Lexikon der Mathematik: Die Eulersche Γ-Funktion
Die Eulersche Gamma-Funktion ist sicherlich eine der wichtigsten Funktionen in der Mathematik. Sie wird heute mit Γ bezeichnet und ist eine in ℂ meromorphe Funktion mit der Eigenschaft Γ(n + 1) = n! für n ∈ ℕ. Die Motivation zur Definition der Γ-Funktion war, die Funktion n!, n ∈ ℕ auf reelle und sogar komplexe Argumente auszudehnen. Euler (1729) löst das Problem durch das unendliche Produkt
Definition und grundlegende Eigenschaften
Wie bereits an der historischen Entwicklung sichtbar ist, gibt es mehrere Möglichkeiten der Definition der Γ-Funktion, die jedoch alle zum gleichen Ziel führen. Zum Beispiel kann man ähnlich wie Weierstraß mit der Funktion
Definiert man nun die Γ-Funktion durch
Aus der Definition folgt weiter \(\overline{{\rm{\Gamma }}(z)}={\rm{\Gamma }}(\bar{z})\) und Γ(x) > 0 für x > 0. Außerdem gilt
Es gilt die Funktionalgleichung
Hieraus folgt für n ∈ ℕ
Die Γ-Funktion ist also tatsächlich eine Fortsetzung der Fakultät. Man nennt sie daher manchmal auch verallgemeinerte Fakultät.
Der Eulersche Ergänzungssatz lautet n
Für \(z = \frac{1}{2}\) ergibt sich hieraus die Eulersche Relation der Γ-Funktion
Allgemeiner gilt für n ∈ ℕ0
Weitere Folgerungen aus dem Ergänzungssatz sind
Schließlich gilt die Formel von Raabe (1843)
Produktdarstellungen
Aus der Definition der Γ-Funktion ergibt sich sofort die Weierstraßsche Produktdarstellung
Ebenso gilt die Eulersche Produktdarstellung
Logarithmische Ableitung
Die logarithmische Ableitung der Γ-Funktion ist definiert durch
Die Partialbruchdarstellung der logarithmischen Ableitung der Γ-Funktion lautet
Hieraus erhält man Γ′(1) = ψ(1) = −γ und für k ∈ ℕ, k ≥ 2
Für die Partialbruchdarstellung von ψ′ ergibt sich
Die Funktion ψ und ihre Ableitungen ψ(n), n ∈ ℕ heißen auch Polygamma-Funktionen. Speziell nennt man ψ′ auch Trigamma-Funktion und ψ″ Tetragamma-Funktion.
Logarithmus der Γ-Funktion
Da Γ in der geschlitzten Ebene ℂ− := ℂ \ (−∞, 0] keine Nullstellen besitzt, existiert in ℂ− ein holomorpher Logarithmus der Γ-Funktion log Γ mit log Γ(1) = 0. Da (log Γ)′ = ψ, folgt für z ∈ ℂ−.
Für x > 0 gilt
Daher ist log Γ eine konvexe Funktion auf (0, ∞). Man nennt solche Funktionen auch logarithmisch konvex.
Die Taylor-Reihe von log Γ(z + 1) hat den Konvergenzradius 1 und lautet
Eindeutigkeitssätze
Auf den ersten Blick scheint die Fortsetzung der Funktion n!, n ∈ ℕ durch die Γ-Funktion willkürlich zu sein. Die folgenden Eindeutigkeitssätze zeigen jedoch, daß dies nicht der Fall ist.
Der Eindeutigkeitssatz von Wielandt (1939) lautet:
Es sei F eine in der rechten Halbebene H = {z ∈ ℂ : Re z > 0} holomorphe Funktion, die in dem Vertikalstreifen S = {z ∈ ℂ : 1 ≤ Re z< 2} beschränktist. Weiter gelte F(z + 1) = zF(z) für z ∈ H und F(1) = 1.
