Lexikon der Mathematik: Die Fermatsche Vermutung
Der Ursprung der Fermatschen Vermutung ist ziemlich gut dokumentiert. 1621 publizierte Bachet de Méziriac eine lateinische Übersetzung des Buchs Arithmetika von Diophantos. Dieses Buch enthält mehr als hundert einfache und weniger einfache Rechenaufgaben, bei denen Brüche (rationale Zahlen) als Lösungen gesucht sind. Pierre de Fermat studierte dieses Buch gegen Ende der 1630er Jahre, wobei er häufig den großzügigen Rand dazu benutzte, Kommentare, Ideen oder Erweiterungen zu Diophantos’ Aufgaben aufzuschreiben. Das von Fermat benutzte Exemplar ist verloren gegangen, aber sein Sohn Samuel de Fermat kümmerte sich nach dem Tod seines Vaters 1665 um dessen Nachlaß, und gab 1670 eine umfangreiche Edition der Werke Fermats heraus. Diese enthält auch die berühmte Randnotiz neben Problem 8 des zweiten Bandes von Diophantos’ Arithmetika, die Fermat um 1637 herum so aufschrieb:
Cubum autem in duos cubos, aut quadratoquadratum in duos quadrato-quadratos, et generaliter <?PageNum _146nullam in infinitum ultra quadratum potestatem in duos ejusdem nominis fas est dividere; cujus rei demonstrationem mirabilem sane detexi. Hanc marginis exiguitas non caperet.
Hier eine deutsche Übersetzung: „Es ist aber unmöglich, einen Kubus in zwei Kuben, oder ein Biquadrat in zwei Biquadrate, und allgemein bis ins Unendliche irgendeine Potenz jenseits des Quadrats in zwei ebensolche zu zerlegen; ich habe einen wirklich wunderbaren Beweis dieser Tatsache entdeckt. Diesen kann die Enge des Randes nicht fassen.“
In heutiger Schreibweise behauptete Fermat also: Gegeben eine natürliche Zahl n ≥ 3, dann hat die Gleichung Xn + Yn = Zn keine Lösung bestehend aus von Null verschiedenen ganzen Zahlen X, Y, Z. Zur Abkürzung nennt man ein Lösungstripel (X, Y, Z) trivial, wenn wenigstens eine der drei Zahlen X, Y, Z gleich Null ist. Damit lautet die Fermatsche Vermutung:
Zu jedem ganzen Exponenten n ≥ 3 besitzt die Gleichung
keine nicht-triviale ganzzahlige Lösung.
Fermats Nachlaß ist eine Fundgrube der Zahlentheorie. Er enthält zahllose Bemerkungen, Behauptungen und Beweisansätze, von denen einige Anlaß zu weitreichenden Untersuchungen gaben. Mittlerweile kann man jede Idee in Fermats Nachlaß in das Gebäude der Mathematik einordnen, also entweder beweisen oder widerlegen (widerlegt wurde z. B. eine Behauptung Fermats über Primzahlen, Fermat-Zahl). Das Problem, das am längsten (bis 1995) offenstand, ist gerade die obenstehende Fermatsche Vermutung. Daher bekam diese im Laufe der Zeit mehr und mehr die Namen „Großer Satz von Fermat“ oder auch „Fermat’s Last Theorem“, obwohl die Randnotiz in der zeitlichen Abfolge der Fermatschen Notizen eher am Anfang als am Ende stand.
Zu „Fermats Letztem Satz“ enthält der Nachlaß keine weiteren Bemerkungen. Insbesondere hat sich der „wirklich wunderbare Beweis“ von Fermat nirgends gefunden, und die meisten vermuten, daß Fermat beim Beweis seiner Behauptung zumindest gravierende Fehler unterlaufen sind. Möglicherweise hatte Fermat einen fehlerhaften Beweis, und vielleicht hat er die Fehlerhaftigkeit sogar später selbst bemerkt. Da sich die Randnotiz nur in seinen privaten Unterlagen befand, kam er nicht auf die Idee, eine Korrektur anzufügen. Auch vergaß er, seinen Sohn zu bitten, diese Randnotiz nicht zu publizieren. Diese These wird durch die Tatsache unterstützt, daß Fermat einerseits nie die volle Behauptung in seinen Briefen erwähnte, aber andererseits die Fälle n = 4 und n = 3 in mehreren Briefen erwähnte bzw. als Problem stellte. Der Fall n = 4 findet sich in einem für Sainte-Croix bestimmten Brief an Mersenne 1636 und in zwei weiteren Briefen an Mersenne 1638 und 1640. Den Fall n = 3 erwähnte Fermat in Briefen an Mersenne 1636, 1638 und 1643, an Sainte-Martin 1643, an Pascal 1654, an Digby (für Wallis) 1658 und an Carcavi 1659.
