsstücke entfernen und betroffene Hautpartien abwaschen, kalte Begießungen, künstliche Beatmung, am besten mit Sauerstoffapparat. Arzt holen!

A. kommt in freier Form im Steinkohlenteer vor. Technisch wird es in beträchtlichen Mengen nach dem Bechamp-Verfahren durch Reduktion von Nitrobenzol mit Eisen und Salzsäure oder durch katalytische Hydrierung in Gegenwart von Kupferkatalysatoren hergestellt. Außerdem wird A. auch großtechnisch durch Ammonolyse von Chlorbenzol oder Phenol an geeigneten Katalysatoren produziert. Es wird hauptsächlich für die Herstellung von Farbstoffen, pharmazeutischen Produkten, photographischen Entwicklern, Pflanzenschutzmitteln, substituierten A., Anilinharzen, Phenylhydrazin u. a. verwendet.

  • Die Autoren
Dr. Andrea Acker, Leipzig
Prof. Dr. Heinrich Bremer, Berlin
Prof. Dr. Walter Dannecker, Hamburg
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Fachkoordination:
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Redaktion:
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