Dann ist F(z) = Γ(z) für z ∈ H.
Der Eindeutigkeitssatz von Bohr-Mollerup (1922) charakterisiert die reelle Γ-Funktion ohne Differenzierbarkeitsbedingungen mit Hilfe der logarithmischen Konvexität.
Es sei F: (0, ∞) → (0, ∞) eine auf (0, ∞) logarithmisch konvexe Funktion mit F(x + 1) = xF(x) für x > 0 und F(1) = 1.
Dann ist F(x) = Γ(x) für x > 0.
Aus dem Eindeutigkeitssatz von Wielandt erhält man die Multiplikationsformeln
Diese Formel führt zu einem weiteren Eindeutigkeitssatz.
Es sei F eine in ℂ meromorphe Funktion mit F(x) > 0 fürx > 0. Weiter gelte F(z + 1) = zF(z) und
Dann gilt F = Γ.
Aus den Multiplikationsformeln der Γ-Funktion erhält man noch die Multiplikationsformeln für die Sinus-Funktion. Für k ∈ ℕ, k ≥ 2 gilt
Eulersche Integraldarstellung
Neben den Produktdarstellungen sind auch Integraldarstellungen der Γ-Funktion von Wichtigkeit. Für Re z > 0 gilt die Eulersche Integraldarstellung
Dabei ist das uneigentliche Integral auf der rechten Seite in jedem Vertikalstreifen
Durch partielle Integration und vollständige Induktion ergibt sich für n ∈ ℕ0
Außerdem erhält man aus der Eulerschen Integraldarstellung noch die Partialbruchdarstellung der Γ-Funktion
Hankelsche Integraldarstellung
Die Eulersche Integraldarstellung hat den Nachteil, daß sie nur für Re z > 0 gilt. Hankel (1863) betrachtet das Integral
und man nennt sie heute Hankelsches Schleifenintegral. Es gelten dann die Hankelschen Formeln
Die zweite Formel heißt Hankelsche Integraldarstellung der Γ-Funktion.
Stirlingsche Formel und Gudermannsche Reihe
Für Anwendungen und numerische Zwecke ist es nützlich, das Wachstum der Γ-Funktion zu kennen. <?PageNum _98Dazu approximiert man Γ in der geschlitzten Ebene ℂ− durch „einfachere“ Funktionen. Setzt man
Auf den ersten Blick erscheint diese Gleichung nutzlos, da μ mit Hilfe von Γ definiert wurde. Aber man kann zeigen, das \(\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{z\to \infty }\mu (z)=0\) gleichmasig in jedem Winkelraum
Die Formel (ST) heißt allgemeine Stirlingsche Formel. Sie wird häufig auch in der asymptotischen Form
Setzt man speziell x = n ∈ ℕ, so ergibt sich die klassische Stirlingsche Formel
Schließlich kann die Funktion μ durch die Gudermannsche Reihe dargestellt werden. Es gilt
Unvollständige Γ-Funktion
Für ϱ ∈ ℂ, ϱ ≠ 0 sei
Dabei ist der Integrationsweg so zu wählen, daß er nicht durch den Nullpunkt verläuft und \(\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{t\to \infty }\space \arg \space t\space =\space \beta \) mit \(|\beta |\space \lt \space \frac{\pi }{2}\) erfüllt. Dann ist Q(·, ϱ) eine ganze Funktion. Weiter sei
Diese Funktion heißt unvollständige Γ-Funktion. oder P-Funktion. Sie ist eine in ℂ meromorphe Funktion mit denselben Polstellen und Residuen wie Γ. Die Funktion Q(·, ϱ) heißt komplementäre unvollständige Γ-Funktion oder Q-Funktion. Für festes z = n ∈ ℕ sind P(n, ·) und Q(n, ·) ganze Funktionen (von ϱ), und es gilt
Literatur
[1] Remmert, R.: Funktionentheorie 2. Springer-Verlag Berlin, 1991.
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