Durch Diophantos und Bachet übertragen, reichen die historischen Wurzeln der Fermatschen Gleichung (1) bis vor Pythagoras zurück. Ganzzahlige Lösungen der Gleichung für n = 2 heißen heute Pythagoräische Tripel und wurden auch schon vor Pythagoras studiert.
Seit ihrer Publikation hat die Fermatsche Vermutung sehr häufig das Interesse von Amateuren ebenso wie von renommierten Mathematikern erweckt. Dies hat, unter anderem, zu zahlreichen fehlerhaften Beweisen geführt. In [1] findet man eine mehrseitige Liste von publizierten Arbeiten mit falschen Beweisen der Fermatschen Vermutung. Darüberhinaus gibt es noch zahlreiche Autoren, die ihren falschen Beweis in kleinen Büchern oder Broschüren selbst herausgaben.
Am 27. Juni 1908 lobte die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen den Wolfskehl-Preis für einen Beweis der Fermatschen Behauptung aus. Dieser sollte aus dem Nachlaß von Paul Wolfskehl bezahlt werden und betrug einhunderttausend Mark. Allein im ersten Jahr nach der Auslobung des Preises wurden 621 falsche Beweise eingereicht.
Die Geschichte der Versuche, die Fermatsche Vermutung oder wenigstens Teilresultate zu beweisen, ist ein guter Leitfaden zum Studium großer Teile der Zahlentheorie [1, 3]. Ein technisch sehr aufwendiger Beweis gelang schließlich Andrew Wiles in einer 1995 publizierten Arbeit, die wesentlichen Gebrauch von Arbeiten zahlreicher anderer Mathematiker macht, vor allem Taniyama, Shimura, Frey, Serre, Ribet, und Taylor.
Doch nun zur historischen Entwicklung der Beweisansätze. Den Beweis für den Spezialfall n = 4 kann man aus Fermats Nachlaß rekonstruieren. In seiner Notiz zu Problem 20, Buch VI von Diophantos’ Arithmetika, betrachtete er die Frage, ob die Fläche eines Pythagoräischen Dreiecks eine Quadratzahl sein kann. Er kam so zu der Gleichung
von der er mit seiner Deszendenzmethode bewies, daß sie keine ganzzahlige Lösung X ≠ 0, Y ≠ 0 und Z ≠ 0 besitzt. Daraus folgt, daß es kein Pythagoräisches Dreieck gibt, dessen Fläche eine Quadratzahl ist [1]. Zudem kann man aus (2) <?PageNum _147verhältnismäßig leicht herleiten, daß auch die Gleichung
keine aus von Null verschiedenen ganzen Zahlen bestehende Lösung besitzt.
Vielleicht hatte Fermat auch einen Beweis für den Fall n = 3, jedoch fand man keinen solchen in seinem Nachlaß. Euler unternahm 1770 einen Anlauf, den Fall der kubischen Gleichung
zu behandeln, wobei er wieder die Fermatsche Deszendenzmethode anwandte. Eulers Beweis enthielt eine Lücke, auf die Schumacher 1894 explizit hinwies. Man kann jedoch zeigen, daß es mit Eulers Methoden möglich ist, diese Lücke zu schließen.
Gauß bewies den Fall n = 3 mit anderen Methoden, nämlich mittels Eisenstein-Zahlen.
Der erste Beweis für den Fall n = 5 stammt von Dirichlet (publiziert 1828); unabhängig davon und etwa gleichzeitig bewies auch Legendre diesen Fall. Ein wesentliches Argument in Dirichlet’s Beweis ist die Tatsache, daß der Ganzheitsring des quadratischen Zahlkörpers \({\mathbb{Q}}(\sqrt{5})\), eine (bis auf Einheiten) eindeutige Primfaktorzerlegung zuläßt. Lamé bewies 1839 die Fermatsche Behauptung für n = 7; Lebesgue (V.A., nicht Henri) publizierte 1840 einen einfacheren Beweis, und Genocchi 1876 einen noch einfacheren.
Die erste Reduktion des allgemeinen Falls ist die auf Primzahlen p > 2. Für eine Zerlegung n = pq gilt offenbar
also könnte man aus einer Lösung für den Exponenten n sofort eine Lösung für jeden Exponenten p | n gewinnen. Damit genügt es, die Fermatsche Vermutung für Primzahlexponenten p > 2 zu beweisen.
Traditionsgemäß sagt man, der erste Fall der Fermatschen Behauptung sei richtig für eine Primzahl p > 2, wenn für ganze Zahlen x, y, z, die keine Vielfachen von p sind, stets gilt
Etwas allgemeiner sagt man, der erste Fall der Fermatschen Behauptung gelte für den Exponenten n = 2ku (mit k ≥ 0 und u ungerade), wenn für nicht-verschwindende ganze Zahlen x, y, z mit ggT(u, xyz) = 1 stets gilt
Komplementär hierzu sagt man, der zweite Fall der Fermatschen Behauptung gelte für den Exponenten n = 2ku (mit k ≥ 0 und u ungerade), wenn für paarweise teilerfremde ganze Zahlen x, y, z mit ggT(u, xyz) ≠ 1 stets gilt
Legendre publizierte 1823 einen Satz von Sophie Germain, der „d’un trait de plume“ den ersten Fall der Fermatschen Behauptung für alle Primzahlen p< 100 erledigt.
Lamé behauptete 1847, er habe den allgemeinen Fall beweisen. Es stellte sich jedoch heraus, daß er von der falschen Annahme ausgegangen war, daß es im Ganzheitsring eines beliebigen Kreisteilungskörpers eine eindeutige Primfaktorzerlegung gäbe.
Ebenfalls 1847 legte Kummer seine tiefgehenden Untersuchungen über Kreisteilungskörper und insbesondere deren Ganzheitsringe vor. Dabei war sein Hauptaugenmerk auf Verallgemeinerungen der Reziprozitätsgesetze gerichtet:
„Der Fermatsche Satz ist zwar mehr ein Curiosum als ein Hauptpunkt der Wissenschaft.“
Dennoch bewies er – in Anwendung seiner Untersuchungen – folgenden Satz:
Ist p > 2 eine reguläre Primzahl, so ist die Fermatsche Behauptung für den Exponenten p richtig.
Auf die formale Definition einer regulären Primzahl kann hier verzichtet werden; erwähnenswert ist: Die kleinste irreguläre Primzahl ist 37, und man kann zeigen, daß es unendlich viele irreguläre Primzahlen gibt. Andererseits ist die Frage, ob es unendlich viele reguläre Primzahlen gibt, ein noch ungelöstes Problem.
In Boston fand 1995 eine Konferenz über Fermat statt, bei der ein T-Shirt verkauft wurde, auf dem eine Kurzfassung des Wilesschen Beweises der Fermatschen Vermutung aufgedruckt war [3]. Darin sind fünf mathematische Aufsätze zitiert, nämlich von Frey 1986, Ribet 1990, Serre 1987, Taylor und Wiles 1995, und schließlich Wiles 1995. Hier eine deutsche Übersetzung des Kurzbeweises auf dem T-Shirt:
Fermats Letzter Satz:
Seien n, a, b, c ∈ ℤ mit n > 2. Falls an + bn = cn, dann ist abc = 0.
Beweis: Der Beweis folgt einem Programm, das um 1985 herum von Frey und Serre formuliert wurde. Nach klassischen Resultaten von Fermat, Euler, Dirichlet, Legendre und Lamé können wir annehmen, daß n = p eine Primzahl ≥ 11 ist. Angenommen, es gäbe a, b, c ∈ ℤ mit abc ≠ 0 und ap +bp = cp. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wir 2 | a und b ≡ 1 mod 4 annehmen. Frey bewies, daß die elliptische Kurve E mit der Gleichung
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folgende bemerkenswerten Eigenschaften hat: (1) E ist semi-stabil mit dem Führer NE = Πℓ| abcℓ, and (2) \({\bar{\varrho }}_{E,p}\) ist unverzweigt außerhalb 2p und flach an der Stelle p.
Nach dem Modularitätssatz von Wiles und Taylor-Wiles gibt es eine Eigenform f ∈ S2(Γ0(NE)) derart, daß ϱf,p = ϱE,p. Ein Satz von Mazur impliziert, daß \({\bar{e}}_{E,p}\) irreduzibel ist, also folgt aus einem Satz von Ribet die Existenz einer Heckeschen Eigenform g ∈ S2(Γ0(2)) mit ϱg,p ≡ ϱf,p mod \(\begin{eqnarray}{\mathfrak{p}}\end{eqnarray}\) für ein \(\begin{eqnarray}{\mathfrak{p}}\end{eqnarray}\) | p. Aber X0(2) hat Geschlecht Null, also ist S2(Γ0(2)) = 0. Das ist ein Widerspruch, und Fermats Letzter Satz ist bewiesen. Q.E.D.
Fernando Gouvêa bemerkte hierzu: „It doesn’t fit the margin, but it does go on a shirt.“
Literatur
[1] Ribenboim, P.: Fermat’s Last Theorem for Amateurs. Springer New York, 1999.
[2] Singh, S.: Fermat’s Last Theorem. Fourth Estate London, 1997.
[3] van der Poorten, A.: Fermat’s Last Theorem. Wiley New York, 1996.
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